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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 81. Die Grafen.
Wohl schon in merowingischer Zeit gewann der Graf die Befugnis, Ver-
brecher provisorisch zu ächten, forbannire, und, wenn sie Sühne boten,
die Acht wieder aufzuheben. Der Graf ist verpflichtet, wegen ge-
wisser Friedensbrüche von Amtswegen einzuschreiten, und wacht über
die Vollstreckung öffentlicher Strafen 28. Er nimmt die gerichtliche
Pfändung der Fahrhabe, in karolingischer Zeit die gerichtliche Fro-
nung der Grundstücke vor. Ihm sind Verbrecher aus den Immuni-
tätsbezirken 29, ihm ist der bei handhafter That ertappte Missethäter
auszuliefern.

Der Graf hat Polizeigewalt. Er übt die Sicherheitspolizei und
verfolgt flüchtige Verbrecher und Geächtete. Er handhabt die Ver-
kehrspolizei, bannt zum Bau von Strassen, Wegen und Brücken und
gewinnt die Aufsicht über das Marktwesen 30. Der Graf soll dafür
sorgen, dass die Unterthanen dem König den schuldigen Treueid
leisten, indem er die Gauleute selbst vereidigt 31 oder sie zusammen-
ruft, um vor einem königlichen Missus zu schwören 32. Ein west-
fränkisches Capitular schärft ihm ein, darauf zu achten, dass solche
Gauleute, die dem König noch nicht die Treue gelobt haben, den
Eid ablegen und dass niemand in der Grafschaft weile oder Grund-
eigentum besitze, der nicht Treue geschworen hat 33.

Der Graf ist königlicher Finanzbeamter, zieht die Friedensgelder
und Bannbussen ein, erhebt die Steuern und Abgaben, wo solche
herkömmlich sind. Durch seine Hände geht das Erträgnis der Ver-
kehrsabgaben, die er wie die übrigen fiskalischen Einkünfte an die
königliche Kammer abliefert 34.

Der Bann, bei welchem der Graf gebietet, ist regelmässig nie-
driger als der normale Königsbann und verschieden bei den verschie-
denen Stämmen 35. Die Busse für Missachtung des Grafenbannes be-

28 Waitz, VG II 2, S. 31 f. Siehe unten § 114. 117.
29 Cap. Haristall. v. J. 779, c. 9, I 48. Cap. legg. add. v. J. 803, c. 2,
I 113.
30 Rathgen, Entstehung der Märkte in Deutschland 1881, S. 8 f.
31 Greg. Tur. Hist. Franc. VII 12.
32 Marculf I 40.
33 Cap. Caris. v. J. 873, c. 5. 6, Pertz, LL I 520.
34 Marc. I 8: et quicquid de ipsa accione in fisci dicionibus speratur, per
vosmet ipsos annis singulis nostris aerariis inferatur.
35 Cap. miss. v. J. 802 (?), c. 57, I 104: ut bannus, quem per semetipsum
domnus imperator bannivit, 60 solidos solvatur. Caeteri vero banni, quos comites
et iudices faciunt, secundum legem uniuscuiusque componantur. Siehe oben I 264,
Anm. 23.

§ 81. Die Grafen.
Wohl schon in merowingischer Zeit gewann der Graf die Befugnis, Ver-
brecher provisorisch zu ächten, forbannire, und, wenn sie Sühne boten,
die Acht wieder aufzuheben. Der Graf ist verpflichtet, wegen ge-
wisser Friedensbrüche von Amtswegen einzuschreiten, und wacht über
die Vollstreckung öffentlicher Strafen 28. Er nimmt die gerichtliche
Pfändung der Fahrhabe, in karolingischer Zeit die gerichtliche Fro-
nung der Grundstücke vor. Ihm sind Verbrecher aus den Immuni-
tätsbezirken 29, ihm ist der bei handhafter That ertappte Missethäter
auszuliefern.

Der Graf hat Polizeigewalt. Er übt die Sicherheitspolizei und
verfolgt flüchtige Verbrecher und Geächtete. Er handhabt die Ver-
kehrspolizei, bannt zum Bau von Straſsen, Wegen und Brücken und
gewinnt die Aufsicht über das Marktwesen 30. Der Graf soll dafür
sorgen, daſs die Unterthanen dem König den schuldigen Treueid
leisten, indem er die Gauleute selbst vereidigt 31 oder sie zusammen-
ruft, um vor einem königlichen Missus zu schwören 32. Ein west-
fränkisches Capitular schärft ihm ein, darauf zu achten, daſs solche
Gauleute, die dem König noch nicht die Treue gelobt haben, den
Eid ablegen und daſs niemand in der Grafschaft weile oder Grund-
eigentum besitze, der nicht Treue geschworen hat 33.

Der Graf ist königlicher Finanzbeamter, zieht die Friedensgelder
und Bannbuſsen ein, erhebt die Steuern und Abgaben, wo solche
herkömmlich sind. Durch seine Hände geht das Erträgnis der Ver-
kehrsabgaben, die er wie die übrigen fiskalischen Einkünfte an die
königliche Kammer abliefert 34.

Der Bann, bei welchem der Graf gebietet, ist regelmäſsig nie-
driger als der normale Königsbann und verschieden bei den verschie-
denen Stämmen 35. Die Buſse für Miſsachtung des Grafenbannes be-

28 Waitz, VG II 2, S. 31 f. Siehe unten § 114. 117.
29 Cap. Haristall. v. J. 779, c. 9, I 48. Cap. legg. add. v. J. 803, c. 2,
I 113.
30 Rathgen, Entstehung der Märkte in Deutschland 1881, S. 8 f.
31 Greg. Tur. Hist. Franc. VII 12.
32 Marculf I 40.
33 Cap. Caris. v. J. 873, c. 5. 6, Pertz, LL I 520.
34 Marc. I 8: et quicquid de ipsa accione in fisci dicionibus speratur, per
vosmet ipsos annis singulis nostris aerariis inferatur.
35 Cap. miss. v. J. 802 (?), c. 57, I 104: ut bannus, quem per semetipsum
domnus imperator bannivit, 60 solidos solvatur. Caeteri vero banni, quos comites
et iudices faciunt, secundum legem uniuscuiusque componantur. Siehe oben I 264,
Anm. 23.
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[166/0184] § 81. Die Grafen. Wohl schon in merowingischer Zeit gewann der Graf die Befugnis, Ver- brecher provisorisch zu ächten, forbannire, und, wenn sie Sühne boten, die Acht wieder aufzuheben. Der Graf ist verpflichtet, wegen ge- wisser Friedensbrüche von Amtswegen einzuschreiten, und wacht über die Vollstreckung öffentlicher Strafen 28. Er nimmt die gerichtliche Pfändung der Fahrhabe, in karolingischer Zeit die gerichtliche Fro- nung der Grundstücke vor. Ihm sind Verbrecher aus den Immuni- tätsbezirken 29, ihm ist der bei handhafter That ertappte Missethäter auszuliefern. Der Graf hat Polizeigewalt. Er übt die Sicherheitspolizei und verfolgt flüchtige Verbrecher und Geächtete. Er handhabt die Ver- kehrspolizei, bannt zum Bau von Straſsen, Wegen und Brücken und gewinnt die Aufsicht über das Marktwesen 30. Der Graf soll dafür sorgen, daſs die Unterthanen dem König den schuldigen Treueid leisten, indem er die Gauleute selbst vereidigt 31 oder sie zusammen- ruft, um vor einem königlichen Missus zu schwören 32. Ein west- fränkisches Capitular schärft ihm ein, darauf zu achten, daſs solche Gauleute, die dem König noch nicht die Treue gelobt haben, den Eid ablegen und daſs niemand in der Grafschaft weile oder Grund- eigentum besitze, der nicht Treue geschworen hat 33. Der Graf ist königlicher Finanzbeamter, zieht die Friedensgelder und Bannbuſsen ein, erhebt die Steuern und Abgaben, wo solche herkömmlich sind. Durch seine Hände geht das Erträgnis der Ver- kehrsabgaben, die er wie die übrigen fiskalischen Einkünfte an die königliche Kammer abliefert 34. Der Bann, bei welchem der Graf gebietet, ist regelmäſsig nie- driger als der normale Königsbann und verschieden bei den verschie- denen Stämmen 35. Die Buſse für Miſsachtung des Grafenbannes be- 28 Waitz, VG II 2, S. 31 f. Siehe unten § 114. 117. 29 Cap. Haristall. v. J. 779, c. 9, I 48. Cap. legg. add. v. J. 803, c. 2, I 113. 30 Rathgen, Entstehung der Märkte in Deutschland 1881, S. 8 f. 31 Greg. Tur. Hist. Franc. VII 12. 32 Marculf I 40. 33 Cap. Caris. v. J. 873, c. 5. 6, Pertz, LL I 520. 34 Marc. I 8: et quicquid de ipsa accione in fisci dicionibus speratur, per vosmet ipsos annis singulis nostris aerariis inferatur. 35 Cap. miss. v. J. 802 (?), c. 57, I 104: ut bannus, quem per semetipsum domnus imperator bannivit, 60 solidos solvatur. Caeteri vero banni, quos comites et iudices faciunt, secundum legem uniuscuiusque componantur. Siehe oben I 264, Anm. 23.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/184>, abgerufen am 22.11.2024.