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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 80. Das Herzogtum.
Der Herzog nimmt die Friedensgelder, gefrontes und erbloses Gut; er
übt den Fremdenschutz, entscheidet über Verhängung der Todesstrafe
und Verbannung und hat die Befugnis der Strafmilderung. Wahr-
scheinlich ernannte er die Grafen; sicher ist, dass er in Schwaben die
iudices bestellte 26. Das Kirchenregiment, das er früher in Baiern
geübt hatte 27, ist zur Zeit der Entstehung der bairischen Lex ein be-
schränktes; denn die Bischöfe werden vom König eingesetzt, und die
Tötung des Bischofs wird dem Könige gebüsst. Es giebt einen herzog-
lichen Fiskus und herzogliche Domänen. Den Landschenkungen der
Merowinger entsprechen herzogliche Landschenkungen, die von den
Beschenkten nicht ohne Konsens des Herzogs veräussert werden dür-
fen 28. Die fränkische Freilassung durch Schatzwurf hat in Baiern
ein Analogon in einer Freilassung durch die Hand des Herzogs. Stellt
sich nach alledem das Stammesherzogtum, welches bei den Ober-
deutschen geradezu regnum genannt wird 29, als eine Art von Unter-
königtum dar, so ist es doch ein verhängnisvoller Irrtum, den Ur-
sprung desselben in Gegensatz zu bringen zu dem des Amtsherzog-
tums, es etwa gar als Überbleibsel eines alten vorfränkischen Volks-
königtums zu erklären. In Schwaben und Baiern, wo es sich am
selbständigsten entwickelt hat, zeigt das Herzogtum bis in die Zeit
Dagoberts I. Spuren strengster Abhängigkeit 30. Wie anderwärts, ist
es auch hier erst seit der Erschlaffung der Centralgewalt zum Stammes-
herzogtum geworden.

Indem die Arnulfinger zuerst als Hausmeier und austrasische
Herzoge, dann als Könige der Franken sich die volle Wiederherstel-
lung der Reichseinheit zum Ziele setzten, sahen sie sich gezwungen,
das Stammesherzogtum allenthalben zu zertrümmern. In Schwaben
erlosch es mit Herzog Lantfrid, welcher im Jahre 730 von Karl
Martell bekriegt wurde und starb. Nach seinem Tode hat es in
Schwaben keinen von Reichswegen anerkannten Herzog mehr gegeben.
Wie das Herzogtum in Thüringen verschwand, wissen wir nicht.
Jedenfalls stand Thüringen bereits 741 unter der unmittelbaren Herr-

26 Lex Alam. 41, 1. Bezüglich der Grafen bestehen Zweifel. Waitz, VG
II 2, S. 370. W. Sickel, Volksherzogtum S. 455. Einen Anhaltspunkt für die Amts-
hoheit des bairischen Herzogs bietet c. 15 der decreta Niuhing. LL III 467, wo auf
wiederholten Ungehorsam gegen den Befehl des Herzogs Entfernung aus dem Amte
(ambacto vel officio) angedroht wird.
27 LL III 451. Jaffe, Bibl. III 104. Oben I 317.
28 H. Brunner, Die Landschenkungen der Merowinger und der Agilolfinger.
Berliner SB 1885, S. 1179 ff.
29 Lex Alam. 35, 1. Lex Baiuw. II 9.
30 H. Brunner, Alter der Lex Alam. Berliner SB 1885, S. 170.

§ 80. Das Herzogtum.
Der Herzog nimmt die Friedensgelder, gefrontes und erbloses Gut; er
übt den Fremdenschutz, entscheidet über Verhängung der Todesstrafe
und Verbannung und hat die Befugnis der Strafmilderung. Wahr-
scheinlich ernannte er die Grafen; sicher ist, daſs er in Schwaben die
iudices bestellte 26. Das Kirchenregiment, das er früher in Baiern
geübt hatte 27, ist zur Zeit der Entstehung der bairischen Lex ein be-
schränktes; denn die Bischöfe werden vom König eingesetzt, und die
Tötung des Bischofs wird dem Könige gebüſst. Es giebt einen herzog-
lichen Fiskus und herzogliche Domänen. Den Landschenkungen der
Merowinger entsprechen herzogliche Landschenkungen, die von den
Beschenkten nicht ohne Konsens des Herzogs veräuſsert werden dür-
fen 28. Die fränkische Freilassung durch Schatzwurf hat in Baiern
ein Analogon in einer Freilassung durch die Hand des Herzogs. Stellt
sich nach alledem das Stammesherzogtum, welches bei den Ober-
deutschen geradezu regnum genannt wird 29, als eine Art von Unter-
königtum dar, so ist es doch ein verhängnisvoller Irrtum, den Ur-
sprung desselben in Gegensatz zu bringen zu dem des Amtsherzog-
tums, es etwa gar als Überbleibsel eines alten vorfränkischen Volks-
königtums zu erklären. In Schwaben und Baiern, wo es sich am
selbständigsten entwickelt hat, zeigt das Herzogtum bis in die Zeit
Dagoberts I. Spuren strengster Abhängigkeit 30. Wie anderwärts, ist
es auch hier erst seit der Erschlaffung der Centralgewalt zum Stammes-
herzogtum geworden.

Indem die Arnulfinger zuerst als Hausmeier und austrasische
Herzoge, dann als Könige der Franken sich die volle Wiederherstel-
lung der Reichseinheit zum Ziele setzten, sahen sie sich gezwungen,
das Stammesherzogtum allenthalben zu zertrümmern. In Schwaben
erlosch es mit Herzog Lantfrid, welcher im Jahre 730 von Karl
Martell bekriegt wurde und starb. Nach seinem Tode hat es in
Schwaben keinen von Reichswegen anerkannten Herzog mehr gegeben.
Wie das Herzogtum in Thüringen verschwand, wissen wir nicht.
Jedenfalls stand Thüringen bereits 741 unter der unmittelbaren Herr-

26 Lex Alam. 41, 1. Bezüglich der Grafen bestehen Zweifel. Waitz, VG
II 2, S. 370. W. Sickel, Volksherzogtum S. 455. Einen Anhaltspunkt für die Amts-
hoheit des bairischen Herzogs bietet c. 15 der decreta Niuhing. LL III 467, wo auf
wiederholten Ungehorsam gegen den Befehl des Herzogs Entfernung aus dem Amte
(ambacto vel officio) angedroht wird.
27 LL III 451. Jaffé, Bibl. III 104. Oben I 317.
28 H. Brunner, Die Landschenkungen der Merowinger und der Agilolfinger.
Berliner SB 1885, S. 1179 ff.
29 Lex Alam. 35, 1. Lex Baiuw. II 9.
30 H. Brunner, Alter der Lex Alam. Berliner SB 1885, S. 170.
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[159/0177] § 80. Das Herzogtum. Der Herzog nimmt die Friedensgelder, gefrontes und erbloses Gut; er übt den Fremdenschutz, entscheidet über Verhängung der Todesstrafe und Verbannung und hat die Befugnis der Strafmilderung. Wahr- scheinlich ernannte er die Grafen; sicher ist, daſs er in Schwaben die iudices bestellte 26. Das Kirchenregiment, das er früher in Baiern geübt hatte 27, ist zur Zeit der Entstehung der bairischen Lex ein be- schränktes; denn die Bischöfe werden vom König eingesetzt, und die Tötung des Bischofs wird dem Könige gebüſst. Es giebt einen herzog- lichen Fiskus und herzogliche Domänen. Den Landschenkungen der Merowinger entsprechen herzogliche Landschenkungen, die von den Beschenkten nicht ohne Konsens des Herzogs veräuſsert werden dür- fen 28. Die fränkische Freilassung durch Schatzwurf hat in Baiern ein Analogon in einer Freilassung durch die Hand des Herzogs. Stellt sich nach alledem das Stammesherzogtum, welches bei den Ober- deutschen geradezu regnum genannt wird 29, als eine Art von Unter- königtum dar, so ist es doch ein verhängnisvoller Irrtum, den Ur- sprung desselben in Gegensatz zu bringen zu dem des Amtsherzog- tums, es etwa gar als Überbleibsel eines alten vorfränkischen Volks- königtums zu erklären. In Schwaben und Baiern, wo es sich am selbständigsten entwickelt hat, zeigt das Herzogtum bis in die Zeit Dagoberts I. Spuren strengster Abhängigkeit 30. Wie anderwärts, ist es auch hier erst seit der Erschlaffung der Centralgewalt zum Stammes- herzogtum geworden. Indem die Arnulfinger zuerst als Hausmeier und austrasische Herzoge, dann als Könige der Franken sich die volle Wiederherstel- lung der Reichseinheit zum Ziele setzten, sahen sie sich gezwungen, das Stammesherzogtum allenthalben zu zertrümmern. In Schwaben erlosch es mit Herzog Lantfrid, welcher im Jahre 730 von Karl Martell bekriegt wurde und starb. Nach seinem Tode hat es in Schwaben keinen von Reichswegen anerkannten Herzog mehr gegeben. Wie das Herzogtum in Thüringen verschwand, wissen wir nicht. Jedenfalls stand Thüringen bereits 741 unter der unmittelbaren Herr- 26 Lex Alam. 41, 1. Bezüglich der Grafen bestehen Zweifel. Waitz, VG II 2, S. 370. W. Sickel, Volksherzogtum S. 455. Einen Anhaltspunkt für die Amts- hoheit des bairischen Herzogs bietet c. 15 der decreta Niuhing. LL III 467, wo auf wiederholten Ungehorsam gegen den Befehl des Herzogs Entfernung aus dem Amte (ambacto vel officio) angedroht wird. 27 LL III 451. Jaffé, Bibl. III 104. Oben I 317. 28 H. Brunner, Die Landschenkungen der Merowinger und der Agilolfinger. Berliner SB 1885, S. 1179 ff. 29 Lex Alam. 35, 1. Lex Baiuw. II 9. 30 H. Brunner, Alter der Lex Alam. Berliner SB 1885, S. 170.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/177>, abgerufen am 25.11.2024.