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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 78. Die Verwaltungsbezirke.
gau wieder. Dabei ist zu beachten, dass der Name des Stammes oder
der Völkerschaft regelmässig nur an einem einzelnen Gaue haften
blieb. So gab es einen Hassegau, einen pagus Westfala und Ostfala,
einen pagus Thuringorum (Nordthuringgo). Sehr viele Gaunamen
sind nach Flüssen, Gebirgen oder Wäldern gebildet. In Gegenden,
wo in römischer Zeit namhafte Städte entstanden waren, haben diese
den Gaunamen abgegeben 17.

An Stelle des Wortes Gau treten hie und da andere gleich-
wertige Ausdrücke auf; so Bant 18 und Land 19 bei Niederfranken und
Friesen, so Para 20, Bar bei den Alamannen 21, Eiba 22 und Feld 23
bei Franken und Thüringern.

Nur im allgemeinen trifft es zu, dass Gau und Grafschaft sich
decken, Gau oder pagus einen Grafschaftsgau bezeichnet und die Graf-
schaft Gaugrafschaft ist. Mag es schon von Anfang an vorgekommen
sein, dass die Grafschaft nicht an den alten Gau angeschlossen wurde,
so ist die ursprünglich vorhandene Identität im Laufe der Zeit vielfach
hinweggefallen. Grössere Gaue wurden unter mehrere Grafen verteilt;
Abteilungen des Gaues, etwa grössere Hundertschaften, erhoben sich
zu Grafschaften und wurden nunmehr selbst als Gaue bezeichnet.
Auch geschah es, dass ein Graf über mehrere Gaue gesetzt wurde 24.
In solchen Fällen erhielt sich der Gauname, um einen geographischen,
nicht einen politischen Bezirk zu bezeichnen. Andererseits wurde das
Wort pagus auch in umfassenderem Sinne, so in dem von provincia,
ducatus, gebraucht, während es auch auf kleinere Bezirke innerhalb
der Grafschaft Anwendung fand. Dasselbe gilt von der Bezeich-
nung Gau.


17 Wormsgau, Speiergau, Zurichgau, Augustgau, Salzburggau.
18 Ostrobant, Bracbant, Testerbant, Bursibant. Grimm, Gesch. der deut-
schen Spr. S. 412 f. Förstemann, Namenbuch II 179.
19 Hamaland, Masaland, Salland.
20 Para, die Schranke, urverwandt mit lat. forum. Schade, WB S. 40. Die
Bedeutung Landschaft, Gau, stammt wahrscheinlich von der Einfriedung der Ge-
richtsstätte, von der Schranne des Grafen. Vgl. Baumann, Die Gaugrafschaften im
würtembergischen Schwaben 1879, S. 122. Der Ausdruck Para ist sonach mit dem
angelsächsischen rape, dem südholländischen reep (oben I 145, Anm. 8), mit dem
friesischen bifang, Gericht und Gerichtssprengel, ursprünglich septum, ambitus
(Richthofen, WB S. 633, Graff III 413), zusammenzustellen.
21 Albunespara, Adalhartespara, Bertoltisbara, Folcholtespara.
22 Wetereiba, Winegarteiba.
23 Sualafeld, Grapfeld, Tullifeld, Eichsfeld, Werinofeld, Frisonefeld.
24 Waitz, VG III 381, Anm. 4. Sohm, Reichs- und Gerichtsverfassung
S. 201 ff.
Binding, Handbuch. II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 10

§ 78. Die Verwaltungsbezirke.
gau wieder. Dabei ist zu beachten, daſs der Name des Stammes oder
der Völkerschaft regelmäſsig nur an einem einzelnen Gaue haften
blieb. So gab es einen Hassegau, einen pagus Westfala und Ostfala,
einen pagus Thuringorum (Nordthuringgo). Sehr viele Gaunamen
sind nach Flüssen, Gebirgen oder Wäldern gebildet. In Gegenden,
wo in römischer Zeit namhafte Städte entstanden waren, haben diese
den Gaunamen abgegeben 17.

An Stelle des Wortes Gau treten hie und da andere gleich-
wertige Ausdrücke auf; so Bant 18 und Land 19 bei Niederfranken und
Friesen, so Para 20, Bar bei den Alamannen 21, Eiba 22 und Feld 23
bei Franken und Thüringern.

Nur im allgemeinen trifft es zu, daſs Gau und Grafschaft sich
decken, Gau oder pagus einen Grafschaftsgau bezeichnet und die Graf-
schaft Gaugrafschaft ist. Mag es schon von Anfang an vorgekommen
sein, daſs die Grafschaft nicht an den alten Gau angeschlossen wurde,
so ist die ursprünglich vorhandene Identität im Laufe der Zeit vielfach
hinweggefallen. Gröſsere Gaue wurden unter mehrere Grafen verteilt;
Abteilungen des Gaues, etwa gröſsere Hundertschaften, erhoben sich
zu Grafschaften und wurden nunmehr selbst als Gaue bezeichnet.
Auch geschah es, daſs ein Graf über mehrere Gaue gesetzt wurde 24.
In solchen Fällen erhielt sich der Gauname, um einen geographischen,
nicht einen politischen Bezirk zu bezeichnen. Andererseits wurde das
Wort pagus auch in umfassenderem Sinne, so in dem von provincia,
ducatus, gebraucht, während es auch auf kleinere Bezirke innerhalb
der Grafschaft Anwendung fand. Dasselbe gilt von der Bezeich-
nung Gau.


17 Wormsgau, Speiergau, Zurichgau, Augustgau, Salzburggau.
18 Ostrobant, Bracbant, Testerbant, Bursibant. Grimm, Gesch. der deut-
schen Spr. S. 412 f. Förstemann, Namenbuch II 179.
19 Hamaland, Masaland, Salland.
20 Para, die Schranke, urverwandt mit lat. forum. Schade, WB S. 40. Die
Bedeutung Landschaft, Gau, stammt wahrscheinlich von der Einfriedung der Ge-
richtsstätte, von der Schranne des Grafen. Vgl. Baumann, Die Gaugrafschaften im
würtembergischen Schwaben 1879, S. 122. Der Ausdruck Para ist sonach mit dem
angelsächsischen rape, dem südholländischen reep (oben I 145, Anm. 8), mit dem
friesischen bifang, Gericht und Gerichtssprengel, ursprünglich septum, ambitus
(Richthofen, WB S. 633, Graff III 413), zusammenzustellen.
21 Albunespara, Adalhartespara, Bertoltisbara, Folcholtespara.
22 Wetereiba, Winegarteiba.
23 Sualafeld, Grapfeld, Tullifeld, Eichsfeld, Werinofeld, Frisonefeld.
24 Waitz, VG III 381, Anm. 4. Sohm, Reichs- und Gerichtsverfassung
S. 201 ff.
Binding, Handbuch. II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 10
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[145/0163] § 78. Die Verwaltungsbezirke. gau wieder. Dabei ist zu beachten, daſs der Name des Stammes oder der Völkerschaft regelmäſsig nur an einem einzelnen Gaue haften blieb. So gab es einen Hassegau, einen pagus Westfala und Ostfala, einen pagus Thuringorum (Nordthuringgo). Sehr viele Gaunamen sind nach Flüssen, Gebirgen oder Wäldern gebildet. In Gegenden, wo in römischer Zeit namhafte Städte entstanden waren, haben diese den Gaunamen abgegeben 17. An Stelle des Wortes Gau treten hie und da andere gleich- wertige Ausdrücke auf; so Bant 18 und Land 19 bei Niederfranken und Friesen, so Para 20, Bar bei den Alamannen 21, Eiba 22 und Feld 23 bei Franken und Thüringern. Nur im allgemeinen trifft es zu, daſs Gau und Grafschaft sich decken, Gau oder pagus einen Grafschaftsgau bezeichnet und die Graf- schaft Gaugrafschaft ist. Mag es schon von Anfang an vorgekommen sein, daſs die Grafschaft nicht an den alten Gau angeschlossen wurde, so ist die ursprünglich vorhandene Identität im Laufe der Zeit vielfach hinweggefallen. Gröſsere Gaue wurden unter mehrere Grafen verteilt; Abteilungen des Gaues, etwa gröſsere Hundertschaften, erhoben sich zu Grafschaften und wurden nunmehr selbst als Gaue bezeichnet. Auch geschah es, daſs ein Graf über mehrere Gaue gesetzt wurde 24. In solchen Fällen erhielt sich der Gauname, um einen geographischen, nicht einen politischen Bezirk zu bezeichnen. Andererseits wurde das Wort pagus auch in umfassenderem Sinne, so in dem von provincia, ducatus, gebraucht, während es auch auf kleinere Bezirke innerhalb der Grafschaft Anwendung fand. Dasselbe gilt von der Bezeich- nung Gau. 17 Wormsgau, Speiergau, Zurichgau, Augustgau, Salzburggau. 18 Ostrobant, Bracbant, Testerbant, Bursibant. Grimm, Gesch. der deut- schen Spr. S. 412 f. Förstemann, Namenbuch II 179. 19 Hamaland, Masaland, Salland. 20 Para, die Schranke, urverwandt mit lat. forum. Schade, WB S. 40. Die Bedeutung Landschaft, Gau, stammt wahrscheinlich von der Einfriedung der Ge- richtsstätte, von der Schranne des Grafen. Vgl. Baumann, Die Gaugrafschaften im würtembergischen Schwaben 1879, S. 122. Der Ausdruck Para ist sonach mit dem angelsächsischen rape, dem südholländischen reep (oben I 145, Anm. 8), mit dem friesischen bifang, Gericht und Gerichtssprengel, ursprünglich septum, ambitus (Richthofen, WB S. 633, Graff III 413), zusammenzustellen. 21 Albunespara, Adalhartespara, Bertoltisbara, Folcholtespara. 22 Wetereiba, Winegarteiba. 23 Sualafeld, Grapfeld, Tullifeld, Eichsfeld, Werinofeld, Frisonefeld. 24 Waitz, VG III 381, Anm. 4. Sohm, Reichs- und Gerichtsverfassung S. 201 ff. Binding, Handbuch. II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 10

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/163>, abgerufen am 28.11.2024.