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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 77. Das Königsgericht.
Statt den Beklagten in bedingter Weise vorzuladen, mag der König
die Sache auch an den zunächst kompetenten Richter verweisen, in-
dem er ihn mittelst indiculus 24 auffordert, dem Kläger zu seinem
Rechte zu verhelfen oder aber, wenn er die Sache nicht erledigen
könne, den Beklagten vor das Königsgericht bringen zu lassen 25.

Das Königsgericht konnte ferner im Wege der reclamatio an-
gegangen werden. Personen und Kirchen, die im besonderen Schutze
des Königs standen 26, insbesondere auch die Vassallen des Königs 27,
durften ihre Rechtssachen durch Ausübung des Reklamationsrechtes
an den König dingen; ebenso die Vertreter des Fiskus und die In-
haber königlicher Benefizien 28 den das Königsgut betreffenden Prozess.
Die reclamatio konnte in jedem Stadium des Rechtsstreites angebracht
werden. Hatte der Reklamant die Rolle des Angeschuldigten, so
musste er anlässlich der Reklamation sein Erscheinen im Königsgerichte
angeloben, wadiare 29. Wurde die reclamatio erst geltend gemacht,
nachdem das Volksgericht das Urteil gefällt hatte, so sollte nach einer
Anordnung Karls des Grossen der Richter den Verurteilten unter Ge-
wahrsam an den Hof des Königs bringen lassen 30.

Das Königsgericht urteilt in gewissen Fällen als Zuggericht.
Chilperichs Edikt und die Lex Ribuaria kennen einen Rechtszug an
das Königsgericht gegen die Durchführung einer exekutiven Pfändung,
deren Rechtmässigkeit bestritten wird 31. Kapitularien Pippins und

bus possit opponere ... responsurus occurrat, seu ad comitatum (zum Hof) venire
seu in competenti foro iurgare maluerit. Die merowingischen indiculi zeichnen sich
vor den ostgotischen durch knappere juristische Fassung aus.
24 Marculf I 27: indecolum pro alio distringendum; I 28: carta audientiale.
Carta Senon. 18.
25 Über den Zusammenhang des anglo-normannischen Writprozesses mit den
fränkischen indiculi siehe H. Brunner, Schwurgerichte S. 82. 405. 409.
26 Siehe oben § 65.
27 Cap. von 884, c. 11, Pertz, LL I 553: quod si proclamaverint se ante
praesentiam nostram velle distringi potius quam ante comitem .., ante nos venire
permittatur, ut ibi talis ratio finem accipiat.
28 Muratori, Antiquit. V 923, v. J. 833: (si) se beneficii auctoritate reclamaverit.
29 H. Brunner, Zeugen- und Inquisitionsbeweis S. 57.
30 Cap. miss. Theod. II. v. J. 805, c. 8, I 123: et si ad palatium pro hac re
reclamaverint et litteras detullerint, non quidem eis credatur .. sed cum custodia
et cum ipsis litteris pariter ad palatium nostrum remittantur. Das 'non eis creda-
tur' ist nicht mit Esmein auf die Echtheit der Urkunde zu beziehen. Viel-
mehr soll dem Reklamanten nicht ohne weiteres geglaubt werden, wenn er ver-
spricht, die Sache an das Königsgericht zu leiten. Erschiene er trotzdem nicht
vor dem Könige, so würde die Sache verzögert oder die Erledigung der Sache un-
möglich gemacht werden.
31 Ed. Chilp. c. 8, Cap. I 9. Lex Rib. 32, 4. Siehe unten § 111.

§ 77. Das Königsgericht.
Statt den Beklagten in bedingter Weise vorzuladen, mag der König
die Sache auch an den zunächst kompetenten Richter verweisen, in-
dem er ihn mittelst indiculus 24 auffordert, dem Kläger zu seinem
Rechte zu verhelfen oder aber, wenn er die Sache nicht erledigen
könne, den Beklagten vor das Königsgericht bringen zu lassen 25.

Das Königsgericht konnte ferner im Wege der reclamatio an-
gegangen werden. Personen und Kirchen, die im besonderen Schutze
des Königs standen 26, insbesondere auch die Vassallen des Königs 27,
durften ihre Rechtssachen durch Ausübung des Reklamationsrechtes
an den König dingen; ebenso die Vertreter des Fiskus und die In-
haber königlicher Benefizien 28 den das Königsgut betreffenden Prozeſs.
Die reclamatio konnte in jedem Stadium des Rechtsstreites angebracht
werden. Hatte der Reklamant die Rolle des Angeschuldigten, so
muſste er anläſslich der Reklamation sein Erscheinen im Königsgerichte
angeloben, wadiare 29. Wurde die reclamatio erst geltend gemacht,
nachdem das Volksgericht das Urteil gefällt hatte, so sollte nach einer
Anordnung Karls des Groſsen der Richter den Verurteilten unter Ge-
wahrsam an den Hof des Königs bringen lassen 30.

Das Königsgericht urteilt in gewissen Fällen als Zuggericht.
Chilperichs Edikt und die Lex Ribuaria kennen einen Rechtszug an
das Königsgericht gegen die Durchführung einer exekutiven Pfändung,
deren Rechtmäſsigkeit bestritten wird 31. Kapitularien Pippins und

bus possit opponere … responsurus occurrat, seu ad comitatum (zum Hof) venire
seu in competenti foro iurgare maluerit. Die merowingischen indiculi zeichnen sich
vor den ostgotischen durch knappere juristische Fassung aus.
24 Marculf I 27: indecolum pro alio distringendum; I 28: carta audientiale.
Carta Senon. 18.
25 Über den Zusammenhang des anglo-normannischen Writprozesses mit den
fränkischen indiculi siehe H. Brunner, Schwurgerichte S. 82. 405. 409.
26 Siehe oben § 65.
27 Cap. von 884, c. 11, Pertz, LL I 553: quod si proclamaverint se ante
praesentiam nostram velle distringi potius quam ante comitem .., ante nos venire
permittatur, ut ibi talis ratio finem accipiat.
28 Muratori, Antiquit. V 923, v. J. 833: (si) se beneficii auctoritate reclamaverit.
29 H. Brunner, Zeugen- und Inquisitionsbeweis S. 57.
30 Cap. miss. Theod. II. v. J. 805, c. 8, I 123: et si ad palatium pro hac re
reclamaverint et litteras detullerint, non quidem eis credatur .. sed cum custodia
et cum ipsis litteris pariter ad palatium nostrum remittantur. Das ‘non eis creda-
tur’ ist nicht mit Esmein auf die Echtheit der Urkunde zu beziehen. Viel-
mehr soll dem Reklamanten nicht ohne weiteres geglaubt werden, wenn er ver-
spricht, die Sache an das Königsgericht zu leiten. Erschiene er trotzdem nicht
vor dem Könige, so würde die Sache verzögert oder die Erledigung der Sache un-
möglich gemacht werden.
31 Ed. Chilp. c. 8, Cap. I 9. Lex Rib. 32, 4. Siehe unten § 111.
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[138/0156] § 77. Das Königsgericht. Statt den Beklagten in bedingter Weise vorzuladen, mag der König die Sache auch an den zunächst kompetenten Richter verweisen, in- dem er ihn mittelst indiculus 24 auffordert, dem Kläger zu seinem Rechte zu verhelfen oder aber, wenn er die Sache nicht erledigen könne, den Beklagten vor das Königsgericht bringen zu lassen 25. Das Königsgericht konnte ferner im Wege der reclamatio an- gegangen werden. Personen und Kirchen, die im besonderen Schutze des Königs standen 26, insbesondere auch die Vassallen des Königs 27, durften ihre Rechtssachen durch Ausübung des Reklamationsrechtes an den König dingen; ebenso die Vertreter des Fiskus und die In- haber königlicher Benefizien 28 den das Königsgut betreffenden Prozeſs. Die reclamatio konnte in jedem Stadium des Rechtsstreites angebracht werden. Hatte der Reklamant die Rolle des Angeschuldigten, so muſste er anläſslich der Reklamation sein Erscheinen im Königsgerichte angeloben, wadiare 29. Wurde die reclamatio erst geltend gemacht, nachdem das Volksgericht das Urteil gefällt hatte, so sollte nach einer Anordnung Karls des Groſsen der Richter den Verurteilten unter Ge- wahrsam an den Hof des Königs bringen lassen 30. Das Königsgericht urteilt in gewissen Fällen als Zuggericht. Chilperichs Edikt und die Lex Ribuaria kennen einen Rechtszug an das Königsgericht gegen die Durchführung einer exekutiven Pfändung, deren Rechtmäſsigkeit bestritten wird 31. Kapitularien Pippins und 23 24 Marculf I 27: indecolum pro alio distringendum; I 28: carta audientiale. Carta Senon. 18. 25 Über den Zusammenhang des anglo-normannischen Writprozesses mit den fränkischen indiculi siehe H. Brunner, Schwurgerichte S. 82. 405. 409. 26 Siehe oben § 65. 27 Cap. von 884, c. 11, Pertz, LL I 553: quod si proclamaverint se ante praesentiam nostram velle distringi potius quam ante comitem .., ante nos venire permittatur, ut ibi talis ratio finem accipiat. 28 Muratori, Antiquit. V 923, v. J. 833: (si) se beneficii auctoritate reclamaverit. 29 H. Brunner, Zeugen- und Inquisitionsbeweis S. 57. 30 Cap. miss. Theod. II. v. J. 805, c. 8, I 123: et si ad palatium pro hac re reclamaverint et litteras detullerint, non quidem eis credatur .. sed cum custodia et cum ipsis litteris pariter ad palatium nostrum remittantur. Das ‘non eis creda- tur’ ist nicht mit Esmein auf die Echtheit der Urkunde zu beziehen. Viel- mehr soll dem Reklamanten nicht ohne weiteres geglaubt werden, wenn er ver- spricht, die Sache an das Königsgericht zu leiten. Erschiene er trotzdem nicht vor dem Könige, so würde die Sache verzögert oder die Erledigung der Sache un- möglich gemacht werden. 31 Ed. Chilp. c. 8, Cap. I 9. Lex Rib. 32, 4. Siehe unten § 111. 23 bus possit opponere … responsurus occurrat, seu ad comitatum (zum Hof) venire seu in competenti foro iurgare maluerit. Die merowingischen indiculi zeichnen sich vor den ostgotischen durch knappere juristische Fassung aus.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/156>, abgerufen am 25.11.2024.