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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 75. Die Beamten der Domänenverwaltung.
scheinlich dem einstigen Bureauvorsteher des rationalis, und ebenso
ist dessen vermutlicher Titel auf die Domänenbeamten der fränkischen
Provinzialverwaltung übergegangen.

Das Amt des Hofdomestikus fehlt dem karolingischen Ämter-
wesen. Noch in merowingischer Zeit hatte die steigende Gewalt des
maior domus die Funktionen des Hofdomestikus an sich gezogen 36.
Vom Hofe aus sind unter den Karolingern, soweit nicht der König
oder die Königin direkt eingreift, besonders der Seneschall und der
Schenke an der Domänenverwaltung beteiligt 37. Die Domestici der
Dukate scheinen mit den Herzogtümern beseitigt worden zu sein.
Wie die karolingische Verfassung die Herzoge in gewissem Sinne durch
die Missi ersetzt, so steht auch die Domänenverwaltung unter der
Aufsicht und Kontrolle der Missi. Der Name domestici wird zwar bei
Aufzählungen der Beamtenklassen noch fortgeführt; aber im allgemeinen
werden die Domänenbeamten unter den Karolingern actores do-
minici genannt oder auch actores schlechtweg. Als actores be-
gegnen schon in merowingischer Zeit 38 königliche Gutsverwalter, die,
wie es scheint, über einen einzelnen Fiskus, d. h. über einen könig-
lichen Gutskomplex mit selbständigem und einheitlichem Wirtschafts-
betrieb, gesetzt waren. Die actores dominici oder actores finden sich
auch bei den Westgoten 39, Burgundern 40 und Langobarden 41 und
entstammen der römischen Terminologie, welche so u. a. auch die ra-
tionales bezeichnete 42.

Der karolingische actor dominicus heisst auch iudex (fisci), pro-

36 In der an den Hofdomesticus gerichteten Formel Marculf I 39 hat die
Handschrift A 3 statt illo comitae: ill. maiorem domus. Über das Hinübergreifen
der Stellung des maior domus in die Angelegenheiten des Domänenwesens siehe
oben S. 105.
37 Cap. de villis c. 16, I 84. Vgl. Hincmar, De ordine palatii c. 23, wonach
auch der Stallgraf und der Quartiermeister den actores regis Anweisungen gaben.
38 Lex Rib. 58, 20; 65, 2. 3 (auctores für actores, vgl. Aistulf 7). Chloth.
praec. c. 11, Cap. I 19. Ein actor einer königlichen Villa in Greg. Tur. Hist.
Franc. IX 38 i. f. Ein actor Tassilos III. in Keinz, Indiculus Arn. S. 64. Actor
bedeutet auch wie agens den Beamten schlechtweg. Siehe oben S. 79.
39 Auch actores fisci. Dahn, Könige VI 343.
40 Lex Burg. 50, 1.
41 Notitia de actoribus regis v. J. 733, Roth. 375 und an verschiedenen Stellen
des Ediktes.
42 Cod. Theod. II 1, 11; XI 19, 4. Brev. Al. Cod. Th. X 1 nennt rationales
et magistri privatae rei atque officiales; die Interpretatio sagt dafür ordinatores
domorum dominicarum, die Epitome Aegidii actores.

§ 75. Die Beamten der Domänenverwaltung.
scheinlich dem einstigen Bureauvorsteher des rationalis, und ebenso
ist dessen vermutlicher Titel auf die Domänenbeamten der fränkischen
Provinzialverwaltung übergegangen.

Das Amt des Hofdomestikus fehlt dem karolingischen Ämter-
wesen. Noch in merowingischer Zeit hatte die steigende Gewalt des
maior domus die Funktionen des Hofdomestikus an sich gezogen 36.
Vom Hofe aus sind unter den Karolingern, soweit nicht der König
oder die Königin direkt eingreift, besonders der Seneschall und der
Schenke an der Domänenverwaltung beteiligt 37. Die Domestici der
Dukate scheinen mit den Herzogtümern beseitigt worden zu sein.
Wie die karolingische Verfassung die Herzoge in gewissem Sinne durch
die Missi ersetzt, so steht auch die Domänenverwaltung unter der
Aufsicht und Kontrolle der Missi. Der Name domestici wird zwar bei
Aufzählungen der Beamtenklassen noch fortgeführt; aber im allgemeinen
werden die Domänenbeamten unter den Karolingern actores do-
minici genannt oder auch actores schlechtweg. Als actores be-
gegnen schon in merowingischer Zeit 38 königliche Gutsverwalter, die,
wie es scheint, über einen einzelnen Fiskus, d. h. über einen könig-
lichen Gutskomplex mit selbständigem und einheitlichem Wirtschafts-
betrieb, gesetzt waren. Die actores dominici oder actores finden sich
auch bei den Westgoten 39, Burgundern 40 und Langobarden 41 und
entstammen der römischen Terminologie, welche so u. a. auch die ra-
tionales bezeichnete 42.

Der karolingische actor dominicus heiſst auch iudex (fisci), pro-

36 In der an den Hofdomesticus gerichteten Formel Marculf I 39 hat die
Handschrift A 3 statt illo comitae: ill. maiorem domus. Über das Hinübergreifen
der Stellung des maior domus in die Angelegenheiten des Domänenwesens siehe
oben S. 105.
37 Cap. de villis c. 16, I 84. Vgl. Hincmar, De ordine palatii c. 23, wonach
auch der Stallgraf und der Quartiermeister den actores regis Anweisungen gaben.
38 Lex Rib. 58, 20; 65, 2. 3 (auctores für actores, vgl. Aistulf 7). Chloth.
praec. c. 11, Cap. I 19. Ein actor einer königlichen Villa in Greg. Tur. Hist.
Franc. IX 38 i. f. Ein actor Tassilos III. in Keinz, Indiculus Arn. S. 64. Actor
bedeutet auch wie agens den Beamten schlechtweg. Siehe oben S. 79.
39 Auch actores fisci. Dahn, Könige VI 343.
40 Lex Burg. 50, 1.
41 Notitia de actoribus regis v. J. 733, Roth. 375 und an verschiedenen Stellen
des Ediktes.
42 Cod. Theod. II 1, 11; XI 19, 4. Brev. Al. Cod. Th. X 1 nennt rationales
et magistri privatae rei atque officiales; die Interpretatio sagt dafür ordinatores
domorum dominicarum, die Epitome Aegidii actores.
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[123/0141] § 75. Die Beamten der Domänenverwaltung. scheinlich dem einstigen Bureauvorsteher des rationalis, und ebenso ist dessen vermutlicher Titel auf die Domänenbeamten der fränkischen Provinzialverwaltung übergegangen. Das Amt des Hofdomestikus fehlt dem karolingischen Ämter- wesen. Noch in merowingischer Zeit hatte die steigende Gewalt des maior domus die Funktionen des Hofdomestikus an sich gezogen 36. Vom Hofe aus sind unter den Karolingern, soweit nicht der König oder die Königin direkt eingreift, besonders der Seneschall und der Schenke an der Domänenverwaltung beteiligt 37. Die Domestici der Dukate scheinen mit den Herzogtümern beseitigt worden zu sein. Wie die karolingische Verfassung die Herzoge in gewissem Sinne durch die Missi ersetzt, so steht auch die Domänenverwaltung unter der Aufsicht und Kontrolle der Missi. Der Name domestici wird zwar bei Aufzählungen der Beamtenklassen noch fortgeführt; aber im allgemeinen werden die Domänenbeamten unter den Karolingern actores do- minici genannt oder auch actores schlechtweg. Als actores be- gegnen schon in merowingischer Zeit 38 königliche Gutsverwalter, die, wie es scheint, über einen einzelnen Fiskus, d. h. über einen könig- lichen Gutskomplex mit selbständigem und einheitlichem Wirtschafts- betrieb, gesetzt waren. Die actores dominici oder actores finden sich auch bei den Westgoten 39, Burgundern 40 und Langobarden 41 und entstammen der römischen Terminologie, welche so u. a. auch die ra- tionales bezeichnete 42. Der karolingische actor dominicus heiſst auch iudex (fisci), pro- 36 In der an den Hofdomesticus gerichteten Formel Marculf I 39 hat die Handschrift A 3 statt illo comitae: ill. maiorem domus. Über das Hinübergreifen der Stellung des maior domus in die Angelegenheiten des Domänenwesens siehe oben S. 105. 37 Cap. de villis c. 16, I 84. Vgl. Hincmar, De ordine palatii c. 23, wonach auch der Stallgraf und der Quartiermeister den actores regis Anweisungen gaben. 38 Lex Rib. 58, 20; 65, 2. 3 (auctores für actores, vgl. Aistulf 7). Chloth. praec. c. 11, Cap. I 19. Ein actor einer königlichen Villa in Greg. Tur. Hist. Franc. IX 38 i. f. Ein actor Tassilos III. in Keinz, Indiculus Arn. S. 64. Actor bedeutet auch wie agens den Beamten schlechtweg. Siehe oben S. 79. 39 Auch actores fisci. Dahn, Könige VI 343. 40 Lex Burg. 50, 1. 41 Notitia de actoribus regis v. J. 733, Roth. 375 und an verschiedenen Stellen des Ediktes. 42 Cod. Theod. II 1, 11; XI 19, 4. Brev. Al. Cod. Th. X 1 nennt rationales et magistri privatae rei atque officiales; die Interpretatio sagt dafür ordinatores domorum dominicarum, die Epitome Aegidii actores.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/141>, abgerufen am 07.05.2024.