Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

und als römischer Kaiser.
lingischen Hauses. Allerdings scheint Pippin eigentliche Regierungs-
rechte im römischen Gebiete nicht ausgeübt zu haben, wie er sich
denn auch amtlich nie als Patricius bezeichnete14. Praktische staats-
rechtliche Bedeutung konnte der Patriciat erst erlangen, nachdem die
Unterwerfung des Langobardenreiches eine unmittelbare dauernde
Einwirkung des fränkischen Königs auf innere Verhältnisse des römi-
schen Gebietes ermöglicht hatte. Schon als Karl im Frühjahr 774
nach Rom kam, liess er sich vom Papste mit den Ehren empfangen,
welche bei Empfang eines Exarchen oder Patricius herkömmlich waren15.
Im Juli 774 nahm er den Patricius Romanorum in seinen Titel auf.
Als solcher behandelte er das römische Gebiet wie einen Teil seines
Reiches, liess sich von den Römern und im Exarchat den Treueid
schwören und übte Akte der Gerichtsbarkeit. Die Abhängigkeit Roms
vom griechischen Kaiser, wie sie bis dahin wenigstens in Formalien
festgehalten worden war, verschwand nunmehr in ihren letzten Resten,
ebenso der Begriff der respublica Romanorum. Seit Leo III. (795 bis
816) datierte die Kurie ihre Aktenstücke nach den Regierungsjahren
Karls des Grossen16. Als Leo III. seine Wahl dem fränkischen König
anzeigte, gelobte er ihm Treue17, sendete ihm die Schlüssel vom Grabe
des heiligen Petrus und das Banner der Stadt Rom und bat ihn
um Absendung eines Missus, der dem römischen Volke den Eid der
Treue und Unterthanschaft abnehme18. Karl erklärte vom Papste zu
erwarten, dass er thue, was zur Festigung des Patriciates erforderlich
sei. Er nahm Anklagen gegen den Papst entgegen und waltete als
Richter in Sachen des Papstes. Verfassungsmässig stellte sich das
päpstliche Gebiet als eine mit umfassenden Hoheits- und Immunitäts-

14 Eine angebliche Urkunde Pippins, worin er sich und seinen Nachfolgern
für die dem Papste versprochenen Gebiete nur das Recht vorbehält, dass man für
ihn bete und ihn Patricius Romanorum nenne, ist eine ungeschickte Fälschung.
Mühlbacher Nr. 73.
15 sicut mos est ad exarchum aut patricium suscipiendum. Vita Hadriani
c. 36, Duchesne, Liber pontif. I 497.
16 Hadrian I. hatte 772 noch nach den Regierungsjahren der griechischen
Kaiser gerechnet.
17 Perlectis excellentiae vestrae litteris et audita decretali cartula (den Wahl-
acten) valde .. gavisi sumus, schreibt Karl an Leo, .. in humilitatis vestrae ob-
edientia et in promissionis ad nos fidelitate. Mühlbacher, Nr. 321. Unter
promissio ist nach Th. Sickel, Privilegium S. 159, das von Leo eingesendete
Treugelöbnis zu verstehen.
18 qui populum Romanum ad suam (regis) fidem et subiectionem per sacra-
menta firmaret. Annales Einhardi zu 796.

und als römischer Kaiser.
lingischen Hauses. Allerdings scheint Pippin eigentliche Regierungs-
rechte im römischen Gebiete nicht ausgeübt zu haben, wie er sich
denn auch amtlich nie als Patricius bezeichnete14. Praktische staats-
rechtliche Bedeutung konnte der Patriciat erst erlangen, nachdem die
Unterwerfung des Langobardenreiches eine unmittelbare dauernde
Einwirkung des fränkischen Königs auf innere Verhältnisse des römi-
schen Gebietes ermöglicht hatte. Schon als Karl im Frühjahr 774
nach Rom kam, lieſs er sich vom Papste mit den Ehren empfangen,
welche bei Empfang eines Exarchen oder Patricius herkömmlich waren15.
Im Juli 774 nahm er den Patricius Romanorum in seinen Titel auf.
Als solcher behandelte er das römische Gebiet wie einen Teil seines
Reiches, lieſs sich von den Römern und im Exarchat den Treueid
schwören und übte Akte der Gerichtsbarkeit. Die Abhängigkeit Roms
vom griechischen Kaiser, wie sie bis dahin wenigstens in Formalien
festgehalten worden war, verschwand nunmehr in ihren letzten Resten,
ebenso der Begriff der respublica Romanorum. Seit Leo III. (795 bis
816) datierte die Kurie ihre Aktenstücke nach den Regierungsjahren
Karls des Groſsen16. Als Leo III. seine Wahl dem fränkischen König
anzeigte, gelobte er ihm Treue17, sendete ihm die Schlüssel vom Grabe
des heiligen Petrus und das Banner der Stadt Rom und bat ihn
um Absendung eines Missus, der dem römischen Volke den Eid der
Treue und Unterthanschaft abnehme18. Karl erklärte vom Papste zu
erwarten, daſs er thue, was zur Festigung des Patriciates erforderlich
sei. Er nahm Anklagen gegen den Papst entgegen und waltete als
Richter in Sachen des Papstes. Verfassungsmäſsig stellte sich das
päpstliche Gebiet als eine mit umfassenden Hoheits- und Immunitäts-

14 Eine angebliche Urkunde Pippins, worin er sich und seinen Nachfolgern
für die dem Papste versprochenen Gebiete nur das Recht vorbehält, daſs man für
ihn bete und ihn Patricius Romanorum nenne, ist eine ungeschickte Fälschung.
Mühlbacher Nr. 73.
15 sicut mos est ad exarchum aut patricium suscipiendum. Vita Hadriani
c. 36, Duchesne, Liber pontif. I 497.
16 Hadrian I. hatte 772 noch nach den Regierungsjahren der griechischen
Kaiser gerechnet.
17 Perlectis excellentiae vestrae litteris et audita decretali cartula (den Wahl-
acten) valde .. gavisi sumus, schreibt Karl an Leo, .. in humilitatis vestrae ob-
edientia et in promissionis ad nos fidelitate. Mühlbacher, Nr. 321. Unter
promissio ist nach Th. Sickel, Privilegium S. 159, das von Leo eingesendete
Treugelöbnis zu verstehen.
18 qui populum Romanum ad suam (regis) fidem et subiectionem per sacra-
menta firmaret. Annales Einhardi zu 796.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0105" n="87"/><fw place="top" type="header">und als römischer Kaiser.</fw><lb/>
lingischen Hauses. Allerdings scheint Pippin eigentliche Regierungs-<lb/>
rechte im römischen Gebiete nicht ausgeübt zu haben, wie er sich<lb/>
denn auch amtlich nie als Patricius bezeichnete<note place="foot" n="14">Eine angebliche Urkunde Pippins, worin er sich und seinen Nachfolgern<lb/>
für die dem Papste versprochenen Gebiete nur das Recht vorbehält, da&#x017F;s man für<lb/>
ihn bete und ihn Patricius Romanorum nenne, ist eine ungeschickte Fälschung.<lb/><hi rendition="#g">Mühlbacher</hi> Nr. 73.</note>. Praktische staats-<lb/>
rechtliche Bedeutung konnte der Patriciat erst erlangen, nachdem die<lb/>
Unterwerfung des Langobardenreiches eine unmittelbare dauernde<lb/>
Einwirkung des fränkischen Königs auf innere Verhältnisse des römi-<lb/>
schen Gebietes ermöglicht hatte. Schon als Karl im Frühjahr 774<lb/>
nach Rom kam, lie&#x017F;s er sich vom Papste mit den Ehren empfangen,<lb/>
welche bei Empfang eines Exarchen oder Patricius herkömmlich waren<note place="foot" n="15">sicut mos est ad exarchum aut patricium suscipiendum. Vita Hadriani<lb/>
c. 36, Duchesne, Liber pontif. I 497.</note>.<lb/>
Im Juli 774 nahm er den Patricius Romanorum in seinen Titel auf.<lb/>
Als solcher behandelte er das römische Gebiet wie einen Teil seines<lb/>
Reiches, lie&#x017F;s sich von den Römern und im Exarchat den Treueid<lb/>
schwören und übte Akte der Gerichtsbarkeit. Die Abhängigkeit Roms<lb/>
vom griechischen Kaiser, wie sie bis dahin wenigstens in Formalien<lb/>
festgehalten worden war, verschwand nunmehr in ihren letzten Resten,<lb/>
ebenso der Begriff der respublica Romanorum. Seit Leo III. (795 bis<lb/>
816) datierte die Kurie ihre Aktenstücke nach den Regierungsjahren<lb/>
Karls des Gro&#x017F;sen<note place="foot" n="16">Hadrian I. hatte 772 noch nach den Regierungsjahren der griechischen<lb/>
Kaiser gerechnet.</note>. Als Leo III. seine Wahl dem fränkischen König<lb/>
anzeigte, gelobte er ihm Treue<note place="foot" n="17">Perlectis excellentiae vestrae litteris et audita decretali cartula (den Wahl-<lb/>
acten) valde .. gavisi sumus, schreibt Karl an Leo, .. in humilitatis vestrae ob-<lb/>
edientia et in promissionis ad nos fidelitate. <hi rendition="#g">Mühlbacher</hi>, Nr. 321. Unter<lb/>
promissio ist nach <hi rendition="#g">Th. Sickel</hi>, Privilegium S. 159, das von Leo eingesendete<lb/>
Treugelöbnis zu verstehen.</note>, sendete ihm die Schlüssel vom Grabe<lb/>
des heiligen Petrus und das Banner der Stadt Rom und bat ihn<lb/>
um Absendung eines Missus, der dem römischen Volke den Eid der<lb/>
Treue und Unterthanschaft abnehme<note place="foot" n="18">qui populum Romanum ad suam (regis) fidem et subiectionem per sacra-<lb/>
menta firmaret. Annales Einhardi zu 796.</note>. Karl erklärte vom Papste zu<lb/>
erwarten, da&#x017F;s er thue, was zur Festigung des Patriciates erforderlich<lb/>
sei. Er nahm Anklagen gegen den Papst entgegen und waltete als<lb/>
Richter in Sachen des Papstes. Verfassungsmä&#x017F;sig stellte sich das<lb/>
päpstliche Gebiet als eine mit umfassenden Hoheits- und Immunitäts-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[87/0105] und als römischer Kaiser. lingischen Hauses. Allerdings scheint Pippin eigentliche Regierungs- rechte im römischen Gebiete nicht ausgeübt zu haben, wie er sich denn auch amtlich nie als Patricius bezeichnete 14. Praktische staats- rechtliche Bedeutung konnte der Patriciat erst erlangen, nachdem die Unterwerfung des Langobardenreiches eine unmittelbare dauernde Einwirkung des fränkischen Königs auf innere Verhältnisse des römi- schen Gebietes ermöglicht hatte. Schon als Karl im Frühjahr 774 nach Rom kam, lieſs er sich vom Papste mit den Ehren empfangen, welche bei Empfang eines Exarchen oder Patricius herkömmlich waren 15. Im Juli 774 nahm er den Patricius Romanorum in seinen Titel auf. Als solcher behandelte er das römische Gebiet wie einen Teil seines Reiches, lieſs sich von den Römern und im Exarchat den Treueid schwören und übte Akte der Gerichtsbarkeit. Die Abhängigkeit Roms vom griechischen Kaiser, wie sie bis dahin wenigstens in Formalien festgehalten worden war, verschwand nunmehr in ihren letzten Resten, ebenso der Begriff der respublica Romanorum. Seit Leo III. (795 bis 816) datierte die Kurie ihre Aktenstücke nach den Regierungsjahren Karls des Groſsen 16. Als Leo III. seine Wahl dem fränkischen König anzeigte, gelobte er ihm Treue 17, sendete ihm die Schlüssel vom Grabe des heiligen Petrus und das Banner der Stadt Rom und bat ihn um Absendung eines Missus, der dem römischen Volke den Eid der Treue und Unterthanschaft abnehme 18. Karl erklärte vom Papste zu erwarten, daſs er thue, was zur Festigung des Patriciates erforderlich sei. Er nahm Anklagen gegen den Papst entgegen und waltete als Richter in Sachen des Papstes. Verfassungsmäſsig stellte sich das päpstliche Gebiet als eine mit umfassenden Hoheits- und Immunitäts- 14 Eine angebliche Urkunde Pippins, worin er sich und seinen Nachfolgern für die dem Papste versprochenen Gebiete nur das Recht vorbehält, daſs man für ihn bete und ihn Patricius Romanorum nenne, ist eine ungeschickte Fälschung. Mühlbacher Nr. 73. 15 sicut mos est ad exarchum aut patricium suscipiendum. Vita Hadriani c. 36, Duchesne, Liber pontif. I 497. 16 Hadrian I. hatte 772 noch nach den Regierungsjahren der griechischen Kaiser gerechnet. 17 Perlectis excellentiae vestrae litteris et audita decretali cartula (den Wahl- acten) valde .. gavisi sumus, schreibt Karl an Leo, .. in humilitatis vestrae ob- edientia et in promissionis ad nos fidelitate. Mühlbacher, Nr. 321. Unter promissio ist nach Th. Sickel, Privilegium S. 159, das von Leo eingesendete Treugelöbnis zu verstehen. 18 qui populum Romanum ad suam (regis) fidem et subiectionem per sacra- menta firmaret. Annales Einhardi zu 796.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/105
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/105>, abgerufen am 25.11.2024.