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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 70. Der fränkische König als Patricius Romanorum
Recht übte, die Papstwahlen zu prüfen und zu genehmigen2. Vom
letzten Viertel des sechsten Jahrhunderts ab zerfiel das byzantinische
Italien in Verwaltungssprengel, an deren Spitze ein dux stand. Der
dux besass Militär- und Civilgewalt. Er hatte regelmässig den Konsul-
titel und im Laufe der Zeit wurde es herkömmlich, ihn als Konsul
zu bezeichnen3. Unter einem solchen dux stand auch das Gebiet von
Rom und Umgebung, seit dem achten Jahrhundert ducatus Romanus
genannt4.

Da dem oströmischen Kaisertum und seinen Organen die
Macht fehlte, die byzantinischen Gebiete Mittelitaliens gegen die vor-
dringenden Langobarden auf die Dauer mit Erfolg zu verteidigen, da
zudem der Hof von Konstantinopel durch den Kampf gegen die Bilder-
verehrung sich in Widerspruch setzte zu den religiösen Gefühlen der
italischen Unterthanen, gelang es den Päpsten die thatsächliche Leitung
und Vertretung der römischen Bevölkerung zu gewinnen.

Vom Langobardenkönig Liutprand bedrängt, wandte sich Papst
Gregor III. im J. 739 um Hülfe an den fränkischen Hausmeier Karl
Martell, übersendete ihm die Schlüssel vom Grabe des heiligen
Petrus und bot ihm an, vom oströmischen Kaiser abzufallen und sich
samt dem römischen Volke durch Übertragung des römischen Kon-
sulats (des Dukats) der Herrschaft Karl Martells zu unterwerfen5. Der

liehener Ehrentitel. Mommsen, Ostgoth. Studien, NA XIV 483. Mitunter diente
er als Verlegenheitstitel für eine amtlich anerkannte Stellung, der man einen an-
deren Namen nicht geben wollte oder konnte.
2 Vorübergehend war das Bestätigungsrecht schon früher, zuerst wahrschein-
lich 625, dem Exarchen übertragen worden. Th. v. Sickel, Prolegomena zum
Liber diurnus II 52--72 (Wiener SB CXVII). Vgl. Diehl S. 180.
3 Diehl S. 147. Ludo Hartmann S. 57. 154. 161. Hugo Cohn S. 117.
4 Ludo Hartmann S. 135. Die Vita Zachariae spricht in c. 2 zum Jahre
739, Duchesne, Liber pontif. I 426, von einem Stephano quondam patricio et duce.
Dieser römische dux erscheint noch i. J. 743, Vita Zachariae c. 12: Der Papst
geht nach Ravenna relicta Romana urbe Stephano patricio et duci ad guber-
nandum. Eine bei Duchesne S. 436 erwähnte Bleibulle zeigt die Aufschrift: Ste-
phano patrikio kai douki Romes. Er war dux mit dem Titel Patricius. Daraus
folgt nicht, dass er, wie Hartmann meint, vom Exarchen unabhängig gewesen sei.
Übrigens wäre es nicht schlechthin widersinnig, den Ausdruck quondam patricius
auf einen Lebenden zu beziehen. Patricius und expatricius unterscheidet Cod. Iust.
III 24, 3 (von Zeno) und das Konzil von Kalchedon v. J. 451, nach Mommsen
S. 484, Anm. 1: 'ein seltsames Rätsel', aber doch m. E. ein Beleg, dass man den
Titel Patricius mitunter nach Art eines Amtstitels behandelte, indem man etwa
unter Expatricius einen Patricius verstand, der das Amt nicht mehr führte, mit
dem er den Titel erhalten hatte.
5 Fredeg. Cont. 22 (110): eo pacto peracto, ut a partibus imperatoris recederet
et romano consulto (consulato) praefato principe Carlo sanciret. Dazu die Beleg-

§ 70. Der fränkische König als Patricius Romanorum
Recht übte, die Papstwahlen zu prüfen und zu genehmigen2. Vom
letzten Viertel des sechsten Jahrhunderts ab zerfiel das byzantinische
Italien in Verwaltungssprengel, an deren Spitze ein dux stand. Der
dux besaſs Militär- und Civilgewalt. Er hatte regelmäſsig den Konsul-
titel und im Laufe der Zeit wurde es herkömmlich, ihn als Konsul
zu bezeichnen3. Unter einem solchen dux stand auch das Gebiet von
Rom und Umgebung, seit dem achten Jahrhundert ducatus Romanus
genannt4.

Da dem oströmischen Kaisertum und seinen Organen die
Macht fehlte, die byzantinischen Gebiete Mittelitaliens gegen die vor-
dringenden Langobarden auf die Dauer mit Erfolg zu verteidigen, da
zudem der Hof von Konstantinopel durch den Kampf gegen die Bilder-
verehrung sich in Widerspruch setzte zu den religiösen Gefühlen der
italischen Unterthanen, gelang es den Päpsten die thatsächliche Leitung
und Vertretung der römischen Bevölkerung zu gewinnen.

Vom Langobardenkönig Liutprand bedrängt, wandte sich Papst
Gregor III. im J. 739 um Hülfe an den fränkischen Hausmeier Karl
Martell, übersendete ihm die Schlüssel vom Grabe des heiligen
Petrus und bot ihm an, vom oströmischen Kaiser abzufallen und sich
samt dem römischen Volke durch Übertragung des römischen Kon-
sulats (des Dukats) der Herrschaft Karl Martells zu unterwerfen5. Der

liehener Ehrentitel. Mommsen, Ostgoth. Studien, NA XIV 483. Mitunter diente
er als Verlegenheitstitel für eine amtlich anerkannte Stellung, der man einen an-
deren Namen nicht geben wollte oder konnte.
2 Vorübergehend war das Bestätigungsrecht schon früher, zuerst wahrschein-
lich 625, dem Exarchen übertragen worden. Th. v. Sickel, Prolegomena zum
Liber diurnus II 52—72 (Wiener SB CXVII). Vgl. Diehl S. 180.
3 Diehl S. 147. Ludo Hartmann S. 57. 154. 161. Hugo Cohn S. 117.
4 Ludo Hartmann S. 135. Die Vita Zachariae spricht in c. 2 zum Jahre
739, Duchesne, Liber pontif. I 426, von einem Stephano quondam patricio et duce.
Dieser römische dux erscheint noch i. J. 743, Vita Zachariae c. 12: Der Papst
geht nach Ravenna relicta Romana urbe Stephano patricio et duci ad guber-
nandum. Eine bei Duchesne S. 436 erwähnte Bleibulle zeigt die Aufschrift: Στε-
φάνῳ πατϱικίῳ καὶ δούκι Ῥώμης. Er war dux mit dem Titel Patricius. Daraus
folgt nicht, daſs er, wie Hartmann meint, vom Exarchen unabhängig gewesen sei.
Übrigens wäre es nicht schlechthin widersinnig, den Ausdruck quondam patricius
auf einen Lebenden zu beziehen. Patricius und expatricius unterscheidet Cod. Iust.
III 24, 3 (von Zeno) und das Konzil von Kalchedon v. J. 451, nach Mommsen
S. 484, Anm. 1: ‘ein seltsames Rätsel’, aber doch m. E. ein Beleg, daſs man den
Titel Patricius mitunter nach Art eines Amtstitels behandelte, indem man etwa
unter Expatricius einen Patricius verstand, der das Amt nicht mehr führte, mit
dem er den Titel erhalten hatte.
5 Fredeg. Cont. 22 (110): eo pacto peracto, ut a partibus imperatoris recederet
et romano consulto (consulato) praefato principe Carlo sanciret. Dazu die Beleg-
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[84/0102] § 70. Der fränkische König als Patricius Romanorum Recht übte, die Papstwahlen zu prüfen und zu genehmigen 2. Vom letzten Viertel des sechsten Jahrhunderts ab zerfiel das byzantinische Italien in Verwaltungssprengel, an deren Spitze ein dux stand. Der dux besaſs Militär- und Civilgewalt. Er hatte regelmäſsig den Konsul- titel und im Laufe der Zeit wurde es herkömmlich, ihn als Konsul zu bezeichnen 3. Unter einem solchen dux stand auch das Gebiet von Rom und Umgebung, seit dem achten Jahrhundert ducatus Romanus genannt 4. Da dem oströmischen Kaisertum und seinen Organen die Macht fehlte, die byzantinischen Gebiete Mittelitaliens gegen die vor- dringenden Langobarden auf die Dauer mit Erfolg zu verteidigen, da zudem der Hof von Konstantinopel durch den Kampf gegen die Bilder- verehrung sich in Widerspruch setzte zu den religiösen Gefühlen der italischen Unterthanen, gelang es den Päpsten die thatsächliche Leitung und Vertretung der römischen Bevölkerung zu gewinnen. Vom Langobardenkönig Liutprand bedrängt, wandte sich Papst Gregor III. im J. 739 um Hülfe an den fränkischen Hausmeier Karl Martell, übersendete ihm die Schlüssel vom Grabe des heiligen Petrus und bot ihm an, vom oströmischen Kaiser abzufallen und sich samt dem römischen Volke durch Übertragung des römischen Kon- sulats (des Dukats) der Herrschaft Karl Martells zu unterwerfen 5. Der 1 2 Vorübergehend war das Bestätigungsrecht schon früher, zuerst wahrschein- lich 625, dem Exarchen übertragen worden. Th. v. Sickel, Prolegomena zum Liber diurnus II 52—72 (Wiener SB CXVII). Vgl. Diehl S. 180. 3 Diehl S. 147. Ludo Hartmann S. 57. 154. 161. Hugo Cohn S. 117. 4 Ludo Hartmann S. 135. Die Vita Zachariae spricht in c. 2 zum Jahre 739, Duchesne, Liber pontif. I 426, von einem Stephano quondam patricio et duce. Dieser römische dux erscheint noch i. J. 743, Vita Zachariae c. 12: Der Papst geht nach Ravenna relicta Romana urbe Stephano patricio et duci ad guber- nandum. Eine bei Duchesne S. 436 erwähnte Bleibulle zeigt die Aufschrift: Στε- φάνῳ πατϱικίῳ καὶ δούκι Ῥώμης. Er war dux mit dem Titel Patricius. Daraus folgt nicht, daſs er, wie Hartmann meint, vom Exarchen unabhängig gewesen sei. Übrigens wäre es nicht schlechthin widersinnig, den Ausdruck quondam patricius auf einen Lebenden zu beziehen. Patricius und expatricius unterscheidet Cod. Iust. III 24, 3 (von Zeno) und das Konzil von Kalchedon v. J. 451, nach Mommsen S. 484, Anm. 1: ‘ein seltsames Rätsel’, aber doch m. E. ein Beleg, daſs man den Titel Patricius mitunter nach Art eines Amtstitels behandelte, indem man etwa unter Expatricius einen Patricius verstand, der das Amt nicht mehr führte, mit dem er den Titel erhalten hatte. 5 Fredeg. Cont. 22 (110): eo pacto peracto, ut a partibus imperatoris recederet et romano consulto (consulato) praefato principe Carlo sanciret. Dazu die Beleg- 1 liehener Ehrentitel. Mommsen, Ostgoth. Studien, NA XIV 483. Mitunter diente er als Verlegenheitstitel für eine amtlich anerkannte Stellung, der man einen an- deren Namen nicht geben wollte oder konnte.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/102>, abgerufen am 03.12.2024.