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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 12. Das Haus.
mündig46. Die Begründung eigener Wirtschaft wirkt also als Eman-
zipation. Der Vater haftet nicht mehr für die Handlungen des aus-
geschiedenen Sohnes, ausgenommen die Fälle allgemeiner Magschafts-
haftung47. Die Annahme an Kindesstatt48 schloss die Aufnahme in
ein fremdes Hauswesen in sich und erfolgte dadurch, dass das Wahl-
kind dem Wahlvater tradiert wurde, worauf dieser eine Handlung
vornahm, welche die Anerkennung des Vaterverhältnisses zum Aus-
druck brachte49. Als solche Handlungen finden sich die Wehrhaft-
machung, das Scheren der Haare50, die Kniesetzung51.

Die Wehrhaftmachung geschah in der Landesgemeinde, sobald der
Sohn die physische Reife erlangt hatte52. Mit dem Mündigkeits-
termine hängt sie auch später nicht zusammen. Nach Tacitus wird
sie durch den princeps oder durch den Vater oder durch die Ver-
wandten vorgenommen. Erfolgt sie von Seite eines princeps, so ver-
mittelt sie den Eintritt in sein Gefolge. Überreicht der Vater die
Waffen, so hebt er damit seine väterliche Gewalt nicht auf. Als
vaterlos ist vermutlich der Jüngling zu denken, der die Waffen von
Verwandten empfängt. In diesem Falle ist es die als Gesamtvormund

46 Vgl. Cap. I 285 c. 21. Der Ausdruck selbmündig findet sich nicht blos
im Edictus Langob. Roth. 204 (selpmundia), sondern auch im lübischen Stadtr.
Hach S 353 Cod. II 203 und in der Dortmunder Urk. bei Frensdorff, Dortm.
Statuten 289 Anm.
47 Nach dem Rechte von Schonen, Sunesen c. 10 Schlyter, Corpus iuris Sueo-
Got. IX 246, erklärt der Vater, der den Sohn emanzipieren will: "quod nolit
de factis suis de cetero respondere
", nulli de cetero responsurus de suis
excessibus preter reatum homicidij interdum a cognatis eciam emendandum.
48 Vulfila hat Römer 9, 4 für Ankindung, uiothesia, den Ausdruck frasti-
sibja. Diefenbach II 202. Das fränkische Wort Affatomie bedeutete ursprüng-
lich Adoption nach Amira, Erbenfolge S 60.
49 Sie kann bei Franken, Langobarden, Ostgoten, Gepiden und Nordgermanen
nachgewiesen werden. Über die Scheinadoption zum Zweck der Emanzipation
weiter unten. S. vorläufig Holtzendorffs Encyklopädie I 259.
50 Grimm, RA S 146. 464. Stobbe, Beiträge zur Geschichte des DR S 9 f.
Sohm, RUGV S 549. Über die indische Haarschur als Adoptionsform Kohler,
Z f. vgl. RW III 410. -- Schröder, RG I 62.
51 Im Norden, daher knesetja adoptieren. Grimm, RA S 433. 464.
52 Tacitus, Germ. c. 13: arma sumere non ante cuiquam moris, quam
civitas suffecturum probaverit. tum in ipso concilio vel principum aliquis vel pater
vel propinqui scuto frameaque iuvenem ornant. Cassiodori Var. I 38: sic iu-
venes nostri qui ad exercitum probantur idonei, indignum est, ut ad vitam suam
disponendam dicantur infirmi et putentur domum suam non regere qui creduntur
bella posse tractare (es handelt sich um einen vaterlosen Jüngling). Gothis
aetatem legitimam virtus facit
; et qui valet hostem confodere, ab omni se
iam debet vitio vindicare.

§ 12. Das Haus.
mündig46. Die Begründung eigener Wirtschaft wirkt also als Eman-
zipation. Der Vater haftet nicht mehr für die Handlungen des aus-
geschiedenen Sohnes, ausgenommen die Fälle allgemeiner Magschafts-
haftung47. Die Annahme an Kindesstatt48 schloſs die Aufnahme in
ein fremdes Hauswesen in sich und erfolgte dadurch, daſs das Wahl-
kind dem Wahlvater tradiert wurde, worauf dieser eine Handlung
vornahm, welche die Anerkennung des Vaterverhältnisses zum Aus-
druck brachte49. Als solche Handlungen finden sich die Wehrhaft-
machung, das Scheren der Haare50, die Kniesetzung51.

Die Wehrhaftmachung geschah in der Landesgemeinde, sobald der
Sohn die physische Reife erlangt hatte52. Mit dem Mündigkeits-
termine hängt sie auch später nicht zusammen. Nach Tacitus wird
sie durch den princeps oder durch den Vater oder durch die Ver-
wandten vorgenommen. Erfolgt sie von Seite eines princeps, so ver-
mittelt sie den Eintritt in sein Gefolge. Überreicht der Vater die
Waffen, so hebt er damit seine väterliche Gewalt nicht auf. Als
vaterlos ist vermutlich der Jüngling zu denken, der die Waffen von
Verwandten empfängt. In diesem Falle ist es die als Gesamtvormund

46 Vgl. Cap. I 285 c. 21. Der Ausdruck selbmündig findet sich nicht blos
im Edictus Langob. Roth. 204 (selpmundia), sondern auch im lübischen Stadtr.
Hach S 353 Cod. II 203 und in der Dortmunder Urk. bei Frensdorff, Dortm.
Statuten 289 Anm.
47 Nach dem Rechte von Schonen, Sunesen c. 10 Schlyter, Corpus iuris Sueo-
Got. IX 246, erklärt der Vater, der den Sohn emanzipieren will: „quod nolit
de factis suis de cetero respondere
“, nulli de cetero responsurus de suis
excessibus preter reatum homicidij interdum a cognatis eciam emendandum.
48 Vulfila hat Römer 9, 4 für Ankindung, υἱοϑεσία, den Ausdruck frasti-
sibja. Diefenbach II 202. Das fränkische Wort Affatomie bedeutete ursprüng-
lich Adoption nach Amira, Erbenfolge S 60.
49 Sie kann bei Franken, Langobarden, Ostgoten, Gepiden und Nordgermanen
nachgewiesen werden. Über die Scheinadoption zum Zweck der Emanzipation
weiter unten. S. vorläufig Holtzendorffs Encyklopädie I 259.
50 Grimm, RA S 146. 464. Stobbe, Beiträge zur Geschichte des DR S 9 f.
Sohm, RUGV S 549. Über die indische Haarschur als Adoptionsform Kohler,
Z f. vgl. RW III 410. — Schröder, RG I 62.
51 Im Norden, daher knêsetja adoptieren. Grimm, RA S 433. 464.
52 Tacitus, Germ. c. 13: arma sumere non ante cuiquam moris, quam
civitas suffecturum probaverit. tum in ipso concilio vel principum aliquis vel pater
vel propinqui scuto frameaque iuvenem ornant. Cassiodori Var. I 38: sic iu-
venes nostri qui ad exercitum probantur idonei, indignum est, ut ad vitam suam
disponendam dicantur infirmi et putentur domum suam non regere qui creduntur
bella posse tractare (es handelt sich um einen vaterlosen Jüngling). Gothis
aetatem legitimam virtus facit
; et qui valet hostem confodere, ab omni se
iam debet vitio vindicare.
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[77/0095] § 12. Das Haus. mündig 46. Die Begründung eigener Wirtschaft wirkt also als Eman- zipation. Der Vater haftet nicht mehr für die Handlungen des aus- geschiedenen Sohnes, ausgenommen die Fälle allgemeiner Magschafts- haftung 47. Die Annahme an Kindesstatt 48 schloſs die Aufnahme in ein fremdes Hauswesen in sich und erfolgte dadurch, daſs das Wahl- kind dem Wahlvater tradiert wurde, worauf dieser eine Handlung vornahm, welche die Anerkennung des Vaterverhältnisses zum Aus- druck brachte 49. Als solche Handlungen finden sich die Wehrhaft- machung, das Scheren der Haare 50, die Kniesetzung 51. Die Wehrhaftmachung geschah in der Landesgemeinde, sobald der Sohn die physische Reife erlangt hatte 52. Mit dem Mündigkeits- termine hängt sie auch später nicht zusammen. Nach Tacitus wird sie durch den princeps oder durch den Vater oder durch die Ver- wandten vorgenommen. Erfolgt sie von Seite eines princeps, so ver- mittelt sie den Eintritt in sein Gefolge. Überreicht der Vater die Waffen, so hebt er damit seine väterliche Gewalt nicht auf. Als vaterlos ist vermutlich der Jüngling zu denken, der die Waffen von Verwandten empfängt. In diesem Falle ist es die als Gesamtvormund 46 Vgl. Cap. I 285 c. 21. Der Ausdruck selbmündig findet sich nicht blos im Edictus Langob. Roth. 204 (selpmundia), sondern auch im lübischen Stadtr. Hach S 353 Cod. II 203 und in der Dortmunder Urk. bei Frensdorff, Dortm. Statuten 289 Anm. 47 Nach dem Rechte von Schonen, Sunesen c. 10 Schlyter, Corpus iuris Sueo- Got. IX 246, erklärt der Vater, der den Sohn emanzipieren will: „quod nolit de factis suis de cetero respondere“, nulli de cetero responsurus de suis excessibus preter reatum homicidij interdum a cognatis eciam emendandum. 48 Vulfila hat Römer 9, 4 für Ankindung, υἱοϑεσία, den Ausdruck frasti- sibja. Diefenbach II 202. Das fränkische Wort Affatomie bedeutete ursprüng- lich Adoption nach Amira, Erbenfolge S 60. 49 Sie kann bei Franken, Langobarden, Ostgoten, Gepiden und Nordgermanen nachgewiesen werden. Über die Scheinadoption zum Zweck der Emanzipation weiter unten. S. vorläufig Holtzendorffs Encyklopädie I 259. 50 Grimm, RA S 146. 464. Stobbe, Beiträge zur Geschichte des DR S 9 f. Sohm, RUGV S 549. Über die indische Haarschur als Adoptionsform Kohler, Z f. vgl. RW III 410. — Schröder, RG I 62. 51 Im Norden, daher knêsetja adoptieren. Grimm, RA S 433. 464. 52 Tacitus, Germ. c. 13: arma sumere non ante cuiquam moris, quam civitas suffecturum probaverit. tum in ipso concilio vel principum aliquis vel pater vel propinqui scuto frameaque iuvenem ornant. Cassiodori Var. I 38: sic iu- venes nostri qui ad exercitum probantur idonei, indignum est, ut ad vitam suam disponendam dicantur infirmi et putentur domum suam non regere qui creduntur bella posse tractare (es handelt sich um einen vaterlosen Jüngling). Gothis aetatem legitimam virtus facit; et qui valet hostem confodere, ab omni se iam debet vitio vindicare.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/95>, abgerufen am 23.11.2024.