Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 12. Das Haus.
preis existieren in der folgenden Periode bei den verschiedenen Stäm-
men rechtlich fixierte Taxen, von welchen man vermutet, dass sie ur-
sprünglich dem Wergelde der Braut gleichwertig waren. Die Trauung
fand als ein öffentlicher Akt in Gegenwart der beiderseitigen Ver-
wandten statt, indem die Braut von ihrem Mundwalt dem Bräutigam
übergeben wurde. Sie erscheint daher rechtlich als die traditio
puellae und heisst wohl auch Gift29 oder Brautgabe30. Die Übergabe
der Braut schliesst die Übergabe ihres etwaigen Vermögens in sich.

Die Gewalt des Mannes über die Frau entspricht im allgemeinen
der Gewalt des Vaters über die in der Were sitzenden Kinder, ein
Verhältnis, welches das ältere schwedische Recht dadurch andeutet,
dass der Bräutigam bei der Verlobung einen der Adoption eigentüm-
lichen Formalakt vornimmt, indem er die Jungfrau auf sein Knie
setzt31. Der Mann hat das Recht die Frau zu töten, doch war diese
Befugnis nicht bloss durch die Sitte, sondern auch durch rechtliche
Voraussetzungen beschränkt und gewiss hat schon in ältester Zeit der
Grundsatz gegolten, den uns eine langobardische Rechtsquelle über-
liefert: non licet uxorem interficere ad suum libitum sed rationa-
biliter32. Als solche rechtmässige Gründe der Tötung werden uns
später genannt der Fall, wenn die Frau dem Manne nach dem Leben
strebt und wenn sie auf Ehebruch ertappt wird33. Er ist befugt sie
zu züchtigen und wenn sie sich entehrte schimpflich aus dem Hause
zu jagen34, ja er hat sogar das Recht sie zur Strafe35 und im Falle
echter Not zu verkaufen36.

Die Kinder stehen in der Gewalt des Vaters, so lange sie im

29 Ags. gifta (Plural) = nuptiae. Schmid, Gesetze der Angels. S 603.
30 Ahd. Glossen bei Graff IV 122: sponsalia brutgepa.
31 Grimm, RA S 433, vgl. S 155. 160. v. Amira, Obligationenr. S 535. 539.
32 Formel des Liber Papiensis zu Rothari 200: MG LL IV 344.
33 Rothari 200. 202. Lex Baiuw. VIII 1. Lex Wisig. III 4, 4. Wilda, Straf-
recht S 821 ff. Rosenthal, Rechtsfolgen des Ehebruchs S 41. Noch nach den
Gesetzen des westerlauerschen Frieslands, Richthofen S 409, 13 ff., hat der Vor-
mund (der Ehemann) das Recht, die Frau wegen Ehebruchs zu geisseln oder zu
enthaupten mit dem Schwerte, unter dem sie ging, als sie getraut wurde.
34 Tacitus, Germ. c. 19.
35 Liutpr. 121: die Frau, welche sich unzüchtige Handlungen gefallen lässt,
darf vom Ehemann nach Belieben gezüchtigt oder verkauft, aber nicht verstümmelt
oder getötet werden.
36 Tacitus, Ann. IV 72 von den Friesen: postremo corpora coniugum aut
liberorum servitio tradebant. Lex Bai. I 10: et si non habet tantam pecuniam se
ipsum et uxorem et filios tradat. Cap. I 187 c. 1. Loersch u. Schröder, Urk. I
Nr 87 und dazu Viollet a. O. S 421. Richthofen, Zur Lex Saxonum S 293.

§ 12. Das Haus.
preis existieren in der folgenden Periode bei den verschiedenen Stäm-
men rechtlich fixierte Taxen, von welchen man vermutet, daſs sie ur-
sprünglich dem Wergelde der Braut gleichwertig waren. Die Trauung
fand als ein öffentlicher Akt in Gegenwart der beiderseitigen Ver-
wandten statt, indem die Braut von ihrem Mundwalt dem Bräutigam
übergeben wurde. Sie erscheint daher rechtlich als die traditio
puellae und heiſst wohl auch Gift29 oder Brautgabe30. Die Übergabe
der Braut schlieſst die Übergabe ihres etwaigen Vermögens in sich.

Die Gewalt des Mannes über die Frau entspricht im allgemeinen
der Gewalt des Vaters über die in der Were sitzenden Kinder, ein
Verhältnis, welches das ältere schwedische Recht dadurch andeutet,
daſs der Bräutigam bei der Verlobung einen der Adoption eigentüm-
lichen Formalakt vornimmt, indem er die Jungfrau auf sein Knie
setzt31. Der Mann hat das Recht die Frau zu töten, doch war diese
Befugnis nicht bloſs durch die Sitte, sondern auch durch rechtliche
Voraussetzungen beschränkt und gewiſs hat schon in ältester Zeit der
Grundsatz gegolten, den uns eine langobardische Rechtsquelle über-
liefert: non licet uxorem interficere ad suum libitum sed rationa-
biliter32. Als solche rechtmäſsige Gründe der Tötung werden uns
später genannt der Fall, wenn die Frau dem Manne nach dem Leben
strebt und wenn sie auf Ehebruch ertappt wird33. Er ist befugt sie
zu züchtigen und wenn sie sich entehrte schimpflich aus dem Hause
zu jagen34, ja er hat sogar das Recht sie zur Strafe35 und im Falle
echter Not zu verkaufen36.

Die Kinder stehen in der Gewalt des Vaters, so lange sie im

29 Ags. gifta (Plural) = nuptiae. Schmid, Gesetze der Angels. S 603.
30 Ahd. Glossen bei Graff IV 122: sponsalia brutgepa.
31 Grimm, RA S 433, vgl. S 155. 160. v. Amira, Obligationenr. S 535. 539.
32 Formel des Liber Papiensis zu Rothari 200: MG LL IV 344.
33 Rothari 200. 202. Lex Baiuw. VIII 1. Lex Wisig. III 4, 4. Wilda, Straf-
recht S 821 ff. Rosenthal, Rechtsfolgen des Ehebruchs S 41. Noch nach den
Gesetzen des westerlauerschen Frieslands, Richthofen S 409, 13 ff., hat der Vor-
mund (der Ehemann) das Recht, die Frau wegen Ehebruchs zu geiſseln oder zu
enthaupten mit dem Schwerte, unter dem sie ging, als sie getraut wurde.
34 Tacitus, Germ. c. 19.
35 Liutpr. 121: die Frau, welche sich unzüchtige Handlungen gefallen läſst,
darf vom Ehemann nach Belieben gezüchtigt oder verkauft, aber nicht verstümmelt
oder getötet werden.
36 Tacitus, Ann. IV 72 von den Friesen: postremo corpora coniugum aut
liberorum servitio tradebant. Lex Bai. I 10: et si non habet tantam pecuniam se
ipsum et uxorem et filios tradat. Cap. I 187 c. 1. Loersch u. Schröder, Urk. I
Nr 87 und dazu Viollet a. O. S 421. Richthofen, Zur Lex Saxonum S 293.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0093" n="75"/><fw place="top" type="header">§ 12. Das Haus.</fw><lb/>
preis existieren in der folgenden Periode bei den verschiedenen Stäm-<lb/>
men rechtlich fixierte Taxen, von welchen man vermutet, da&#x017F;s sie ur-<lb/>
sprünglich dem Wergelde der Braut gleichwertig waren. Die Trauung<lb/>
fand als ein öffentlicher Akt in Gegenwart der beiderseitigen Ver-<lb/>
wandten statt, indem die Braut von ihrem Mundwalt dem Bräutigam<lb/>
übergeben wurde. Sie erscheint daher rechtlich als die traditio<lb/>
puellae und hei&#x017F;st wohl auch Gift<note place="foot" n="29">Ags. gifta (Plural) = nuptiae. <hi rendition="#g">Schmid</hi>, Gesetze der Angels. S 603.</note> oder Brautgabe<note place="foot" n="30">Ahd. Glossen bei <hi rendition="#g">Graff</hi> IV 122: sponsalia brutgepa.</note>. Die Übergabe<lb/>
der Braut schlie&#x017F;st die Übergabe ihres etwaigen Vermögens in sich.</p><lb/>
          <p>Die Gewalt des Mannes über die Frau entspricht im allgemeinen<lb/>
der Gewalt des Vaters über die in der Were sitzenden Kinder, ein<lb/>
Verhältnis, welches das ältere schwedische Recht dadurch andeutet,<lb/>
da&#x017F;s der Bräutigam bei der Verlobung einen der Adoption eigentüm-<lb/>
lichen Formalakt vornimmt, indem er die Jungfrau auf sein Knie<lb/>
setzt<note place="foot" n="31"><hi rendition="#g">Grimm</hi>, RA S 433, vgl. S 155. 160. v. <hi rendition="#g">Amira</hi>, Obligationenr. S 535. 539.</note>. Der Mann hat das Recht die Frau zu töten, doch war diese<lb/>
Befugnis nicht blo&#x017F;s durch die Sitte, sondern auch durch rechtliche<lb/>
Voraussetzungen beschränkt und gewi&#x017F;s hat schon in ältester Zeit der<lb/>
Grundsatz gegolten, den uns eine langobardische Rechtsquelle über-<lb/>
liefert: non licet uxorem interficere ad suum libitum sed rationa-<lb/>
biliter<note place="foot" n="32">Formel des Liber Papiensis zu Rothari 200: MG LL IV 344.</note>. Als solche rechtmä&#x017F;sige Gründe der Tötung werden uns<lb/>
später genannt der Fall, wenn die Frau dem Manne nach dem Leben<lb/>
strebt und wenn sie auf Ehebruch ertappt wird<note place="foot" n="33">Rothari 200. 202. Lex Baiuw. VIII 1. Lex Wisig. III 4, 4. <hi rendition="#g">Wilda</hi>, Straf-<lb/>
recht S 821 ff. <hi rendition="#g">Rosenthal</hi>, Rechtsfolgen des Ehebruchs S 41. Noch nach den<lb/>
Gesetzen des westerlauerschen Frieslands, <hi rendition="#g">Richthofen</hi> S 409, 13 ff., hat der Vor-<lb/>
mund (der Ehemann) das Recht, die Frau wegen Ehebruchs zu gei&#x017F;seln oder zu<lb/>
enthaupten mit dem Schwerte, unter dem sie ging, als sie getraut wurde.</note>. Er ist befugt sie<lb/>
zu züchtigen und wenn sie sich entehrte schimpflich aus dem Hause<lb/>
zu jagen<note place="foot" n="34">Tacitus, Germ. c. 19.</note>, ja er hat sogar das Recht sie zur Strafe<note place="foot" n="35">Liutpr. 121: die Frau, welche sich unzüchtige Handlungen gefallen lä&#x017F;st,<lb/>
darf vom Ehemann nach Belieben gezüchtigt oder verkauft, aber nicht verstümmelt<lb/>
oder getötet werden.</note> und im Falle<lb/>
echter Not zu verkaufen<note place="foot" n="36">Tacitus, Ann. IV 72 von den Friesen: postremo corpora coniugum aut<lb/>
liberorum servitio tradebant. Lex Bai. I 10: et si non habet tantam pecuniam se<lb/>
ipsum et uxorem et filios tradat. Cap. I 187 c. 1. <hi rendition="#g">Loersch u. Schröder</hi>, Urk. I<lb/>
Nr 87 und dazu <hi rendition="#g">Viollet</hi> a. O. S 421. <hi rendition="#g">Richthofen</hi>, Zur Lex Saxonum S 293.</note>.</p><lb/>
          <p>Die Kinder stehen in der Gewalt des Vaters, so lange sie im<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[75/0093] § 12. Das Haus. preis existieren in der folgenden Periode bei den verschiedenen Stäm- men rechtlich fixierte Taxen, von welchen man vermutet, daſs sie ur- sprünglich dem Wergelde der Braut gleichwertig waren. Die Trauung fand als ein öffentlicher Akt in Gegenwart der beiderseitigen Ver- wandten statt, indem die Braut von ihrem Mundwalt dem Bräutigam übergeben wurde. Sie erscheint daher rechtlich als die traditio puellae und heiſst wohl auch Gift 29 oder Brautgabe 30. Die Übergabe der Braut schlieſst die Übergabe ihres etwaigen Vermögens in sich. Die Gewalt des Mannes über die Frau entspricht im allgemeinen der Gewalt des Vaters über die in der Were sitzenden Kinder, ein Verhältnis, welches das ältere schwedische Recht dadurch andeutet, daſs der Bräutigam bei der Verlobung einen der Adoption eigentüm- lichen Formalakt vornimmt, indem er die Jungfrau auf sein Knie setzt 31. Der Mann hat das Recht die Frau zu töten, doch war diese Befugnis nicht bloſs durch die Sitte, sondern auch durch rechtliche Voraussetzungen beschränkt und gewiſs hat schon in ältester Zeit der Grundsatz gegolten, den uns eine langobardische Rechtsquelle über- liefert: non licet uxorem interficere ad suum libitum sed rationa- biliter 32. Als solche rechtmäſsige Gründe der Tötung werden uns später genannt der Fall, wenn die Frau dem Manne nach dem Leben strebt und wenn sie auf Ehebruch ertappt wird 33. Er ist befugt sie zu züchtigen und wenn sie sich entehrte schimpflich aus dem Hause zu jagen 34, ja er hat sogar das Recht sie zur Strafe 35 und im Falle echter Not zu verkaufen 36. Die Kinder stehen in der Gewalt des Vaters, so lange sie im 29 Ags. gifta (Plural) = nuptiae. Schmid, Gesetze der Angels. S 603. 30 Ahd. Glossen bei Graff IV 122: sponsalia brutgepa. 31 Grimm, RA S 433, vgl. S 155. 160. v. Amira, Obligationenr. S 535. 539. 32 Formel des Liber Papiensis zu Rothari 200: MG LL IV 344. 33 Rothari 200. 202. Lex Baiuw. VIII 1. Lex Wisig. III 4, 4. Wilda, Straf- recht S 821 ff. Rosenthal, Rechtsfolgen des Ehebruchs S 41. Noch nach den Gesetzen des westerlauerschen Frieslands, Richthofen S 409, 13 ff., hat der Vor- mund (der Ehemann) das Recht, die Frau wegen Ehebruchs zu geiſseln oder zu enthaupten mit dem Schwerte, unter dem sie ging, als sie getraut wurde. 34 Tacitus, Germ. c. 19. 35 Liutpr. 121: die Frau, welche sich unzüchtige Handlungen gefallen läſst, darf vom Ehemann nach Belieben gezüchtigt oder verkauft, aber nicht verstümmelt oder getötet werden. 36 Tacitus, Ann. IV 72 von den Friesen: postremo corpora coniugum aut liberorum servitio tradebant. Lex Bai. I 10: et si non habet tantam pecuniam se ipsum et uxorem et filios tradat. Cap. I 187 c. 1. Loersch u. Schröder, Urk. I Nr 87 und dazu Viollet a. O. S 421. Richthofen, Zur Lex Saxonum S 293.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/93
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/93>, abgerufen am 03.05.2024.