Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 11. Die Landnahme in den Provinzen
nicht lange auf sich warten lassen 18. Die Vermischung der beiden
Bevölkerungsmassen fand zunächst ein Hindernis an dem Arianismus
der Germanen. Im westgotischen Reiche waren zudem die Ehen
zwischen Westgoten und Römern bis zur Zeit des Königs Reckessuinth
gesetzlich verboten. Allein als diese Schranken hinweggefallen waren,
stand einer raschen und innigen Verschmelzung der Burgunder und
Westgoten mit den römischen Provinzialen nichts mehr im Wege.

Bei den Vandalen erfolgte die Landnahme nicht im Anschluss
an das römische Einquartierungssystem, sondern nach den Grundsätzen
des Eroberungsrechtes. In der ersten Zeit ihres Aufenthalts waren
sie vermutlich bei den römischen Grundbesitzern einquartiert. Als
es nach der Einnahme Karthagos (439) oder nach dem Frieden von
442 zu einer festen Ansiedelung des Volkes kam, wurde nicht ein
Verhältnis der hospitalitas begründet, sondern die in der Nähe
Karthagos gelegene sogenannte prokonsularische Provinz, die provincia
Zeugitana zur geschlossenen Niederlassung des Volkes ausersehen.
Zunächst machten die Vandalen hier tabula rasa, indem sie die
römischen Grundbesitzer töteten, vertrieben oder in Hörigkeit ver-
setzten. Das zur Ausstattung der Vandalen erforderliche Land wurde
dann vermittelst des Seiles vermessen und unter die Vandalen ver-
teilt, deren Landlose (sortes Vandalorum) sonach einen zusammen-
hängenden Komplex bildeten. Grosse Güter nahm der König für sich
und sein Haus in der Zeugitana und in anderen Provinzen. Wo in
letzteren die Römer nicht expropriiert wurden, waren sie als Grund-
besitzer dem König tributär 19.

Die Langobarden 20 traten nach ihrer Ankunft in Italien zu-
nächst in das Verhältnis der hospitalitas. Die römischen possessores
mussten ihnen Quartier und vermutlich auch Verpflegung gewähren.
Über die Art der Landnahme scheinen dann Differenzen zwischen dem
Volke und dem Königtum ausgebrochen zu sein. Der Langobarden-

18 Ein Schreiben Theoderichs sagt von den Folgen der Landteilung: sic enim
contigit, ut utraque natio, dum communiter vivit, ad unum velle convenit ... Una
lex illos et aequabilis disciplina complectitur. Necesse est enim, ut inter eos suavis
crescat affectus, qui servant iugiter terminos constitutos. Cassiodori Varia II 16.
19 Procop, De bello Vand. I 5. Dahn, Könige I 204. 241.
20 Hegel, Gesch. der Städteverfassung von Italien, 1847, I 352. Bethmann-
Hollweg
IV 301 ff. Troya, Della condizione de' Romani vinti dai Langobardi,
1844. Baudi di Vesme e Fossati, Vicende della proprieta in Italia ... 1836.
G. Caumo, Sulla condizione dei Romani vinti dai Langobardi, 1870. Pertile,
Storia del diritto ital. I 44 ff. Schupfer, Delle istituzioni politiche longob., 1863;
derselbe, Aldi, Liti e Romani, Estratto dall' Enciclop. giur. ital. 1887.

§ 11. Die Landnahme in den Provinzen
nicht lange auf sich warten lassen 18. Die Vermischung der beiden
Bevölkerungsmassen fand zunächst ein Hindernis an dem Arianismus
der Germanen. Im westgotischen Reiche waren zudem die Ehen
zwischen Westgoten und Römern bis zur Zeit des Königs Reckessuinth
gesetzlich verboten. Allein als diese Schranken hinweggefallen waren,
stand einer raschen und innigen Verschmelzung der Burgunder und
Westgoten mit den römischen Provinzialen nichts mehr im Wege.

Bei den Vandalen erfolgte die Landnahme nicht im Anschluſs
an das römische Einquartierungssystem, sondern nach den Grundsätzen
des Eroberungsrechtes. In der ersten Zeit ihres Aufenthalts waren
sie vermutlich bei den römischen Grundbesitzern einquartiert. Als
es nach der Einnahme Karthagos (439) oder nach dem Frieden von
442 zu einer festen Ansiedelung des Volkes kam, wurde nicht ein
Verhältnis der hospitalitas begründet, sondern die in der Nähe
Karthagos gelegene sogenannte prokonsularische Provinz, die provincia
Zeugitana zur geschlossenen Niederlassung des Volkes ausersehen.
Zunächst machten die Vandalen hier tabula rasa, indem sie die
römischen Grundbesitzer töteten, vertrieben oder in Hörigkeit ver-
setzten. Das zur Ausstattung der Vandalen erforderliche Land wurde
dann vermittelst des Seiles vermessen und unter die Vandalen ver-
teilt, deren Landlose (sortes Vandalorum) sonach einen zusammen-
hängenden Komplex bildeten. Groſse Güter nahm der König für sich
und sein Haus in der Zeugitana und in anderen Provinzen. Wo in
letzteren die Römer nicht expropriiert wurden, waren sie als Grund-
besitzer dem König tributär 19.

Die Langobarden 20 traten nach ihrer Ankunft in Italien zu-
nächst in das Verhältnis der hospitalitas. Die römischen possessores
muſsten ihnen Quartier und vermutlich auch Verpflegung gewähren.
Über die Art der Landnahme scheinen dann Differenzen zwischen dem
Volke und dem Königtum ausgebrochen zu sein. Der Langobarden-

18 Ein Schreiben Theoderichs sagt von den Folgen der Landteilung: sic enim
contigit, ut utraque natio, dum communiter vivit, ad unum velle convenit … Una
lex illos et aequabilis disciplina complectitur. Necesse est enim, ut inter eos suavis
crescat affectus, qui servant iugiter terminos constitutos. Cassiodori Varia II 16.
19 Procop, De bello Vand. I 5. Dahn, Könige I 204. 241.
20 Hegel, Gesch. der Städteverfassung von Italien, 1847, I 352. Bethmann-
Hollweg
IV 301 ff. Troya, Della condizione de’ Romani vinti dai Langobardi,
1844. Baudi di Vesme e Fossati, Vicende della proprietà in Italia … 1836.
G. Caumo, Sulla condizione dei Romani vinti dai Langobardi, 1870. Pertile,
Storia del diritto ital. I 44 ff. Schupfer, Delle istituzioni politiche longob., 1863;
derselbe, Aldi, Liti e Romani, Estratto dall’ Enciclop. giur. ital. 1887.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0086" n="68"/><fw place="top" type="header">§ 11. Die Landnahme in den Provinzen</fw><lb/>
nicht lange auf sich warten lassen <note place="foot" n="18">Ein Schreiben Theoderichs sagt von den Folgen der Landteilung: sic enim<lb/>
contigit, ut utraque natio, dum communiter vivit, ad unum velle convenit &#x2026; Una<lb/>
lex illos et aequabilis disciplina complectitur. Necesse est enim, ut inter eos suavis<lb/>
crescat affectus, qui servant iugiter terminos constitutos. Cassiodori Varia II 16.</note>. Die Vermischung der beiden<lb/>
Bevölkerungsmassen fand zunächst ein Hindernis an dem Arianismus<lb/>
der Germanen. Im westgotischen Reiche waren zudem die Ehen<lb/>
zwischen Westgoten und Römern bis zur Zeit des Königs Reckessuinth<lb/>
gesetzlich verboten. Allein als diese Schranken hinweggefallen waren,<lb/>
stand einer raschen und innigen Verschmelzung der Burgunder und<lb/>
Westgoten mit den römischen Provinzialen nichts mehr im Wege.</p><lb/>
          <p>Bei den <hi rendition="#g">Vandalen</hi> erfolgte die Landnahme nicht im Anschlu&#x017F;s<lb/>
an das römische Einquartierungssystem, sondern nach den Grundsätzen<lb/>
des Eroberungsrechtes. In der ersten Zeit ihres Aufenthalts waren<lb/>
sie vermutlich bei den römischen Grundbesitzern einquartiert. Als<lb/>
es nach der Einnahme Karthagos (439) oder nach dem Frieden von<lb/>
442 zu einer festen Ansiedelung des Volkes kam, wurde nicht ein<lb/>
Verhältnis der hospitalitas begründet, sondern die in der Nähe<lb/>
Karthagos gelegene sogenannte prokonsularische Provinz, die provincia<lb/>
Zeugitana zur geschlossenen Niederlassung des Volkes ausersehen.<lb/>
Zunächst machten die Vandalen hier tabula rasa, indem sie die<lb/>
römischen Grundbesitzer töteten, vertrieben oder in Hörigkeit ver-<lb/>
setzten. Das zur Ausstattung der Vandalen erforderliche Land wurde<lb/>
dann vermittelst des Seiles vermessen und unter die Vandalen ver-<lb/>
teilt, deren Landlose (sortes Vandalorum) sonach einen zusammen-<lb/>
hängenden Komplex bildeten. Gro&#x017F;se Güter nahm der König für sich<lb/>
und sein Haus in der Zeugitana und in anderen Provinzen. Wo in<lb/>
letzteren die Römer nicht expropriiert wurden, waren sie als Grund-<lb/>
besitzer dem König tributär <note place="foot" n="19">Procop, De bello Vand. I 5. <hi rendition="#g">Dahn</hi>, Könige I 204. 241.</note>.</p><lb/>
          <p>Die <hi rendition="#g">Langobarden</hi> <note place="foot" n="20"><hi rendition="#g">Hegel</hi>, Gesch. der Städteverfassung von Italien, 1847, I 352. <hi rendition="#g">Bethmann-<lb/>
Hollweg</hi> IV 301 ff. <hi rendition="#g">Troya</hi>, Della condizione de&#x2019; Romani vinti dai Langobardi,<lb/>
1844. <hi rendition="#g">Baudi di Vesme e Fossati</hi>, Vicende della proprietà in Italia &#x2026; 1836.<lb/>
G. <hi rendition="#g">Caumo</hi>, Sulla condizione dei Romani vinti dai Langobardi, 1870. <hi rendition="#g">Pertile</hi>,<lb/>
Storia del diritto ital. I 44 ff. <hi rendition="#g">Schupfer</hi>, Delle istituzioni politiche longob., 1863;<lb/><hi rendition="#g">derselbe</hi>, Aldi, Liti e Romani, Estratto dall&#x2019; Enciclop. giur. ital. 1887.</note> traten nach ihrer Ankunft in Italien zu-<lb/>
nächst in das Verhältnis der hospitalitas. Die römischen possessores<lb/>
mu&#x017F;sten ihnen Quartier und vermutlich auch Verpflegung gewähren.<lb/>
Über die Art der Landnahme scheinen dann Differenzen zwischen dem<lb/>
Volke und dem Königtum ausgebrochen zu sein. Der Langobarden-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[68/0086] § 11. Die Landnahme in den Provinzen nicht lange auf sich warten lassen 18. Die Vermischung der beiden Bevölkerungsmassen fand zunächst ein Hindernis an dem Arianismus der Germanen. Im westgotischen Reiche waren zudem die Ehen zwischen Westgoten und Römern bis zur Zeit des Königs Reckessuinth gesetzlich verboten. Allein als diese Schranken hinweggefallen waren, stand einer raschen und innigen Verschmelzung der Burgunder und Westgoten mit den römischen Provinzialen nichts mehr im Wege. Bei den Vandalen erfolgte die Landnahme nicht im Anschluſs an das römische Einquartierungssystem, sondern nach den Grundsätzen des Eroberungsrechtes. In der ersten Zeit ihres Aufenthalts waren sie vermutlich bei den römischen Grundbesitzern einquartiert. Als es nach der Einnahme Karthagos (439) oder nach dem Frieden von 442 zu einer festen Ansiedelung des Volkes kam, wurde nicht ein Verhältnis der hospitalitas begründet, sondern die in der Nähe Karthagos gelegene sogenannte prokonsularische Provinz, die provincia Zeugitana zur geschlossenen Niederlassung des Volkes ausersehen. Zunächst machten die Vandalen hier tabula rasa, indem sie die römischen Grundbesitzer töteten, vertrieben oder in Hörigkeit ver- setzten. Das zur Ausstattung der Vandalen erforderliche Land wurde dann vermittelst des Seiles vermessen und unter die Vandalen ver- teilt, deren Landlose (sortes Vandalorum) sonach einen zusammen- hängenden Komplex bildeten. Groſse Güter nahm der König für sich und sein Haus in der Zeugitana und in anderen Provinzen. Wo in letzteren die Römer nicht expropriiert wurden, waren sie als Grund- besitzer dem König tributär 19. Die Langobarden 20 traten nach ihrer Ankunft in Italien zu- nächst in das Verhältnis der hospitalitas. Die römischen possessores muſsten ihnen Quartier und vermutlich auch Verpflegung gewähren. Über die Art der Landnahme scheinen dann Differenzen zwischen dem Volke und dem Königtum ausgebrochen zu sein. Der Langobarden- 18 Ein Schreiben Theoderichs sagt von den Folgen der Landteilung: sic enim contigit, ut utraque natio, dum communiter vivit, ad unum velle convenit … Una lex illos et aequabilis disciplina complectitur. Necesse est enim, ut inter eos suavis crescat affectus, qui servant iugiter terminos constitutos. Cassiodori Varia II 16. 19 Procop, De bello Vand. I 5. Dahn, Könige I 204. 241. 20 Hegel, Gesch. der Städteverfassung von Italien, 1847, I 352. Bethmann- Hollweg IV 301 ff. Troya, Della condizione de’ Romani vinti dai Langobardi, 1844. Baudi di Vesme e Fossati, Vicende della proprietà in Italia … 1836. G. Caumo, Sulla condizione dei Romani vinti dai Langobardi, 1870. Pertile, Storia del diritto ital. I 44 ff. Schupfer, Delle istituzioni politiche longob., 1863; derselbe, Aldi, Liti e Romani, Estratto dall’ Enciclop. giur. ital. 1887.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/86
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/86>, abgerufen am 22.11.2024.