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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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das südwestliche Gallien. Nachdem sie als Föderaten im Dienste des
Reiches jenseits der Pyrenäen die Silingen und Alanen geschlagen
hatten, räumte ihnen Constantius durch einen Vertrag von 419 die
Aquitania secunda und einige benachbarte Städtebezirke ein. Das
Reich, welches die Westgoten hier errichteten und welches man nach
seiner Hauptstadt Toulouse das tolosanische nennt, stand anfänglich
als Föderatstaat in Abhängigkeit vom römischen Kaisertum. Allein
dieses Verhältnis hat Eurich (466--484) endgiltig aufgelöst, der
kräftigste König der Westgoten, unter dem sie durch die Eroberung
des grössten Teiles von Spanien, der Provence und der Auvergne den
Höhepunkt ihrer Macht erreichten.

Von den Hunnen überwunden, befanden sich die Ostgoten in der
Botmässigkeit des Siegers und mussten ihm gleich den stamm-
verwandten Gepiden Heerfolge leisten. Unter der Führung dreier
Brüder aus dem heimischen Königsgeschlechte der Amaler kämpften
sie 451 in der Schlacht von Mauriacum auf hunnischer Seite gegen
die verbündeten Römer und Westgoten. Als es ihnen nach Attilas
Tod gelungen war, unter dem Vorkampf der Gepiden das Hunnen-
reich zu sprengen, liessen sie sich mit römischer Einwilligung in
Pannonien nieder. Von den drei Brüdern, die sich hier räumlich in
die Herrschaft teilten, fiel Walamir, der als der älteste die Oberhoheit
hatte, in einer siegreichen Schlacht gegen die Skiren. Ein Teil der
Ostgoten brach unter Widimir nach Italien auf, liess sich aber nach
Gallien ablenken, um sich den Westgoten anzuschliessen. Der Kern
des Volkes zog mit Theodimir über die Donau nach Mösien. Von
hier führte dessen Sohn Theoderich 489, wenn nicht auf Anregung, so
doch mit Zustimmung des oströmischen Kaisers Zeno, die Ostgoten
nach Italien, wo er der Herrschaft Odovakers ein Ende machte.
Ausser Italien einen Teil Pannoniens, die Alpenlandschaften und das
südwestliche Gallien umfassend, wurde das ostgotische Reich unter
Theoderich die vorwaltende Macht des Occidents. Allein nach seinem
Tode (526) begann die Kraft der Ostgoten unaufhaltsam hinzu-
schwinden. Durch innere Zwistigkeiten geschwächt, wurden sie von
den Byzantinern angegriffen. In zwanzigjährigem Kriege (535 bis
554), der das Volk nahezu völlig aufrieb, gelang es der zähen und
verschlagenen Staatskunst Justinians, Italien dem oströmischen Reiche
zu unterwerfen.

Die sämtlichen Staaten, welche die Ostgermanen innerhalb des
römischen Reiches errichteten, sind nicht in unvermitteltem Gegensatz
gegen dasselbe, sondern in theoretischer Unterordnung unter den
römischen Staatsbegriff entstanden, in dessen Rahmen sie sich äusser-

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der arianischen Germanen.
das südwestliche Gallien. Nachdem sie als Föderaten im Dienste des
Reiches jenseits der Pyrenäen die Silingen und Alanen geschlagen
hatten, räumte ihnen Constantius durch einen Vertrag von 419 die
Aquitania secunda und einige benachbarte Städtebezirke ein. Das
Reich, welches die Westgoten hier errichteten und welches man nach
seiner Hauptstadt Toulouse das tolosanische nennt, stand anfänglich
als Föderatstaat in Abhängigkeit vom römischen Kaisertum. Allein
dieses Verhältnis hat Eurich (466—484) endgiltig aufgelöst, der
kräftigste König der Westgoten, unter dem sie durch die Eroberung
des gröſsten Teiles von Spanien, der Provence und der Auvergne den
Höhepunkt ihrer Macht erreichten.

Von den Hunnen überwunden, befanden sich die Ostgoten in der
Botmäſsigkeit des Siegers und muſsten ihm gleich den stamm-
verwandten Gepiden Heerfolge leisten. Unter der Führung dreier
Brüder aus dem heimischen Königsgeschlechte der Amaler kämpften
sie 451 in der Schlacht von Mauriacum auf hunnischer Seite gegen
die verbündeten Römer und Westgoten. Als es ihnen nach Attilas
Tod gelungen war, unter dem Vorkampf der Gepiden das Hunnen-
reich zu sprengen, lieſsen sie sich mit römischer Einwilligung in
Pannonien nieder. Von den drei Brüdern, die sich hier räumlich in
die Herrschaft teilten, fiel Walamir, der als der älteste die Oberhoheit
hatte, in einer siegreichen Schlacht gegen die Skiren. Ein Teil der
Ostgoten brach unter Widimir nach Italien auf, lieſs sich aber nach
Gallien ablenken, um sich den Westgoten anzuschlieſsen. Der Kern
des Volkes zog mit Theodimir über die Donau nach Mösien. Von
hier führte dessen Sohn Theoderich 489, wenn nicht auf Anregung, so
doch mit Zustimmung des oströmischen Kaisers Zeno, die Ostgoten
nach Italien, wo er der Herrschaft Odovakers ein Ende machte.
Auſser Italien einen Teil Pannoniens, die Alpenlandschaften und das
südwestliche Gallien umfassend, wurde das ostgotische Reich unter
Theoderich die vorwaltende Macht des Occidents. Allein nach seinem
Tode (526) begann die Kraft der Ostgoten unaufhaltsam hinzu-
schwinden. Durch innere Zwistigkeiten geschwächt, wurden sie von
den Byzantinern angegriffen. In zwanzigjährigem Kriege (535 bis
554), der das Volk nahezu völlig aufrieb, gelang es der zähen und
verschlagenen Staatskunst Justinians, Italien dem oströmischen Reiche
zu unterwerfen.

Die sämtlichen Staaten, welche die Ostgermanen innerhalb des
römischen Reiches errichteten, sind nicht in unvermitteltem Gegensatz
gegen dasselbe, sondern in theoretischer Unterordnung unter den
römischen Staatsbegriff entstanden, in dessen Rahmen sie sich äuſser-

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[51/0069] der arianischen Germanen. das südwestliche Gallien. Nachdem sie als Föderaten im Dienste des Reiches jenseits der Pyrenäen die Silingen und Alanen geschlagen hatten, räumte ihnen Constantius durch einen Vertrag von 419 die Aquitania secunda und einige benachbarte Städtebezirke ein. Das Reich, welches die Westgoten hier errichteten und welches man nach seiner Hauptstadt Toulouse das tolosanische nennt, stand anfänglich als Föderatstaat in Abhängigkeit vom römischen Kaisertum. Allein dieses Verhältnis hat Eurich (466—484) endgiltig aufgelöst, der kräftigste König der Westgoten, unter dem sie durch die Eroberung des gröſsten Teiles von Spanien, der Provence und der Auvergne den Höhepunkt ihrer Macht erreichten. Von den Hunnen überwunden, befanden sich die Ostgoten in der Botmäſsigkeit des Siegers und muſsten ihm gleich den stamm- verwandten Gepiden Heerfolge leisten. Unter der Führung dreier Brüder aus dem heimischen Königsgeschlechte der Amaler kämpften sie 451 in der Schlacht von Mauriacum auf hunnischer Seite gegen die verbündeten Römer und Westgoten. Als es ihnen nach Attilas Tod gelungen war, unter dem Vorkampf der Gepiden das Hunnen- reich zu sprengen, lieſsen sie sich mit römischer Einwilligung in Pannonien nieder. Von den drei Brüdern, die sich hier räumlich in die Herrschaft teilten, fiel Walamir, der als der älteste die Oberhoheit hatte, in einer siegreichen Schlacht gegen die Skiren. Ein Teil der Ostgoten brach unter Widimir nach Italien auf, lieſs sich aber nach Gallien ablenken, um sich den Westgoten anzuschlieſsen. Der Kern des Volkes zog mit Theodimir über die Donau nach Mösien. Von hier führte dessen Sohn Theoderich 489, wenn nicht auf Anregung, so doch mit Zustimmung des oströmischen Kaisers Zeno, die Ostgoten nach Italien, wo er der Herrschaft Odovakers ein Ende machte. Auſser Italien einen Teil Pannoniens, die Alpenlandschaften und das südwestliche Gallien umfassend, wurde das ostgotische Reich unter Theoderich die vorwaltende Macht des Occidents. Allein nach seinem Tode (526) begann die Kraft der Ostgoten unaufhaltsam hinzu- schwinden. Durch innere Zwistigkeiten geschwächt, wurden sie von den Byzantinern angegriffen. In zwanzigjährigem Kriege (535 bis 554), der das Volk nahezu völlig aufrieb, gelang es der zähen und verschlagenen Staatskunst Justinians, Italien dem oströmischen Reiche zu unterwerfen. Die sämtlichen Staaten, welche die Ostgermanen innerhalb des römischen Reiches errichteten, sind nicht in unvermitteltem Gegensatz gegen dasselbe, sondern in theoretischer Unterordnung unter den römischen Staatsbegriff entstanden, in dessen Rahmen sie sich äuſser- 4*

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/69>, abgerufen am 22.11.2024.