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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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der fränkischen und der nachfränkischen Zeit.
Sohnes Pippin, Ludwigs I., Lothars, Ludwigs II., Karls des Kahlen,
Widos und Lamberts hinzu. Nachdem Otto I. Italien in das Ver-
hältnis der Realunion mit dem deutschen Reiche gebracht hatte, haben
von den deutschen Königen Otto I., Otto III., Heinrich II., Konrad II.
und Heinrich III. einzelne Gesetze für Italien erlassen 4.

Die Kapitularien, die in Italien in Geltung traten, wurden nicht
etwa von Amts wegen mit dem Körper des langobardischen Ediktes
verbunden, sondern es war der Privatthätigkeit anheimgegeben, sie zu
sammeln. Die im fränkischen Reiche entstandenen Kapitulariensamm-
lungen des Ansegisus und Benedictus kamen in Italien nicht in Gebrauch,
sie konnten hier nicht benutzt werden, weil sie sich nicht auf den
für Italien berechneten Teil der Kapitularien beschränkten. Vielmehr
wurde in Italien eine selbständige Sammlung der daselbst geltenden
Kapitularien veranstaltet 5, welche uns zuerst in einer Urkunde von
988 6 als Capitulare Langobardorum, später auch unter dem Namen
Capitulare schlechtweg genannt wird. Vermutlich war schon vor 891
in der Lombardei eine Sammlung fränkischer Kapitularien vorhanden,
welche man in der Zeit von 996 bis 1019 durch ein Kapitular Widos
von 891 und durch die Gesetze der Ottonen 7 ergänzte, während die
der beiden Heinriche und Konrads später gelegentlich nachgetragen
wurden.

Auf Grund des Ediktes und des Kapitulars entwickelte sich in
Italien und zwar zunächst in der Lombardei eine rege juristische
Thätigkeit 8, welche in der Entstehung lombardischer Rechtsschulen
ihren Ausgangspunkt hatte. Den grössten Ruhm erwarb die besonders
in der ersten Hälfte des elften Jahrhunderts blühende Rechtsschule
von Pavia, deren Häupter als königliche Pfalzrichter auch in der
Rechtspraxis weit verbreitetes Ansehen genossen. In der späteren
langobardischen Rechtslitteratur werden die älteren Juristen, auf die
sie sich beruft, unter dem Ausdruck antiqui iudices, causidici oder

4 Die einzelnen Kapitularien u. Königsgesetze Italiens verzeichnet Boretius,
LL IV praef. S 47--49.
5 Boretius, Praef. § 24 und dazu die Ergänzungen von Ficker, Über die
Zeit und den Ort der Entstehung des Brachylogus, Wiener Sitz.-Ber. LXVII 635 ff.
und Forschungen III b 462, Nachtr. zu § 479.
6 Bei Ficker, Forschungen IV 49 Z. 2 v. u.
7 Mit Ottos III. Kapitular schloss ursprünglich die älteste uns bekannte Hand-
schrift der Sammlung.
8 Grundlegend sind für die Geschichte und Litteratur des langobardischen
Rechtes die mustergiltigen Ausführungen von Boretius in der Vorrede zu seiner
Ausgabe des Liber legis Langobardorum. Vgl. das Urteil Fickers, Forschungen
III 56 Anm 4.

der fränkischen und der nachfränkischen Zeit.
Sohnes Pippin, Ludwigs I., Lothars, Ludwigs II., Karls des Kahlen,
Widos und Lamberts hinzu. Nachdem Otto I. Italien in das Ver-
hältnis der Realunion mit dem deutschen Reiche gebracht hatte, haben
von den deutschen Königen Otto I., Otto III., Heinrich II., Konrad II.
und Heinrich III. einzelne Gesetze für Italien erlassen 4.

Die Kapitularien, die in Italien in Geltung traten, wurden nicht
etwa von Amts wegen mit dem Körper des langobardischen Ediktes
verbunden, sondern es war der Privatthätigkeit anheimgegeben, sie zu
sammeln. Die im fränkischen Reiche entstandenen Kapitulariensamm-
lungen des Ansegisus und Benedictus kamen in Italien nicht in Gebrauch,
sie konnten hier nicht benutzt werden, weil sie sich nicht auf den
für Italien berechneten Teil der Kapitularien beschränkten. Vielmehr
wurde in Italien eine selbständige Sammlung der daselbst geltenden
Kapitularien veranstaltet 5, welche uns zuerst in einer Urkunde von
988 6 als Capitulare Langobardorum, später auch unter dem Namen
Capitulare schlechtweg genannt wird. Vermutlich war schon vor 891
in der Lombardei eine Sammlung fränkischer Kapitularien vorhanden,
welche man in der Zeit von 996 bis 1019 durch ein Kapitular Widos
von 891 und durch die Gesetze der Ottonen 7 ergänzte, während die
der beiden Heinriche und Konrads später gelegentlich nachgetragen
wurden.

Auf Grund des Ediktes und des Kapitulars entwickelte sich in
Italien und zwar zunächst in der Lombardei eine rege juristische
Thätigkeit 8, welche in der Entstehung lombardischer Rechtsschulen
ihren Ausgangspunkt hatte. Den gröſsten Ruhm erwarb die besonders
in der ersten Hälfte des elften Jahrhunderts blühende Rechtsschule
von Pavia, deren Häupter als königliche Pfalzrichter auch in der
Rechtspraxis weit verbreitetes Ansehen genossen. In der späteren
langobardischen Rechtslitteratur werden die älteren Juristen, auf die
sie sich beruft, unter dem Ausdruck antiqui iudices, causidici oder

4 Die einzelnen Kapitularien u. Königsgesetze Italiens verzeichnet Boretius,
LL IV praef. S 47—49.
5 Boretius, Praef. § 24 und dazu die Ergänzungen von Ficker, Über die
Zeit und den Ort der Entstehung des Brachylogus, Wiener Sitz.-Ber. LXVII 635 ff.
und Forschungen III b 462, Nachtr. zu § 479.
6 Bei Ficker, Forschungen IV 49 Z. 2 v. u.
7 Mit Ottos III. Kapitular schloſs ursprünglich die älteste uns bekannte Hand-
schrift der Sammlung.
8 Grundlegend sind für die Geschichte und Litteratur des langobardischen
Rechtes die mustergiltigen Ausführungen von Boretius in der Vorrede zu seiner
Ausgabe des Liber legis Langobardorum. Vgl. das Urteil Fickers, Forschungen
III 56 Anm 4.
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[389/0407] der fränkischen und der nachfränkischen Zeit. Sohnes Pippin, Ludwigs I., Lothars, Ludwigs II., Karls des Kahlen, Widos und Lamberts hinzu. Nachdem Otto I. Italien in das Ver- hältnis der Realunion mit dem deutschen Reiche gebracht hatte, haben von den deutschen Königen Otto I., Otto III., Heinrich II., Konrad II. und Heinrich III. einzelne Gesetze für Italien erlassen 4. Die Kapitularien, die in Italien in Geltung traten, wurden nicht etwa von Amts wegen mit dem Körper des langobardischen Ediktes verbunden, sondern es war der Privatthätigkeit anheimgegeben, sie zu sammeln. Die im fränkischen Reiche entstandenen Kapitulariensamm- lungen des Ansegisus und Benedictus kamen in Italien nicht in Gebrauch, sie konnten hier nicht benutzt werden, weil sie sich nicht auf den für Italien berechneten Teil der Kapitularien beschränkten. Vielmehr wurde in Italien eine selbständige Sammlung der daselbst geltenden Kapitularien veranstaltet 5, welche uns zuerst in einer Urkunde von 988 6 als Capitulare Langobardorum, später auch unter dem Namen Capitulare schlechtweg genannt wird. Vermutlich war schon vor 891 in der Lombardei eine Sammlung fränkischer Kapitularien vorhanden, welche man in der Zeit von 996 bis 1019 durch ein Kapitular Widos von 891 und durch die Gesetze der Ottonen 7 ergänzte, während die der beiden Heinriche und Konrads später gelegentlich nachgetragen wurden. Auf Grund des Ediktes und des Kapitulars entwickelte sich in Italien und zwar zunächst in der Lombardei eine rege juristische Thätigkeit 8, welche in der Entstehung lombardischer Rechtsschulen ihren Ausgangspunkt hatte. Den gröſsten Ruhm erwarb die besonders in der ersten Hälfte des elften Jahrhunderts blühende Rechtsschule von Pavia, deren Häupter als königliche Pfalzrichter auch in der Rechtspraxis weit verbreitetes Ansehen genossen. In der späteren langobardischen Rechtslitteratur werden die älteren Juristen, auf die sie sich beruft, unter dem Ausdruck antiqui iudices, causidici oder 4 Die einzelnen Kapitularien u. Königsgesetze Italiens verzeichnet Boretius, LL IV praef. S 47—49. 5 Boretius, Praef. § 24 und dazu die Ergänzungen von Ficker, Über die Zeit und den Ort der Entstehung des Brachylogus, Wiener Sitz.-Ber. LXVII 635 ff. und Forschungen III b 462, Nachtr. zu § 479. 6 Bei Ficker, Forschungen IV 49 Z. 2 v. u. 7 Mit Ottos III. Kapitular schloſs ursprünglich die älteste uns bekannte Hand- schrift der Sammlung. 8 Grundlegend sind für die Geschichte und Litteratur des langobardischen Rechtes die mustergiltigen Ausführungen von Boretius in der Vorrede zu seiner Ausgabe des Liber legis Langobardorum. Vgl. das Urteil Fickers, Forschungen III 56 Anm 4.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/407>, abgerufen am 03.05.2024.