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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 54. Königsrecht und Kapitularien.

Seit Karl Martell haben die Hausmeier, wie früher die Könige,
allgemeine Verordnungen erlassen7. Es sind uns drei Dekrete Karl-
manns und Pippins aus den Jahren 742--744 erhalten. Sie sind mit
Zustimmung der geistlichen und weltlichen Amtsaristokratie zustande
gekommen.

Die Satzungen der merowingischen Zeit führen, ob sie nun volks-
rechtlichen oder administrativen Inhalt haben, gleichartige Benen-
nungen. Sie hiessen entweder, wie die Königsurkunde überhaupt,
auctoritas oder edictum, praeceptio, decretum, decretio. Dagegen
wurde in karolingischer Zeit der Ausdruck "capitulare" technische
Bezeichnung der königlichen Satzungen. Er begegnet uns im frän-
kischen Reiche zuerst für eine Verordnung Karls von 7798. Schon
750 findet er sich bei den Langobarden, nämlich in einer Verordnung
Aistulfs, wo er vermutlich im Gegensatz zum Edictus als der Quelle
des Volksrechtes gebraucht wird9. Capitulare heisst bei den Franken
der einzelne Abschnitt der Satzungsurkunde10. Die Gesamtheit der
in einer Urkunde zusammengetragenen, weil gleichzeitig entstandenen
Kapitel wird capitulare oder capitulatio genannt oder durch den
Plural capitula bezeichnet.

Die karolingischen Kapitularien zerfallen in verschiedene Gruppen.
Jenachdem ihr Inhalt geistliche oder weltliche Angelegenheiten be-
trifft, sind capitularia ecclesiastica und mundana zu unterscheiden.
Doch besteht keine scharfe Trennung der beiden Gruppen, da manche
Kapitularien zugleich weltliche und kirchliche Materien regeln. Be-
deutsamer ist eine Einteilung der weltlichen Kapitularien, wie sie am

sämtliche iudices gerichtetes Edikt Guntrams von 585 und den zwischen Guntram
und Childebert II. 587 zu Andelot abgeschlossenen Staatsvertrag.
7 Auf eine Satzung Karl Martells bezieht sich Karlmanni Cap. Liptinense,
Cap. I 28, c. 4: decrevimus quoque, quod et pater meus ante praecipie-
bat
, ut qui paganas observationes in aliqua re fecerit, multetur et damnetur
XV solidis.
8 Cap. I 47.
9 Paruit in eius (edicti) volumine adaugeri et in capitulare affigere. Boretius,
Cap. im Langobardenreich S 12; derselbe, Beiträge S 27.
10 Conc. Vern. v. J. 755, Cap. I 33, pr. i. f.: ipsarum enim rerum, quae pro
nostra emendatione commune sunt prolata, per distincta capitula subter tenen-
tur inserta. Der Sprachgebrauch ist alt. Cod. Theod. IX 21 l. 4 a. E. v. J. 329: in
omnibus capitulis lex pridem lata servabitur. Übrigens bedeutet capitulum in der
fränkischen Rechtssprache manchmal auch den einzelnen Rechtssatz. So im Capi-
tulare Saxonicum von 797 c. 1: ut de illis capitulis pro quibus Franci, si regis
bannum transgressi sunt, solidos 60 conponunt, similiter Saxones solvent. Das
Cap. zur Lex Baiuw. Cap. I 157 bringt in drei Kapiteln die bekannten acht Bann-
fälle und sagt zum Schluss des 3. Kapitels: haec octo capitula in assiduitate.
§ 54. Königsrecht und Kapitularien.

Seit Karl Martell haben die Hausmeier, wie früher die Könige,
allgemeine Verordnungen erlassen7. Es sind uns drei Dekrete Karl-
manns und Pippins aus den Jahren 742—744 erhalten. Sie sind mit
Zustimmung der geistlichen und weltlichen Amtsaristokratie zustande
gekommen.

Die Satzungen der merowingischen Zeit führen, ob sie nun volks-
rechtlichen oder administrativen Inhalt haben, gleichartige Benen-
nungen. Sie hieſsen entweder, wie die Königsurkunde überhaupt,
auctoritas oder edictum, praeceptio, decretum, decretio. Dagegen
wurde in karolingischer Zeit der Ausdruck „capitulare“ technische
Bezeichnung der königlichen Satzungen. Er begegnet uns im frän-
kischen Reiche zuerst für eine Verordnung Karls von 7798. Schon
750 findet er sich bei den Langobarden, nämlich in einer Verordnung
Aistulfs, wo er vermutlich im Gegensatz zum Edictus als der Quelle
des Volksrechtes gebraucht wird9. Capitulare heiſst bei den Franken
der einzelne Abschnitt der Satzungsurkunde10. Die Gesamtheit der
in einer Urkunde zusammengetragenen, weil gleichzeitig entstandenen
Kapitel wird capitulare oder capitulatio genannt oder durch den
Plural capitula bezeichnet.

Die karolingischen Kapitularien zerfallen in verschiedene Gruppen.
Jenachdem ihr Inhalt geistliche oder weltliche Angelegenheiten be-
trifft, sind capitularia ecclesiastica und mundana zu unterscheiden.
Doch besteht keine scharfe Trennung der beiden Gruppen, da manche
Kapitularien zugleich weltliche und kirchliche Materien regeln. Be-
deutsamer ist eine Einteilung der weltlichen Kapitularien, wie sie am

sämtliche iudices gerichtetes Edikt Guntrams von 585 und den zwischen Guntram
und Childebert II. 587 zu Andelot abgeschlossenen Staatsvertrag.
7 Auf eine Satzung Karl Martells bezieht sich Karlmanni Cap. Liptinense,
Cap. I 28, c. 4: decrevimus quoque, quod et pater meus ante praecipie-
bat
, ut qui paganas observationes in aliqua re fecerit, multetur et damnetur
XV solidis.
8 Cap. I 47.
9 Paruit in eius (edicti) volumine adaugeri et in capitulare affigere. Boretius,
Cap. im Langobardenreich S 12; derselbe, Beiträge S 27.
10 Conc. Vern. v. J. 755, Cap. I 33, pr. i. f.: ipsarum enim rerum, quae pro
nostra emendatione commune sunt prolata, per distincta capitula subter tenen-
tur inserta. Der Sprachgebrauch ist alt. Cod. Theod. IX 21 l. 4 a. E. v. J. 329: in
omnibus capitulis lex pridem lata servabitur. Übrigens bedeutet capitulum in der
fränkischen Rechtssprache manchmal auch den einzelnen Rechtssatz. So im Capi-
tulare Saxonicum von 797 c. 1: ut de illis capitulis pro quibus Franci, si regis
bannum transgressi sunt, solidos 60 conponunt, similiter Saxones solvent. Das
Cap. zur Lex Baiuw. Cap. I 157 bringt in drei Kapiteln die bekannten acht Bann-
fälle und sagt zum Schluſs des 3. Kapitels: haec octo capitula in assiduitate.
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[377/0395] § 54. Königsrecht und Kapitularien. Seit Karl Martell haben die Hausmeier, wie früher die Könige, allgemeine Verordnungen erlassen 7. Es sind uns drei Dekrete Karl- manns und Pippins aus den Jahren 742—744 erhalten. Sie sind mit Zustimmung der geistlichen und weltlichen Amtsaristokratie zustande gekommen. Die Satzungen der merowingischen Zeit führen, ob sie nun volks- rechtlichen oder administrativen Inhalt haben, gleichartige Benen- nungen. Sie hieſsen entweder, wie die Königsurkunde überhaupt, auctoritas oder edictum, praeceptio, decretum, decretio. Dagegen wurde in karolingischer Zeit der Ausdruck „capitulare“ technische Bezeichnung der königlichen Satzungen. Er begegnet uns im frän- kischen Reiche zuerst für eine Verordnung Karls von 779 8. Schon 750 findet er sich bei den Langobarden, nämlich in einer Verordnung Aistulfs, wo er vermutlich im Gegensatz zum Edictus als der Quelle des Volksrechtes gebraucht wird 9. Capitulare heiſst bei den Franken der einzelne Abschnitt der Satzungsurkunde 10. Die Gesamtheit der in einer Urkunde zusammengetragenen, weil gleichzeitig entstandenen Kapitel wird capitulare oder capitulatio genannt oder durch den Plural capitula bezeichnet. Die karolingischen Kapitularien zerfallen in verschiedene Gruppen. Jenachdem ihr Inhalt geistliche oder weltliche Angelegenheiten be- trifft, sind capitularia ecclesiastica und mundana zu unterscheiden. Doch besteht keine scharfe Trennung der beiden Gruppen, da manche Kapitularien zugleich weltliche und kirchliche Materien regeln. Be- deutsamer ist eine Einteilung der weltlichen Kapitularien, wie sie am 6 7 Auf eine Satzung Karl Martells bezieht sich Karlmanni Cap. Liptinense, Cap. I 28, c. 4: decrevimus quoque, quod et pater meus ante praecipie- bat, ut qui paganas observationes in aliqua re fecerit, multetur et damnetur XV solidis. 8 Cap. I 47. 9 Paruit in eius (edicti) volumine adaugeri et in capitulare affigere. Boretius, Cap. im Langobardenreich S 12; derselbe, Beiträge S 27. 10 Conc. Vern. v. J. 755, Cap. I 33, pr. i. f.: ipsarum enim rerum, quae pro nostra emendatione commune sunt prolata, per distincta capitula subter tenen- tur inserta. Der Sprachgebrauch ist alt. Cod. Theod. IX 21 l. 4 a. E. v. J. 329: in omnibus capitulis lex pridem lata servabitur. Übrigens bedeutet capitulum in der fränkischen Rechtssprache manchmal auch den einzelnen Rechtssatz. So im Capi- tulare Saxonicum von 797 c. 1: ut de illis capitulis pro quibus Franci, si regis bannum transgressi sunt, solidos 60 conponunt, similiter Saxones solvent. Das Cap. zur Lex Baiuw. Cap. I 157 bringt in drei Kapiteln die bekannten acht Bann- fälle und sagt zum Schluſs des 3. Kapitels: haec octo capitula in assiduitate. 6 sämtliche iudices gerichtetes Edikt Guntrams von 585 und den zwischen Guntram und Childebert II. 587 zu Andelot abgeschlossenen Staatsvertrag.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/395>, abgerufen am 25.11.2024.