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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 43. Die Leges Wisigothorum.

Im weiteren Verlaufe seiner Regierung hat Reckessuinth seine
erste Sammlung einer vollständigen Umarbeitung unterzogen. Ihr
Ergebnis ist die Lex Wisigothorum Reccessuinthiana, ein systematisch
geordnetes Gesetzbuch, welches in zwölf Bücher und weiter in Titel
und Kapitel (erae) zerfällt 43. Anlage und System sind eine Nach-
ahmung der römischen Konstitutionensammlungen, wie sie im Codex
Theodosianus und im Codex Justinianus als Vorbilder vorlagen. Mit
diesen hat die Lex Wisigothorum auch gemein, dass den neueren
Gesetzen die Namen der Gesetzgeber: Flavius Chindasuinthus rex,
Flavius gloriosissimus Reccessuinthus rex vorangestellt sind, wogegen
die älteren Stücke 44 unter der Überschrift Antiqua erscheinen. Von
den etwa fünfhundert Gesetzen der Lex sind drei Fünftel den Leges
antiquae entnommen; in den Rest teilen sich Chindasuinth und
Reckessuinth ungefähr zu gleichen Teilen 45.

Bei hoher Geldstrafe verbot Reckessuinth, dass eine ältere Samm-
lung westgotischer Königsgesetze vor Gericht produziert werde 46. Den
Richtern wurde aufgetragen, in solchem Falle die vorgelegte Hand-
schrift zu zerreissen. Gleichzeitig wurde der Preis des Exemplars der
neuen Redaktion auf sechs solidi festgesetzt 47.

3. Das Gesetzbuch Erwigs. Eine neue Redaktion der Lex
publizierte König Erwig im Jahre 682. Er nahm dabei mehrere
Gesetze seines Vorgängers Wamba (672--680) und seine eigenen,
darunter zahlreiche Gesetze gegen die Juden in das Gesetzbuch auf.
Die Reccessuinthiana und Wambas Gesetze unterzog er einer peinlich
sorgfältigen Umarbeitung, indem er an dem Wortschwall der Kon-
stitutionen Kürzungen vornahm und andererseits durch mosaikartige
Zusätze eine Menge kasuistischer Details einfügte. Ein Teil der
antiquae und die Mehrzahl der neueren Gesetze ist auf diese Weise
mit kleinlichen Interpolationen überladen worden 48.

43 Aus Lex Wis. II 3, 4 und VI 2, 5 glaubte man, weil darin andere Stellen
der Lex nach Buch, Titel und Era zitiert sind, schliessen zu müssen, dass schon
Chindasuinths Sammlung diese Einteilung gehabt habe. Allein diese Zitate stam-
men nicht von Chindasuinth, sondern von Erwig. S. Bluhme, Textkritik S XXVI,
Nachtrag zu S XII. Nach erae zitiert Form. Wisig. 40 und die Rechtsprechung
Septimaniens im 9. Jh., z. B. Vaissete, Hist. de Languedoc II Nr 161 v. J. 862.
44 Abgesehen von den oben Anm 29 und 30 angeführten Ausnahmen.
45 S. die Zusammenstellung Bluhmes, Textkritik S XXVI.
46 Lex Wis. II 1, 10. Vgl. Anm 36.
47 Lex Wis. V 4, 22. Später wurde er auf 12 solidi erhöht.
48 Beispiele seiner Methode giebt Bluhme, Textkritik S 23 ff.
§ 43. Die Leges Wisigothorum.

Im weiteren Verlaufe seiner Regierung hat Reckessuinth seine
erste Sammlung einer vollständigen Umarbeitung unterzogen. Ihr
Ergebnis ist die Lex Wisigothorum Reccessuinthiana, ein systematisch
geordnetes Gesetzbuch, welches in zwölf Bücher und weiter in Titel
und Kapitel (erae) zerfällt 43. Anlage und System sind eine Nach-
ahmung der römischen Konstitutionensammlungen, wie sie im Codex
Theodosianus und im Codex Justinianus als Vorbilder vorlagen. Mit
diesen hat die Lex Wisigothorum auch gemein, daſs den neueren
Gesetzen die Namen der Gesetzgeber: Flavius Chindasuinthus rex,
Flavius gloriosissimus Reccessuinthus rex vorangestellt sind, wogegen
die älteren Stücke 44 unter der Überschrift Antiqua erscheinen. Von
den etwa fünfhundert Gesetzen der Lex sind drei Fünftel den Leges
antiquae entnommen; in den Rest teilen sich Chindasuinth und
Reckessuinth ungefähr zu gleichen Teilen 45.

Bei hoher Geldstrafe verbot Reckessuinth, daſs eine ältere Samm-
lung westgotischer Königsgesetze vor Gericht produziert werde 46. Den
Richtern wurde aufgetragen, in solchem Falle die vorgelegte Hand-
schrift zu zerreiſsen. Gleichzeitig wurde der Preis des Exemplars der
neuen Redaktion auf sechs solidi festgesetzt 47.

3. Das Gesetzbuch Erwigs. Eine neue Redaktion der Lex
publizierte König Erwig im Jahre 682. Er nahm dabei mehrere
Gesetze seines Vorgängers Wamba (672—680) und seine eigenen,
darunter zahlreiche Gesetze gegen die Juden in das Gesetzbuch auf.
Die Reccessuinthiana und Wambas Gesetze unterzog er einer peinlich
sorgfältigen Umarbeitung, indem er an dem Wortschwall der Kon-
stitutionen Kürzungen vornahm und andererseits durch mosaikartige
Zusätze eine Menge kasuistischer Details einfügte. Ein Teil der
antiquae und die Mehrzahl der neueren Gesetze ist auf diese Weise
mit kleinlichen Interpolationen überladen worden 48.

43 Aus Lex Wis. II 3, 4 und VI 2, 5 glaubte man, weil darin andere Stellen
der Lex nach Buch, Titel und Era zitiert sind, schlieſsen zu müssen, daſs schon
Chindasuinths Sammlung diese Einteilung gehabt habe. Allein diese Zitate stam-
men nicht von Chindasuinth, sondern von Erwig. S. Bluhme, Textkritik S XXVI,
Nachtrag zu S XII. Nach erae zitiert Form. Wisig. 40 und die Rechtsprechung
Septimaniens im 9. Jh., z. B. Vaissete, Hist. de Languedoc II Nr 161 v. J. 862.
44 Abgesehen von den oben Anm 29 und 30 angeführten Ausnahmen.
45 S. die Zusammenstellung Bluhmes, Textkritik S XXVI.
46 Lex Wis. II 1, 10. Vgl. Anm 36.
47 Lex Wis. V 4, 22. Später wurde er auf 12 solidi erhöht.
48 Beispiele seiner Methode giebt Bluhme, Textkritik S 23 ff.
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[330/0348] § 43. Die Leges Wisigothorum. Im weiteren Verlaufe seiner Regierung hat Reckessuinth seine erste Sammlung einer vollständigen Umarbeitung unterzogen. Ihr Ergebnis ist die Lex Wisigothorum Reccessuinthiana, ein systematisch geordnetes Gesetzbuch, welches in zwölf Bücher und weiter in Titel und Kapitel (erae) zerfällt 43. Anlage und System sind eine Nach- ahmung der römischen Konstitutionensammlungen, wie sie im Codex Theodosianus und im Codex Justinianus als Vorbilder vorlagen. Mit diesen hat die Lex Wisigothorum auch gemein, daſs den neueren Gesetzen die Namen der Gesetzgeber: Flavius Chindasuinthus rex, Flavius gloriosissimus Reccessuinthus rex vorangestellt sind, wogegen die älteren Stücke 44 unter der Überschrift Antiqua erscheinen. Von den etwa fünfhundert Gesetzen der Lex sind drei Fünftel den Leges antiquae entnommen; in den Rest teilen sich Chindasuinth und Reckessuinth ungefähr zu gleichen Teilen 45. Bei hoher Geldstrafe verbot Reckessuinth, daſs eine ältere Samm- lung westgotischer Königsgesetze vor Gericht produziert werde 46. Den Richtern wurde aufgetragen, in solchem Falle die vorgelegte Hand- schrift zu zerreiſsen. Gleichzeitig wurde der Preis des Exemplars der neuen Redaktion auf sechs solidi festgesetzt 47. 3. Das Gesetzbuch Erwigs. Eine neue Redaktion der Lex publizierte König Erwig im Jahre 682. Er nahm dabei mehrere Gesetze seines Vorgängers Wamba (672—680) und seine eigenen, darunter zahlreiche Gesetze gegen die Juden in das Gesetzbuch auf. Die Reccessuinthiana und Wambas Gesetze unterzog er einer peinlich sorgfältigen Umarbeitung, indem er an dem Wortschwall der Kon- stitutionen Kürzungen vornahm und andererseits durch mosaikartige Zusätze eine Menge kasuistischer Details einfügte. Ein Teil der antiquae und die Mehrzahl der neueren Gesetze ist auf diese Weise mit kleinlichen Interpolationen überladen worden 48. 43 Aus Lex Wis. II 3, 4 und VI 2, 5 glaubte man, weil darin andere Stellen der Lex nach Buch, Titel und Era zitiert sind, schlieſsen zu müssen, daſs schon Chindasuinths Sammlung diese Einteilung gehabt habe. Allein diese Zitate stam- men nicht von Chindasuinth, sondern von Erwig. S. Bluhme, Textkritik S XXVI, Nachtrag zu S XII. Nach erae zitiert Form. Wisig. 40 und die Rechtsprechung Septimaniens im 9. Jh., z. B. Vaissete, Hist. de Languedoc II Nr 161 v. J. 862. 44 Abgesehen von den oben Anm 29 und 30 angeführten Ausnahmen. 45 S. die Zusammenstellung Bluhmes, Textkritik S XXVI. 46 Lex Wis. II 1, 10. Vgl. Anm 36. 47 Lex Wis. V 4, 22. Später wurde er auf 12 solidi erhöht. 48 Beispiele seiner Methode giebt Bluhme, Textkritik S 23 ff.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/348>, abgerufen am 23.11.2024.