Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 40. Die Lex Ribuaria.
dessen Vorrede in LL V a. O. Ernst Mayer, Zur Entstehung der Lex Ribu-
ariorum, 1886. R. Schröder, Z2 f. RG VII 22 ff.

Später als das Volksrecht der Salier wurde das der Ribuarier
aufgezeichnet. Im übrigen ist seine Entstehungsgeschichte dunkel und
streitig. Die 35 Handschriften, welche wir davon besitzen, und die auf
verschollenen Handschriften beruhenden Drucke1) geben einen im
wesentlichen gleichförmigen Text. Jene stammen aus dem neunten
Jahrhundert oder aus jüngerer Zeit, mit Ausnahme eines Münchener
Kodex2), der vielleicht noch gegen Ausgang des achten Jahrhunderts
geschrieben wurde. Ohne durch eine scharfe Grenzlinie geschieden
zu sein, zerfallen sie in zwei Gruppen, von welchen die grössere sich
durch eine bessere Latinität charakterisiert und durch das Bestreben,
altfränkische Rechtsausdrücke zu vermeiden oder zu erläutern3). Die
Gleichförmigkeit der überlieferten Texte macht es wahrscheinlich, dass
uns von der Lex nur eine in karolingischer Zeit und zwar im achten
Jahrhundert auf ähnlichem Wege wie die Lex Salica emendata ent-
standene Rezension erhalten ist4) und die älteren Textformen verloren
gegangen sind. Titel 36 weist in allen Handschriften Interpolationen
und Zusätze auf, welche erst in karolingischer Zeit entstanden sein
können5). In einer Wiener Handschrift (A 5) bezeichnet sich die Lex

1) Bei Sichard, Herold, Tilius u. Lindenbruch. S. oben zu § 37. 38.
Die Lex Rib. steht auch in dem jüngst aufgefundenen Klitschdorfer Kodex.
2) Cod. bibl. reg. Monacensis Lat. 4115, bei Sohm A 4.
3) Sohm hat in seiner Ausgabe demgemäss eine altertümlichere Textform A
und eine modernisierte B neben einander abgedruckt. Von sachlichen Unterschieden
ist der erheblichste, dass die meisten, aber nicht alle A-Texte in Titel 36 dem
Kleriker das Wergeld seiner Geburt beilegen und ein geringeres Wergeld des
Diakons und des Subdiakons ansetzen.
4) Einen sicheren terminus ad quem giebt das Cap. legi Rib. add. v. J. 803,
I 117, dessen Bestimmungen nicht mehr in den Text der Lex aufgenommen worden
sind. Nur zwei Ausnahmen sind in dieser Beziehung zu verzeichnen. Der Heroldsche
Druck hat statt Titel I das erste Kapitel des Kapitulars. Die Handschrift, welche
den LL V 277 abgedruckten althochdeutschen Glossen zu Grunde lag, hatte c. 6
des Kapitulars in Titel 32 aufgenommen, wie die Stellung der Glosse lehan für
beneficium ergiebt. Die adkapitulierten Sätze würden in grösserem Umfange und
in einer grösseren Zahl von Handschriften aufgenommen worden sein, wenn sich
die überlieferte Textform nicht bereits vor 803 als eine herkömmliche und fest-
stehende ausgebildet hätte.
5) In 36, 4 sind die Worte Fresionem, Saxonem interpoliert. Sie setzen die
Unterwerfung friesischer und sächsischer Bevölkerung voraus. Zusätze karolingi-
scher Zeit sind auch 36, 11 (E. Mayer S 32 f.) und 36, 12, wo der Silbersolidus
als eine vor längerer Zeit (sicut antiquitus constitutum est, wie in Cap. I 269, s.
oben S 216 Anm 17) eingeführte Währung erscheint (E. Mayer S 35 ff.).

§ 40. Die Lex Ribuaria.
dessen Vorrede in LL V a. O. Ernst Mayer, Zur Entstehung der Lex Ribu-
ariorum, 1886. R. Schröder, Z2 f. RG VII 22 ff.

Später als das Volksrecht der Salier wurde das der Ribuarier
aufgezeichnet. Im übrigen ist seine Entstehungsgeschichte dunkel und
streitig. Die 35 Handschriften, welche wir davon besitzen, und die auf
verschollenen Handschriften beruhenden Drucke1) geben einen im
wesentlichen gleichförmigen Text. Jene stammen aus dem neunten
Jahrhundert oder aus jüngerer Zeit, mit Ausnahme eines Münchener
Kodex2), der vielleicht noch gegen Ausgang des achten Jahrhunderts
geschrieben wurde. Ohne durch eine scharfe Grenzlinie geschieden
zu sein, zerfallen sie in zwei Gruppen, von welchen die gröſsere sich
durch eine bessere Latinität charakterisiert und durch das Bestreben,
altfränkische Rechtsausdrücke zu vermeiden oder zu erläutern3). Die
Gleichförmigkeit der überlieferten Texte macht es wahrscheinlich, daſs
uns von der Lex nur eine in karolingischer Zeit und zwar im achten
Jahrhundert auf ähnlichem Wege wie die Lex Salica emendata ent-
standene Rezension erhalten ist4) und die älteren Textformen verloren
gegangen sind. Titel 36 weist in allen Handschriften Interpolationen
und Zusätze auf, welche erst in karolingischer Zeit entstanden sein
können5). In einer Wiener Handschrift (A 5) bezeichnet sich die Lex

1) Bei Sichard, Herold, Tilius u. Lindenbruch. S. oben zu § 37. 38.
Die Lex Rib. steht auch in dem jüngst aufgefundenen Klitschdorfer Kodex.
2) Cod. bibl. reg. Monacensis Lat. 4115, bei Sohm A 4.
3) Sohm hat in seiner Ausgabe demgemäſs eine altertümlichere Textform A
und eine modernisierte B neben einander abgedruckt. Von sachlichen Unterschieden
ist der erheblichste, daſs die meisten, aber nicht alle A-Texte in Titel 36 dem
Kleriker das Wergeld seiner Geburt beilegen und ein geringeres Wergeld des
Diakons und des Subdiakons ansetzen.
4) Einen sicheren terminus ad quem giebt das Cap. legi Rib. add. v. J. 803,
I 117, dessen Bestimmungen nicht mehr in den Text der Lex aufgenommen worden
sind. Nur zwei Ausnahmen sind in dieser Beziehung zu verzeichnen. Der Heroldsche
Druck hat statt Titel I das erste Kapitel des Kapitulars. Die Handschrift, welche
den LL V 277 abgedruckten althochdeutschen Glossen zu Grunde lag, hatte c. 6
des Kapitulars in Titel 32 aufgenommen, wie die Stellung der Glosse lehan für
beneficium ergiebt. Die adkapitulierten Sätze würden in gröſserem Umfange und
in einer gröſseren Zahl von Handschriften aufgenommen worden sein, wenn sich
die überlieferte Textform nicht bereits vor 803 als eine herkömmliche und fest-
stehende ausgebildet hätte.
5) In 36, 4 sind die Worte Fresionem, Saxonem interpoliert. Sie setzen die
Unterwerfung friesischer und sächsischer Bevölkerung voraus. Zusätze karolingi-
scher Zeit sind auch 36, 11 (E. Mayer S 32 f.) und 36, 12, wo der Silbersolidus
als eine vor längerer Zeit (sicut antiquitus constitutum est, wie in Cap. I 269, s.
oben S 216 Anm 17) eingeführte Währung erscheint (E. Mayer S 35 ff.).
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p>
              <bibl><pb facs="#f0322" n="304"/><fw place="top" type="header">§ 40. Die Lex Ribuaria.</fw><lb/>
dessen Vorrede in LL V a. O. <hi rendition="#g">Ernst Mayer</hi>, Zur Entstehung der Lex Ribu-<lb/><hi rendition="#c">ariorum, 1886. R. <hi rendition="#g">Schröder</hi>, Z<hi rendition="#sup">2</hi> f. RG VII 22 ff.</hi></bibl>
            </p><lb/>
            <p>Später als das Volksrecht der Salier wurde das der Ribuarier<lb/>
aufgezeichnet. Im übrigen ist seine Entstehungsgeschichte dunkel und<lb/>
streitig. Die 35 Handschriften, welche wir davon besitzen, und die auf<lb/>
verschollenen Handschriften beruhenden Drucke<note place="foot" n="1)">Bei <hi rendition="#g">Sichard, Herold, Tilius u. Lindenbruch</hi>. S. oben zu § 37. 38.<lb/>
Die Lex Rib. steht auch in dem jüngst aufgefundenen Klitschdorfer Kodex.</note> geben einen im<lb/>
wesentlichen gleichförmigen Text. Jene stammen aus dem neunten<lb/>
Jahrhundert oder aus jüngerer Zeit, mit Ausnahme eines Münchener<lb/>
Kodex<note place="foot" n="2)">Cod. bibl. reg. Monacensis Lat. 4115, bei <hi rendition="#g">Sohm</hi> A 4.</note>, der vielleicht noch gegen Ausgang des achten Jahrhunderts<lb/>
geschrieben wurde. Ohne durch eine scharfe Grenzlinie geschieden<lb/>
zu sein, zerfallen sie in zwei Gruppen, von welchen die grö&#x017F;sere sich<lb/>
durch eine bessere Latinität charakterisiert und durch das Bestreben,<lb/>
altfränkische Rechtsausdrücke zu vermeiden oder zu erläutern<note place="foot" n="3)"><hi rendition="#g">Sohm</hi> hat in seiner Ausgabe demgemä&#x017F;s eine altertümlichere Textform A<lb/>
und eine modernisierte B neben einander abgedruckt. Von sachlichen Unterschieden<lb/>
ist der erheblichste, da&#x017F;s die meisten, aber nicht alle A-Texte in Titel 36 dem<lb/>
Kleriker das Wergeld seiner Geburt beilegen und ein geringeres Wergeld des<lb/>
Diakons und des Subdiakons ansetzen.</note>. Die<lb/>
Gleichförmigkeit der überlieferten Texte macht es wahrscheinlich, da&#x017F;s<lb/>
uns von der Lex nur eine in karolingischer Zeit und zwar im achten<lb/>
Jahrhundert auf ähnlichem Wege wie die Lex Salica emendata ent-<lb/>
standene Rezension erhalten ist<note place="foot" n="4)">Einen sicheren terminus ad quem giebt das Cap. legi Rib. add. v. J. 803,<lb/>
I 117, dessen Bestimmungen nicht mehr in den Text der Lex aufgenommen worden<lb/>
sind. Nur zwei Ausnahmen sind in dieser Beziehung zu verzeichnen. Der <hi rendition="#g">Herolds</hi>che<lb/>
Druck hat statt Titel I das erste Kapitel des Kapitulars. Die Handschrift, welche<lb/>
den LL V 277 abgedruckten althochdeutschen Glossen zu Grunde lag, hatte c. 6<lb/>
des Kapitulars in Titel 32 aufgenommen, wie die Stellung der Glosse lehan für<lb/>
beneficium ergiebt. Die adkapitulierten Sätze würden in grö&#x017F;serem Umfange und<lb/>
in einer grö&#x017F;seren Zahl von Handschriften aufgenommen worden sein, wenn sich<lb/>
die überlieferte Textform nicht bereits vor 803 als eine herkömmliche und fest-<lb/>
stehende ausgebildet hätte.</note> und die älteren Textformen verloren<lb/>
gegangen sind. Titel 36 weist in allen Handschriften Interpolationen<lb/>
und Zusätze auf, welche erst in karolingischer Zeit entstanden sein<lb/>
können<note place="foot" n="5)">In 36, 4 sind die Worte Fresionem, Saxonem interpoliert. Sie setzen die<lb/>
Unterwerfung friesischer und sächsischer Bevölkerung voraus. Zusätze karolingi-<lb/>
scher Zeit sind auch 36, 11 (E. <hi rendition="#g">Mayer</hi> S 32 f.) und 36, 12, wo der Silbersolidus<lb/>
als eine vor längerer Zeit (sicut antiquitus constitutum est, wie in Cap. I 269, s.<lb/>
oben S 216 Anm 17) eingeführte Währung erscheint (E. <hi rendition="#g">Mayer</hi> S 35 ff.).</note>. In einer Wiener Handschrift (A 5) bezeichnet sich die Lex<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[304/0322] § 40. Die Lex Ribuaria. dessen Vorrede in LL V a. O. Ernst Mayer, Zur Entstehung der Lex Ribu- ariorum, 1886. R. Schröder, Z2 f. RG VII 22 ff. Später als das Volksrecht der Salier wurde das der Ribuarier aufgezeichnet. Im übrigen ist seine Entstehungsgeschichte dunkel und streitig. Die 35 Handschriften, welche wir davon besitzen, und die auf verschollenen Handschriften beruhenden Drucke 1) geben einen im wesentlichen gleichförmigen Text. Jene stammen aus dem neunten Jahrhundert oder aus jüngerer Zeit, mit Ausnahme eines Münchener Kodex 2), der vielleicht noch gegen Ausgang des achten Jahrhunderts geschrieben wurde. Ohne durch eine scharfe Grenzlinie geschieden zu sein, zerfallen sie in zwei Gruppen, von welchen die gröſsere sich durch eine bessere Latinität charakterisiert und durch das Bestreben, altfränkische Rechtsausdrücke zu vermeiden oder zu erläutern 3). Die Gleichförmigkeit der überlieferten Texte macht es wahrscheinlich, daſs uns von der Lex nur eine in karolingischer Zeit und zwar im achten Jahrhundert auf ähnlichem Wege wie die Lex Salica emendata ent- standene Rezension erhalten ist 4) und die älteren Textformen verloren gegangen sind. Titel 36 weist in allen Handschriften Interpolationen und Zusätze auf, welche erst in karolingischer Zeit entstanden sein können 5). In einer Wiener Handschrift (A 5) bezeichnet sich die Lex 1) Bei Sichard, Herold, Tilius u. Lindenbruch. S. oben zu § 37. 38. Die Lex Rib. steht auch in dem jüngst aufgefundenen Klitschdorfer Kodex. 2) Cod. bibl. reg. Monacensis Lat. 4115, bei Sohm A 4. 3) Sohm hat in seiner Ausgabe demgemäſs eine altertümlichere Textform A und eine modernisierte B neben einander abgedruckt. Von sachlichen Unterschieden ist der erheblichste, daſs die meisten, aber nicht alle A-Texte in Titel 36 dem Kleriker das Wergeld seiner Geburt beilegen und ein geringeres Wergeld des Diakons und des Subdiakons ansetzen. 4) Einen sicheren terminus ad quem giebt das Cap. legi Rib. add. v. J. 803, I 117, dessen Bestimmungen nicht mehr in den Text der Lex aufgenommen worden sind. Nur zwei Ausnahmen sind in dieser Beziehung zu verzeichnen. Der Heroldsche Druck hat statt Titel I das erste Kapitel des Kapitulars. Die Handschrift, welche den LL V 277 abgedruckten althochdeutschen Glossen zu Grunde lag, hatte c. 6 des Kapitulars in Titel 32 aufgenommen, wie die Stellung der Glosse lehan für beneficium ergiebt. Die adkapitulierten Sätze würden in gröſserem Umfange und in einer gröſseren Zahl von Handschriften aufgenommen worden sein, wenn sich die überlieferte Textform nicht bereits vor 803 als eine herkömmliche und fest- stehende ausgebildet hätte. 5) In 36, 4 sind die Worte Fresionem, Saxonem interpoliert. Sie setzen die Unterwerfung friesischer und sächsischer Bevölkerung voraus. Zusätze karolingi- scher Zeit sind auch 36, 11 (E. Mayer S 32 f.) und 36, 12, wo der Silbersolidus als eine vor längerer Zeit (sicut antiquitus constitutum est, wie in Cap. I 269, s. oben S 216 Anm 17) eingeführte Währung erscheint (E. Mayer S 35 ff.).

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/322
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/322>, abgerufen am 25.11.2024.