Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 39. Die Lex Salica.
dem er die Taufe empfangen, Childebert und Chlothar hätten dann,
was an dem Gesetze als unvollkommen erschien, mit mehr Deutlich-
keit verbessert34). Aus diesem Prolog ist ein kürzerer abgeleitet,
welcher die genannten Ortschaften als jenseits des Rheins gelegen
bezeichnet35). Die Nachrichten der Prologe tragen zwar einen sagen-
haften Charakter an sich, beruhen aber wahrscheinlich auf alter
Tradition, welche die Entstehung der Lex in die Zeit der Vielherr-
schaft und des Heidentums verlegt.

Prüft man diese Überlieferung an dem Inhalte der Lex, so fällt
in die Augen, dass sie keine Spur der Vielherrschaft enthält, sondern
die Einheit des salischen Königtums voraussetzt36) und dass ihr jede
bestimmte Beziehung auf das Heidentum fehlt37), eine Thatsache, welche
bei dem engen Zusammenhange, der zwischen Recht und Kultus ob-
waltete, geradezu unerklärlich wäre, wenn uns das salische Volksrecht
in der Gestalt vorläge, die es in der Zeit des ungebrochenen Heiden-
tums erhalten hätte. Allerdings sind die ältesten Texte auch frei
von Rechtssätzen, die das Christentum und die katholische Kirche be-
treffen. Allein daraus lässt sich nicht schliessen, dass die Lex vor
Chlodovechs Taufe abgefasst wurde38), da noch lange über diese Zeit
hinaus ein Teil des Volkes heidnisch blieb39). Ganz abgesehen davon

Der Satz: dum gens Francorum ... adhuc teneretur barbara, enthält nur eine Zeit-
bestimmung. Die rectores sind als die Kleinkönige zu denken.
34) Et quod minus in pactum habebatur idoneo per proconsolis regis Clodouehi
et Hildeberti et Chlotarii fuit lucidius emendatum.
35) Schröder nimmt deshalb an (Picks Monatsschr. VI 471 Anm 5), dass
dieser Prolog rechts des Rheins entstanden sei. -- Zwei Epiloge (Hessels col. 423)
schreiben die Abfassung der Lex dem primus rex Francorum zu und verteilen die
Zusatztitel unter diesen, Childebert und Chlothar.
36) Lex Sal. 14, 4; 26; 46; 56. Vgl. Fahlbeck, Royaute S 274.
37) Der maialis sacrivus oder votivus in 2, 12. 13, welchen auch die Emendata
noch kennt, ist mit dem Christentum vereinbar. Man vgl. die pecora votiva in
Gregor. Turon., De virtutibus S. Juliani c. 31 S 577, 5. 16 und die Anmerkung des
Herausgebers. Die Bemerkungen einiger Handschriften über den angeblich heid-
nischen Brauch der chrenecruda (s. oben S 221 Anm 22) sind jüngere Reflexionen;
denn die Wergeldhaftung hat mit dem Heidentum nichts zu thun und erhielt sich in
einigen Gegenden salischen Rechtes durch das ganze Mittelalter hindurch. Auch die
Stelle des Leydener Codex Vossianus Q 119, Hessels 102, die den (noch in karo-
lingischer Zeit vorkommenden) Waffeneid auf die vorchristliche Zeit zurückführt,
kann für das Alter der Lex Sal. nicht verwertet werden.
38) Vgl. v. Sybel, Königthum S 318.
39) Über die Fortdauer des Heidentums in den Stammsitzen der Franken s.
Loening, Kirchenr. II 58 f. Besonders charakteristisch ist die Erzählung der
Vita Vedasti c. 7 (bei v. Schubert, Unterwerfung der Alamannen, 1884) über das
Gelage, welches der Franke Hozinus König Chlothar I. und seinem Gefolge ver-

§ 39. Die Lex Salica.
dem er die Taufe empfangen, Childebert und Chlothar hätten dann,
was an dem Gesetze als unvollkommen erschien, mit mehr Deutlich-
keit verbessert34). Aus diesem Prolog ist ein kürzerer abgeleitet,
welcher die genannten Ortschaften als jenseits des Rheins gelegen
bezeichnet35). Die Nachrichten der Prologe tragen zwar einen sagen-
haften Charakter an sich, beruhen aber wahrscheinlich auf alter
Tradition, welche die Entstehung der Lex in die Zeit der Vielherr-
schaft und des Heidentums verlegt.

Prüft man diese Überlieferung an dem Inhalte der Lex, so fällt
in die Augen, daſs sie keine Spur der Vielherrschaft enthält, sondern
die Einheit des salischen Königtums voraussetzt36) und daſs ihr jede
bestimmte Beziehung auf das Heidentum fehlt37), eine Thatsache, welche
bei dem engen Zusammenhange, der zwischen Recht und Kultus ob-
waltete, geradezu unerklärlich wäre, wenn uns das salische Volksrecht
in der Gestalt vorläge, die es in der Zeit des ungebrochenen Heiden-
tums erhalten hätte. Allerdings sind die ältesten Texte auch frei
von Rechtssätzen, die das Christentum und die katholische Kirche be-
treffen. Allein daraus läſst sich nicht schlieſsen, daſs die Lex vor
Chlodovechs Taufe abgefaſst wurde38), da noch lange über diese Zeit
hinaus ein Teil des Volkes heidnisch blieb39). Ganz abgesehen davon

Der Satz: dum gens Francorum … adhuc teneretur barbara, enthält nur eine Zeit-
bestimmung. Die rectores sind als die Kleinkönige zu denken.
34) Et quod minus in pactum habebatur idoneo per proconsolis regis Clodouehi
et Hildeberti et Chlotarii fuit lucidius emendatum.
35) Schröder nimmt deshalb an (Picks Monatsschr. VI 471 Anm 5), daſs
dieser Prolog rechts des Rheins entstanden sei. — Zwei Epiloge (Hessels col. 423)
schreiben die Abfassung der Lex dem primus rex Francorum zu und verteilen die
Zusatztitel unter diesen, Childebert und Chlothar.
36) Lex Sal. 14, 4; 26; 46; 56. Vgl. Fahlbeck, Royauté S 274.
37) Der maialis sacrivus oder votivus in 2, 12. 13, welchen auch die Emendata
noch kennt, ist mit dem Christentum vereinbar. Man vgl. die pecora votiva in
Gregor. Turon., De virtutibus S. Juliani c. 31 S 577, 5. 16 und die Anmerkung des
Herausgebers. Die Bemerkungen einiger Handschriften über den angeblich heid-
nischen Brauch der chrenecruda (s. oben S 221 Anm 22) sind jüngere Reflexionen;
denn die Wergeldhaftung hat mit dem Heidentum nichts zu thun und erhielt sich in
einigen Gegenden salischen Rechtes durch das ganze Mittelalter hindurch. Auch die
Stelle des Leydener Codex Vossianus Q 119, Hessels 102, die den (noch in karo-
lingischer Zeit vorkommenden) Waffeneid auf die vorchristliche Zeit zurückführt,
kann für das Alter der Lex Sal. nicht verwertet werden.
38) Vgl. v. Sybel, Königthum S 318.
39) Über die Fortdauer des Heidentums in den Stammsitzen der Franken s.
Loening, Kirchenr. II 58 f. Besonders charakteristisch ist die Erzählung der
Vita Vedasti c. 7 (bei v. Schubert, Unterwerfung der Alamannen, 1884) über das
Gelage, welches der Franke Hozinus König Chlothar I. und seinem Gefolge ver-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0317" n="299"/><fw place="top" type="header">§ 39. Die Lex Salica.</fw><lb/>
dem er die Taufe empfangen, Childebert und Chlothar hätten dann,<lb/>
was an dem Gesetze als unvollkommen erschien, mit mehr Deutlich-<lb/>
keit verbessert<note place="foot" n="34)">Et quod minus in pactum habebatur idoneo per proconsolis regis Clodouehi<lb/>
et Hildeberti et Chlotarii fuit lucidius emendatum.</note>. Aus diesem Prolog ist ein kürzerer abgeleitet,<lb/>
welcher die genannten Ortschaften als jenseits des Rheins gelegen<lb/>
bezeichnet<note place="foot" n="35)"><hi rendition="#g">Schröder</hi> nimmt deshalb an (Picks Monatsschr. VI 471 Anm 5), da&#x017F;s<lb/>
dieser Prolog rechts des Rheins entstanden sei. &#x2014; Zwei Epiloge (<hi rendition="#g">Hessels</hi> col. 423)<lb/>
schreiben die Abfassung der Lex dem primus rex Francorum zu und verteilen die<lb/>
Zusatztitel unter diesen, Childebert und Chlothar.</note>. Die Nachrichten der Prologe tragen zwar einen sagen-<lb/>
haften Charakter an sich, beruhen aber wahrscheinlich auf alter<lb/>
Tradition, welche die Entstehung der Lex in die Zeit der Vielherr-<lb/>
schaft und des Heidentums verlegt.</p><lb/>
            <p>Prüft man diese Überlieferung an dem Inhalte der Lex, so fällt<lb/>
in die Augen, da&#x017F;s sie keine Spur der Vielherrschaft enthält, sondern<lb/>
die Einheit des salischen Königtums voraussetzt<note place="foot" n="36)">Lex Sal. 14, 4; 26; 46; 56. Vgl. <hi rendition="#g">Fahlbeck</hi>, Royauté S 274.</note> und da&#x017F;s ihr jede<lb/>
bestimmte Beziehung auf das Heidentum fehlt<note place="foot" n="37)">Der maialis sacrivus oder votivus in 2, 12. 13, welchen auch die Emendata<lb/>
noch kennt, ist mit dem Christentum vereinbar. Man vgl. die pecora votiva in<lb/>
Gregor. Turon., De virtutibus S. Juliani c. 31 S 577, 5. 16 und die Anmerkung des<lb/>
Herausgebers. Die Bemerkungen einiger Handschriften über den angeblich heid-<lb/>
nischen Brauch der chrenecruda (s. oben S 221 Anm 22) sind jüngere Reflexionen;<lb/>
denn die Wergeldhaftung hat mit dem Heidentum nichts zu thun und erhielt sich in<lb/>
einigen Gegenden salischen Rechtes durch das ganze Mittelalter hindurch. Auch die<lb/>
Stelle des Leydener Codex Vossianus Q 119, <hi rendition="#g">Hessels</hi> 102, die den (noch in karo-<lb/>
lingischer Zeit vorkommenden) Waffeneid auf die vorchristliche Zeit zurückführt,<lb/>
kann für das Alter der Lex Sal. nicht verwertet werden.</note>, eine Thatsache, welche<lb/>
bei dem engen Zusammenhange, der zwischen Recht und Kultus ob-<lb/>
waltete, geradezu unerklärlich wäre, wenn uns das salische Volksrecht<lb/>
in der Gestalt vorläge, die es in der Zeit des ungebrochenen Heiden-<lb/>
tums erhalten hätte. Allerdings sind die ältesten Texte auch frei<lb/>
von Rechtssätzen, die das Christentum und die katholische Kirche be-<lb/>
treffen. Allein daraus lä&#x017F;st sich nicht schlie&#x017F;sen, da&#x017F;s die Lex vor<lb/>
Chlodovechs Taufe abgefa&#x017F;st wurde<note place="foot" n="38)">Vgl. v. <hi rendition="#g">Sybel</hi>, Königthum S 318.</note>, da noch lange über diese Zeit<lb/>
hinaus ein Teil des Volkes heidnisch blieb<note xml:id="seg2pn_13_1" next="#seg2pn_13_2" place="foot" n="39)">Über die Fortdauer des Heidentums in den Stammsitzen der Franken s.<lb/><hi rendition="#g">Loening</hi>, Kirchenr. II 58 f. Besonders charakteristisch ist die Erzählung der<lb/>
Vita Vedasti c. 7 (bei v. <hi rendition="#g">Schubert</hi>, Unterwerfung der Alamannen, 1884) über das<lb/>
Gelage, welches der Franke Hozinus König Chlothar I. und seinem Gefolge ver-</note>. Ganz abgesehen davon<lb/><note xml:id="seg2pn_12_2" prev="#seg2pn_12_1" place="foot" n="33)">Der Satz: dum gens Francorum &#x2026; adhuc teneretur barbara, enthält nur eine Zeit-<lb/>
bestimmung. Die rectores sind als die Kleinkönige zu denken.</note><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[299/0317] § 39. Die Lex Salica. dem er die Taufe empfangen, Childebert und Chlothar hätten dann, was an dem Gesetze als unvollkommen erschien, mit mehr Deutlich- keit verbessert 34). Aus diesem Prolog ist ein kürzerer abgeleitet, welcher die genannten Ortschaften als jenseits des Rheins gelegen bezeichnet 35). Die Nachrichten der Prologe tragen zwar einen sagen- haften Charakter an sich, beruhen aber wahrscheinlich auf alter Tradition, welche die Entstehung der Lex in die Zeit der Vielherr- schaft und des Heidentums verlegt. Prüft man diese Überlieferung an dem Inhalte der Lex, so fällt in die Augen, daſs sie keine Spur der Vielherrschaft enthält, sondern die Einheit des salischen Königtums voraussetzt 36) und daſs ihr jede bestimmte Beziehung auf das Heidentum fehlt 37), eine Thatsache, welche bei dem engen Zusammenhange, der zwischen Recht und Kultus ob- waltete, geradezu unerklärlich wäre, wenn uns das salische Volksrecht in der Gestalt vorläge, die es in der Zeit des ungebrochenen Heiden- tums erhalten hätte. Allerdings sind die ältesten Texte auch frei von Rechtssätzen, die das Christentum und die katholische Kirche be- treffen. Allein daraus läſst sich nicht schlieſsen, daſs die Lex vor Chlodovechs Taufe abgefaſst wurde 38), da noch lange über diese Zeit hinaus ein Teil des Volkes heidnisch blieb 39). Ganz abgesehen davon 33) 34) Et quod minus in pactum habebatur idoneo per proconsolis regis Clodouehi et Hildeberti et Chlotarii fuit lucidius emendatum. 35) Schröder nimmt deshalb an (Picks Monatsschr. VI 471 Anm 5), daſs dieser Prolog rechts des Rheins entstanden sei. — Zwei Epiloge (Hessels col. 423) schreiben die Abfassung der Lex dem primus rex Francorum zu und verteilen die Zusatztitel unter diesen, Childebert und Chlothar. 36) Lex Sal. 14, 4; 26; 46; 56. Vgl. Fahlbeck, Royauté S 274. 37) Der maialis sacrivus oder votivus in 2, 12. 13, welchen auch die Emendata noch kennt, ist mit dem Christentum vereinbar. Man vgl. die pecora votiva in Gregor. Turon., De virtutibus S. Juliani c. 31 S 577, 5. 16 und die Anmerkung des Herausgebers. Die Bemerkungen einiger Handschriften über den angeblich heid- nischen Brauch der chrenecruda (s. oben S 221 Anm 22) sind jüngere Reflexionen; denn die Wergeldhaftung hat mit dem Heidentum nichts zu thun und erhielt sich in einigen Gegenden salischen Rechtes durch das ganze Mittelalter hindurch. Auch die Stelle des Leydener Codex Vossianus Q 119, Hessels 102, die den (noch in karo- lingischer Zeit vorkommenden) Waffeneid auf die vorchristliche Zeit zurückführt, kann für das Alter der Lex Sal. nicht verwertet werden. 38) Vgl. v. Sybel, Königthum S 318. 39) Über die Fortdauer des Heidentums in den Stammsitzen der Franken s. Loening, Kirchenr. II 58 f. Besonders charakteristisch ist die Erzählung der Vita Vedasti c. 7 (bei v. Schubert, Unterwerfung der Alamannen, 1884) über das Gelage, welches der Franke Hozinus König Chlothar I. und seinem Gefolge ver- 33) Der Satz: dum gens Francorum … adhuc teneretur barbara, enthält nur eine Zeit- bestimmung. Die rectores sind als die Kleinkönige zu denken.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/317
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/317>, abgerufen am 26.11.2024.