Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.§ 39. Die Lex Salica. auch prozessualisch formelhafte Bedeutung haben23). Doch lässt sichdies durchaus nicht von allen behaupten24). Die Vermutungen, welche über die Entstehungszeit der Lex ge- 23) Eine Klagformel hat J. Grimm aus den Glossen in Lex Sal. 26 zu kon- struieren versucht, Kern eine Freilassungsformel. 24) Nach Sohm, R- u. GV S 558 ff. musste der Kläger gemäss dem Formalismus des Rechtsganges die Ausdrücke der Glosse bei Präjudiz des Klagverlustes anwenden, eine Annahme, die bei dem Mangel an Belegen umsomehr in der Luft schwebt, als die Deutung vieler Glossen höchst unsicher oder geradezu unmöglich ist, während manche die Sohmsche Auslegung schlechterdings nicht vertragen. Gegen Sohm s. Thiele a. O. S 353. 25) Waitz, Altes Recht S 77. Fahlbeck S 275. 276. 26) Stobbe, RQ I 39 zwischen 453 und 486. 27) So Eichhorn, Pardessus und neuerdings Schröder. 28) Nach v. Sybel, Entst. d. deutschen Königtums S 308 ff. veranstaltete Chlo- dovech nach 508 eine Revision des ursprünglichen, nicht mehr vorliegenden Textes. 29) Die Fassung der Stelle lässt es nicht zu, die Frist mit Rücksicht auf den
Wohnort des Auktors zu bestimmen, wie Schröder, Festschr. für Thöl S 5 vor- schlägt. Übrigens ist der überlieferte Wortlaut nicht so gedankenlos, wie Schrö- der glaubt. Auf dem placitum müssen binnen der 40- bezw. 80 tägigen Frist mit dem Beklagten auch sämtliche Gewährsmänner erscheinen. Es wäre daher, wenn der Wohnort des Auktors die Frist bestimmen sollte, auf den Wohnort des letzten und nicht des ersten Vormanns des Beklagten angekommen. Wie weit aber der Gewährszug zurückgehe, wo der letzte Vormann wohne, konnte der Besitzer in dem Zeitpunkte, da der Anefang stattfand, nicht wissen. Rib. 33 verlangt nur die Bei- bringung des unmittelbaren Vormanns und kann daher die Frist nach dessen Wohn- sitz bemessen. Als Schauplatz des Anefangs ist in der Lex Salica die Gegend zwi- schen Loire und Kohlenwald gedacht. § 39. Die Lex Salica. auch prozessualisch formelhafte Bedeutung haben23). Doch läſst sichdies durchaus nicht von allen behaupten24). Die Vermutungen, welche über die Entstehungszeit der Lex ge- 23) Eine Klagformel hat J. Grimm aus den Glossen in Lex Sal. 26 zu kon- struieren versucht, Kern eine Freilassungsformel. 24) Nach Sohm, R- u. GV S 558 ff. muſste der Kläger gemäſs dem Formalismus des Rechtsganges die Ausdrücke der Glosse bei Präjudiz des Klagverlustes anwenden, eine Annahme, die bei dem Mangel an Belegen umsomehr in der Luft schwebt, als die Deutung vieler Glossen höchst unsicher oder geradezu unmöglich ist, während manche die Sohmsche Auslegung schlechterdings nicht vertragen. Gegen Sohm s. Thiele a. O. S 353. 25) Waitz, Altes Recht S 77. Fahlbeck S 275. 276. 26) Stobbe, RQ I 39 zwischen 453 und 486. 27) So Eichhorn, Pardessus und neuerdings Schröder. 28) Nach v. Sybel, Entst. d. deutschen Königtums S 308 ff. veranstaltete Chlo- dovech nach 508 eine Revision des ursprünglichen, nicht mehr vorliegenden Textes. 29) Die Fassung der Stelle läſst es nicht zu, die Frist mit Rücksicht auf den
Wohnort des Auktors zu bestimmen, wie Schröder, Festschr. für Thöl S 5 vor- schlägt. Übrigens ist der überlieferte Wortlaut nicht so gedankenlos, wie Schrö- der glaubt. Auf dem placitum müssen binnen der 40- bezw. 80 tägigen Frist mit dem Beklagten auch sämtliche Gewährsmänner erscheinen. Es wäre daher, wenn der Wohnort des Auktors die Frist bestimmen sollte, auf den Wohnort des letzten und nicht des ersten Vormanns des Beklagten angekommen. Wie weit aber der Gewährszug zurückgehe, wo der letzte Vormann wohne, konnte der Besitzer in dem Zeitpunkte, da der Anefang stattfand, nicht wissen. Rib. 33 verlangt nur die Bei- bringung des unmittelbaren Vormanns und kann daher die Frist nach dessen Wohn- sitz bemessen. Als Schauplatz des Anefangs ist in der Lex Salica die Gegend zwi- schen Loire und Kohlenwald gedacht. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0315" n="297"/><fw place="top" type="header">§ 39. Die Lex Salica.</fw><lb/> auch prozessualisch formelhafte Bedeutung haben<note place="foot" n="23)">Eine Klagformel hat J. <hi rendition="#g">Grimm</hi> aus den Glossen in Lex Sal. 26 zu kon-<lb/> struieren versucht, <hi rendition="#g">Kern</hi> eine Freilassungsformel.</note>. Doch läſst sich<lb/> dies durchaus nicht von allen behaupten<note place="foot" n="24)">Nach <hi rendition="#g">Sohm</hi>, R- u. GV S 558 ff. muſste der Kläger gemäſs dem Formalismus<lb/> des Rechtsganges die Ausdrücke der Glosse bei Präjudiz des Klagverlustes anwenden,<lb/> eine Annahme, die bei dem Mangel an Belegen umsomehr in der Luft schwebt, als<lb/> die Deutung vieler Glossen höchst unsicher oder geradezu unmöglich ist, während<lb/> manche die Sohmsche Auslegung schlechterdings nicht vertragen. Gegen Sohm s.<lb/><hi rendition="#g">Thiele</hi> a. O. S 353.</note>.</p><lb/> <p>Die Vermutungen, welche über die Entstehungszeit der Lex ge-<lb/> äuſsert worden sind, gehen weit auseinander. Zwar besteht kaum ein<lb/> Zweifel, daſs sie noch vor dem Tode Chlodovechs entstanden sei.<lb/> Während aber die einen sich für die Zeit vor der Reichsgründung,<lb/> entweder für die Zeit Chlogios<note place="foot" n="25)"><hi rendition="#g">Waitz</hi>, Altes Recht S 77. <hi rendition="#g">Fahlbeck</hi> S 275. 276.</note> oder doch für die Zeit vor 486<lb/> entscheiden<note place="foot" n="26)"><hi rendition="#g">Stobbe</hi>, RQ I 39 zwischen 453 und 486.</note>, setzen andere die Abfassung der Lex unter Chlodovech<lb/> an und zwar entweder vor dessen Übertritt zum Christentum (486 bis<lb/> 496)<note place="foot" n="27)">So <hi rendition="#g">Eichhorn, Pardessus</hi> und neuerdings <hi rendition="#g">Schröder</hi>.</note> oder nach diesem Ereignis (496 bis 511)<note place="foot" n="28)">Nach v. <hi rendition="#g">Sybel</hi>, Entst. d. deutschen Königtums S 308 ff. veranstaltete Chlo-<lb/> dovech nach 508 eine Revision des ursprünglichen, nicht mehr vorliegenden Textes.</note>. In der Litteratur<lb/> über das Alter der Lex werden die Frage nach der Entstehungszeit<lb/> der ältesten überlieferten Textform und die Frage, wann die älteste<lb/> Satzung der Lex Salica stattgefunden hat, nicht immer genügend<lb/> unterschieden. Für letztere hat man insbesondere den Titel 47 zu<lb/> verwerten gesucht. Hier wird für den Rechtsstreit um eine beweg-<lb/> liche Sache eine vierzigtägige Frist gesetzt, falls der Kläger und der<lb/> Besitzer der Sache zwischen der Loire und dem Kohlenwalde wohnen.<lb/> Dagegen soll die Frist eine achtzigtägige sein, wenn der Besitzer<lb/> jenseits der Loire oder des Kohlenwaldes wohnt<note place="foot" n="29)">Die Fassung der Stelle läſst es nicht zu, die Frist mit Rücksicht auf den<lb/> Wohnort des Auktors zu bestimmen, wie <hi rendition="#g">Schröder</hi>, Festschr. für Thöl S 5 vor-<lb/> schlägt. Übrigens ist der überlieferte Wortlaut nicht so gedankenlos, wie <hi rendition="#g">Schrö-<lb/> der</hi> glaubt. Auf dem placitum müssen binnen der 40- bezw. 80 tägigen Frist mit<lb/> dem Beklagten auch sämtliche Gewährsmänner erscheinen. Es wäre daher, wenn<lb/> der Wohnort des Auktors die Frist bestimmen sollte, auf den Wohnort des letzten<lb/> und nicht des ersten Vormanns des Beklagten angekommen. Wie weit aber der<lb/> Gewährszug zurückgehe, wo der letzte Vormann wohne, konnte der Besitzer in dem<lb/> Zeitpunkte, da der Anefang stattfand, nicht wissen. Rib. 33 verlangt nur die Bei-<lb/> bringung des unmittelbaren Vormanns und kann daher die Frist nach dessen Wohn-<lb/> sitz bemessen. Als Schauplatz des Anefangs ist in der Lex Salica die Gegend zwi-<lb/> schen Loire und Kohlenwald gedacht.</note>. Da die Gerichts-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [297/0315]
§ 39. Die Lex Salica.
auch prozessualisch formelhafte Bedeutung haben 23). Doch läſst sich
dies durchaus nicht von allen behaupten 24).
Die Vermutungen, welche über die Entstehungszeit der Lex ge-
äuſsert worden sind, gehen weit auseinander. Zwar besteht kaum ein
Zweifel, daſs sie noch vor dem Tode Chlodovechs entstanden sei.
Während aber die einen sich für die Zeit vor der Reichsgründung,
entweder für die Zeit Chlogios 25) oder doch für die Zeit vor 486
entscheiden 26), setzen andere die Abfassung der Lex unter Chlodovech
an und zwar entweder vor dessen Übertritt zum Christentum (486 bis
496) 27) oder nach diesem Ereignis (496 bis 511) 28). In der Litteratur
über das Alter der Lex werden die Frage nach der Entstehungszeit
der ältesten überlieferten Textform und die Frage, wann die älteste
Satzung der Lex Salica stattgefunden hat, nicht immer genügend
unterschieden. Für letztere hat man insbesondere den Titel 47 zu
verwerten gesucht. Hier wird für den Rechtsstreit um eine beweg-
liche Sache eine vierzigtägige Frist gesetzt, falls der Kläger und der
Besitzer der Sache zwischen der Loire und dem Kohlenwalde wohnen.
Dagegen soll die Frist eine achtzigtägige sein, wenn der Besitzer
jenseits der Loire oder des Kohlenwaldes wohnt 29). Da die Gerichts-
23) Eine Klagformel hat J. Grimm aus den Glossen in Lex Sal. 26 zu kon-
struieren versucht, Kern eine Freilassungsformel.
24) Nach Sohm, R- u. GV S 558 ff. muſste der Kläger gemäſs dem Formalismus
des Rechtsganges die Ausdrücke der Glosse bei Präjudiz des Klagverlustes anwenden,
eine Annahme, die bei dem Mangel an Belegen umsomehr in der Luft schwebt, als
die Deutung vieler Glossen höchst unsicher oder geradezu unmöglich ist, während
manche die Sohmsche Auslegung schlechterdings nicht vertragen. Gegen Sohm s.
Thiele a. O. S 353.
25) Waitz, Altes Recht S 77. Fahlbeck S 275. 276.
26) Stobbe, RQ I 39 zwischen 453 und 486.
27) So Eichhorn, Pardessus und neuerdings Schröder.
28) Nach v. Sybel, Entst. d. deutschen Königtums S 308 ff. veranstaltete Chlo-
dovech nach 508 eine Revision des ursprünglichen, nicht mehr vorliegenden Textes.
29) Die Fassung der Stelle läſst es nicht zu, die Frist mit Rücksicht auf den
Wohnort des Auktors zu bestimmen, wie Schröder, Festschr. für Thöl S 5 vor-
schlägt. Übrigens ist der überlieferte Wortlaut nicht so gedankenlos, wie Schrö-
der glaubt. Auf dem placitum müssen binnen der 40- bezw. 80 tägigen Frist mit
dem Beklagten auch sämtliche Gewährsmänner erscheinen. Es wäre daher, wenn
der Wohnort des Auktors die Frist bestimmen sollte, auf den Wohnort des letzten
und nicht des ersten Vormanns des Beklagten angekommen. Wie weit aber der
Gewährszug zurückgehe, wo der letzte Vormann wohne, konnte der Besitzer in dem
Zeitpunkte, da der Anefang stattfand, nicht wissen. Rib. 33 verlangt nur die Bei-
bringung des unmittelbaren Vormanns und kann daher die Frist nach dessen Wohn-
sitz bemessen. Als Schauplatz des Anefangs ist in der Lex Salica die Gegend zwi-
schen Loire und Kohlenwald gedacht.
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