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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 34. Das Personalitätsprinzip.
mesrechte des Beklagten entschieden werden musste, ob er schuldig
sei oder nicht, wurde -- wenigstens in Neustrien -- darauf Gewicht
gelegt, dass der Richter nach dem Rechte lebe, welches die Ent-
scheidungsnorm abgeben sollte 23.

4. Bei Verträgen bindet sich jeder Kontrahent nach dem Rechte,
in welchem er geboren ist. Wird ein Wettvertrag abgeschlossen, so
ist für seine Form das Recht jenes Kontrahenten massgebend, der das
Vertragssymbol, die Wadia giebt 24. Verpflichtet man sich durch Hin-
gabe einer carta, so wird die Form des Urkundungsaktes und der
Urkunde durch das Geburtsrecht des Ausstellers bestimmt 25. Die
Frage, ob die rechtliche Wirksamkeit einer Schenkung eine Gegen-
gabe, ein Launegild erfordere, wie das nach langobardischem Rechte
der Fall ist, beantwortet sich nach dem Geburtsrecht des Schen-
kers 26.

Sollen Grundstücke übereignet werden, so gilt es die Übereig-
nungsformen zu beachten, welche das Stammesrecht des Veräusserers

hervorgehoben, dass man sogar in einzelnen Fällen aus der lex der Zeugen auf die
des Veräusserers zurückschliessen darf. Für die Gegenden diesseits der Alpen bietet
Loersch u. Schröder, Urkunden Nr 100 von 1133--1152 ein lehrreiches Beispiel.
23 So dürfte wohl Cap. miss. spec. c. 48, I 104: ut comites et iudices confi-
teantur qua lege vivere debeant et secundum ipsam iudicent, zu verstehen sein.
Bethmann-Hollweg, Civilpr. V 75 Anm 67 emendiert allzukühn: confiteri
faciant partes qua ... Sohm, GV S 173 f. nimmt an, dass der Graf nach seinem
persönlichen Rechte gerichtet und insbesondere die Banngewalt ausgeübt habe.
Allein die Banngewalt steht dem Grafen nicht nach Geburtsrecht, sondern kraft
seiner amtlichen Stellung zu und ich halte für undenkbar, dass etwa ein Franke,
der eine alamannische Grafschaft verwaltete, bei dem fränkischen Grafenbann von
15 solidi und nicht bei dem alamannischen von 6 solidi gebannt habe. Und wie
hätte wohl der Graf gebannt, der nach römischem Rechte lebte? In Cap. cit. c. 57:
caeteri vero banni, quos comites et iudices faciunt, secundum legem uniuscuiusque
componantur, ist unter lex nicht das Geburtsrecht des Richters gemeint. Nach Cap.
miss. c. 5, I 67 ist der Richter, Graf oder Missus dafür verantwortlich, dass jeder
nach seinem persönlichen Rechte behandelt werde.
24 Placitum v. J. 933, in civitate Narbona, Gallia christiana VI instrum. S 423:
quod wadiasset legaliter sicut in lege Salica continetur. Der Fall bezieht sich auf
eine gerichtliche wadiatio.
25 Um den Rechtsverkehr in Italien zu erleichtern und zu vereinfachen, be-
stimmte Liu. 91, dass die cartulae ohne Rücksicht auf das Geburtsrecht des Aus-
stellers entweder nach römischem oder nach langobardischem Rechte geschrieben
werden dürfen, ausgenommen Vergabungen von Todes wegen, für welche das Ge-
burtsrecht des Ausstellers massgebend blieb.
26 Troya, Cod. dipl. V 430, Nr. 880: Signa manus B. qui hanc cartola dona-
tionis fieri rogavit, qui iuxta lege sua Langobardorum recepit launechi(l)t manente
par uno. Vgl. Val de Lievre, Launegild und Wadia S 43 ff.

§ 34. Das Personalitätsprinzip.
mesrechte des Beklagten entschieden werden muſste, ob er schuldig
sei oder nicht, wurde — wenigstens in Neustrien — darauf Gewicht
gelegt, daſs der Richter nach dem Rechte lebe, welches die Ent-
scheidungsnorm abgeben sollte 23.

4. Bei Verträgen bindet sich jeder Kontrahent nach dem Rechte,
in welchem er geboren ist. Wird ein Wettvertrag abgeschlossen, so
ist für seine Form das Recht jenes Kontrahenten maſsgebend, der das
Vertragssymbol, die Wadia giebt 24. Verpflichtet man sich durch Hin-
gabe einer carta, so wird die Form des Urkundungsaktes und der
Urkunde durch das Geburtsrecht des Ausstellers bestimmt 25. Die
Frage, ob die rechtliche Wirksamkeit einer Schenkung eine Gegen-
gabe, ein Launegild erfordere, wie das nach langobardischem Rechte
der Fall ist, beantwortet sich nach dem Geburtsrecht des Schen-
kers 26.

Sollen Grundstücke übereignet werden, so gilt es die Übereig-
nungsformen zu beachten, welche das Stammesrecht des Veräuſserers

hervorgehoben, daſs man sogar in einzelnen Fällen aus der lex der Zeugen auf die
des Veräuſserers zurückschlieſsen darf. Für die Gegenden diesseits der Alpen bietet
Loersch u. Schröder, Urkunden Nr 100 von 1133—1152 ein lehrreiches Beispiel.
23 So dürfte wohl Cap. miss. spec. c. 48, I 104: ut comites et iudices confi-
teantur qua lege vivere debeant et secundum ipsam iudicent, zu verstehen sein.
Bethmann-Hollweg, Civilpr. V 75 Anm 67 emendiert allzukühn: confiteri
faciant partes qua … Sohm, GV S 173 f. nimmt an, daſs der Graf nach seinem
persönlichen Rechte gerichtet und insbesondere die Banngewalt ausgeübt habe.
Allein die Banngewalt steht dem Grafen nicht nach Geburtsrecht, sondern kraft
seiner amtlichen Stellung zu und ich halte für undenkbar, daſs etwa ein Franke,
der eine alamannische Grafschaft verwaltete, bei dem fränkischen Grafenbann von
15 solidi und nicht bei dem alamannischen von 6 solidi gebannt habe. Und wie
hätte wohl der Graf gebannt, der nach römischem Rechte lebte? In Cap. cit. c. 57:
caeteri vero banni, quos comites et iudices faciunt, secundum legem uniuscuiusque
componantur, ist unter lex nicht das Geburtsrecht des Richters gemeint. Nach Cap.
miss. c. 5, I 67 ist der Richter, Graf oder Missus dafür verantwortlich, daſs jeder
nach seinem persönlichen Rechte behandelt werde.
24 Placitum v. J. 933, in civitate Narbona, Gallia christiana VI instrum. S 423:
quod wadiasset legaliter sicut in lege Salica continetur. Der Fall bezieht sich auf
eine gerichtliche wadiatio.
25 Um den Rechtsverkehr in Italien zu erleichtern und zu vereinfachen, be-
stimmte Liu. 91, daſs die cartulae ohne Rücksicht auf das Geburtsrecht des Aus-
stellers entweder nach römischem oder nach langobardischem Rechte geschrieben
werden dürfen, ausgenommen Vergabungen von Todes wegen, für welche das Ge-
burtsrecht des Ausstellers maſsgebend blieb.
26 Troya, Cod. dipl. V 430, Nr. 880: Signa manus B. qui hanc cartola dona-
tionis fieri rogavit, qui iuxta lege sua Langobardorum recepit launechi(l)t manente
par uno. Vgl. Val de Liévre, Launegild und Wadia S 43 ff.
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[264/0282] § 34. Das Personalitätsprinzip. mesrechte des Beklagten entschieden werden muſste, ob er schuldig sei oder nicht, wurde — wenigstens in Neustrien — darauf Gewicht gelegt, daſs der Richter nach dem Rechte lebe, welches die Ent- scheidungsnorm abgeben sollte 23. 4. Bei Verträgen bindet sich jeder Kontrahent nach dem Rechte, in welchem er geboren ist. Wird ein Wettvertrag abgeschlossen, so ist für seine Form das Recht jenes Kontrahenten maſsgebend, der das Vertragssymbol, die Wadia giebt 24. Verpflichtet man sich durch Hin- gabe einer carta, so wird die Form des Urkundungsaktes und der Urkunde durch das Geburtsrecht des Ausstellers bestimmt 25. Die Frage, ob die rechtliche Wirksamkeit einer Schenkung eine Gegen- gabe, ein Launegild erfordere, wie das nach langobardischem Rechte der Fall ist, beantwortet sich nach dem Geburtsrecht des Schen- kers 26. Sollen Grundstücke übereignet werden, so gilt es die Übereig- nungsformen zu beachten, welche das Stammesrecht des Veräuſserers 22 23 So dürfte wohl Cap. miss. spec. c. 48, I 104: ut comites et iudices confi- teantur qua lege vivere debeant et secundum ipsam iudicent, zu verstehen sein. Bethmann-Hollweg, Civilpr. V 75 Anm 67 emendiert allzukühn: confiteri faciant partes qua … Sohm, GV S 173 f. nimmt an, daſs der Graf nach seinem persönlichen Rechte gerichtet und insbesondere die Banngewalt ausgeübt habe. Allein die Banngewalt steht dem Grafen nicht nach Geburtsrecht, sondern kraft seiner amtlichen Stellung zu und ich halte für undenkbar, daſs etwa ein Franke, der eine alamannische Grafschaft verwaltete, bei dem fränkischen Grafenbann von 15 solidi und nicht bei dem alamannischen von 6 solidi gebannt habe. Und wie hätte wohl der Graf gebannt, der nach römischem Rechte lebte? In Cap. cit. c. 57: caeteri vero banni, quos comites et iudices faciunt, secundum legem uniuscuiusque componantur, ist unter lex nicht das Geburtsrecht des Richters gemeint. Nach Cap. miss. c. 5, I 67 ist der Richter, Graf oder Missus dafür verantwortlich, daſs jeder nach seinem persönlichen Rechte behandelt werde. 24 Placitum v. J. 933, in civitate Narbona, Gallia christiana VI instrum. S 423: quod wadiasset legaliter sicut in lege Salica continetur. Der Fall bezieht sich auf eine gerichtliche wadiatio. 25 Um den Rechtsverkehr in Italien zu erleichtern und zu vereinfachen, be- stimmte Liu. 91, daſs die cartulae ohne Rücksicht auf das Geburtsrecht des Aus- stellers entweder nach römischem oder nach langobardischem Rechte geschrieben werden dürfen, ausgenommen Vergabungen von Todes wegen, für welche das Ge- burtsrecht des Ausstellers maſsgebend blieb. 26 Troya, Cod. dipl. V 430, Nr. 880: Signa manus B. qui hanc cartola dona- tionis fieri rogavit, qui iuxta lege sua Langobardorum recepit launechi(l)t manente par uno. Vgl. Val de Liévre, Launegild und Wadia S 43 ff. 22 hervorgehoben, daſs man sogar in einzelnen Fällen aus der lex der Zeugen auf die des Veräuſserers zurückschlieſsen darf. Für die Gegenden diesseits der Alpen bietet Loersch u. Schröder, Urkunden Nr 100 von 1133—1152 ein lehrreiches Beispiel.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/282>, abgerufen am 25.11.2024.