Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.§ 32. Adel und Freie. königliche Beamte oder als Grossgrundbesitzer vertreten waren, scheintdas Wort Francus den Sinn von maior persona gewonnen zu haben, in welchem die merowingischen Rechtsquellen es gelegentlich ge- brauchen 26. Die neue Aristokratie ist nach unten hin in keiner Weise abgeschlossen. Durch die Gunst des Königs vermögen selbst unfrei geborene Personen in sie aufzusteigen. Der Königsdienst gab nach fränkischem Rechte höheres Wergeld. Gewisse königliche Beamte, die Grafen, die Sacebarones, die Missi, die königlichen Gefolgs- genossen, welche den Namen Antrustiones führen, besitzen das dreifache Wergeld ihrer Geburt. Solange nicht die Vorrechte, die der Kriegsdienst gewährte, die damit verbundenen Verpflichtungen überwuchert und den Charakter der Erblichkeit angenommen hatten, war der fränkische Dienstadel kein Adel im wahren Sinne des Wortes 27. Doch sind bereits in merowingischer Zeit die Anfänge einer Ent- wicklung vorhanden, welche die höheren Reichsämter zu erblichen Herrschaften umgestaltete. So waren seit der zweiten Hälfte des sie- benten Jahrhunderts in verschiedenen Teilen des Reiches die Herzogs- ämter Erbgut hervorragender Geschlechter geworden. Die bairischen Agilolfinger, das alamannische und das elsässische Herzogsgeschlecht, die Arnulfinger und die Pippiniden, die sich im erblichen Besitze des austrasischen Dukats und dann der Hausmeierwürde befanden, sind Beispiele eines wirklichen Adels, der seinen Ursprung auf den Königs- dienst zurückführte. Auch das Antrustionenverhältnis scheint in Ver- bindung mit den königlichen Landschenkungen in Teilen des fränkischen Stammesgebietes die Grundlage eines Adelsstandes geworden zu sein. Wenigstens dürfte kaum in anderer Weise erklärt werden können, dass uns bei den chamavischen Franken in einer Rechtsaufzeichnung aus dem Anfange des neunten Jahrhunderts unter dem Namen homines Franci Adelige begegnen, welche durch das dreifache Wergeld des freien Franken, durch höhere Busse und durch ein besonderes Erbrecht ausgezeichnet sind 28. Die Karolinger haben die Erblichkeit hinsicht- 26 Decretio Childeberti v. J. 596 c. 8. Vgl. Waitz, VG II 1 S 273 Anm 1. 27 Treffend sagt Waitz a. O. S 379: wenn man von einem Dienstadel spreche, dürfe man nicht vergessen, "dass der Dienst an sich dem Begriff des Adels wider- spricht, und die Verpflichtung, die er auferlegt, erst von dem Recht, das er giebt, überwunden werden muss, ehe er als Grundlage eines Standesrechts betrachtet werden kann". 28 Lex Chamavorum 3. 17--20. 42. Da in Lex Cham. 1 und 13 Francus den
Angehörigen des fränkischen Stammes bedeutet, ist bei dem homo Francus der Ton auf den homo zu legen. Das spricht gegen alten Geschlechtsadel. Pardessus, Loi Salique S 646 denkt an den Antrustio. Waitz, VG IV 326 Anm schliesst sich § 32. Adel und Freie. königliche Beamte oder als Groſsgrundbesitzer vertreten waren, scheintdas Wort Francus den Sinn von maior persona gewonnen zu haben, in welchem die merowingischen Rechtsquellen es gelegentlich ge- brauchen 26. Die neue Aristokratie ist nach unten hin in keiner Weise abgeschlossen. Durch die Gunst des Königs vermögen selbst unfrei geborene Personen in sie aufzusteigen. Der Königsdienst gab nach fränkischem Rechte höheres Wergeld. Gewisse königliche Beamte, die Grafen, die Sacebarones, die Missi, die königlichen Gefolgs- genossen, welche den Namen Antrustiones führen, besitzen das dreifache Wergeld ihrer Geburt. Solange nicht die Vorrechte, die der Kriegsdienst gewährte, die damit verbundenen Verpflichtungen überwuchert und den Charakter der Erblichkeit angenommen hatten, war der fränkische Dienstadel kein Adel im wahren Sinne des Wortes 27. Doch sind bereits in merowingischer Zeit die Anfänge einer Ent- wicklung vorhanden, welche die höheren Reichsämter zu erblichen Herrschaften umgestaltete. So waren seit der zweiten Hälfte des sie- benten Jahrhunderts in verschiedenen Teilen des Reiches die Herzogs- ämter Erbgut hervorragender Geschlechter geworden. Die bairischen Agilolfinger, das alamannische und das elsässische Herzogsgeschlecht, die Arnulfinger und die Pippiniden, die sich im erblichen Besitze des austrasischen Dukats und dann der Hausmeierwürde befanden, sind Beispiele eines wirklichen Adels, der seinen Ursprung auf den Königs- dienst zurückführte. Auch das Antrustionenverhältnis scheint in Ver- bindung mit den königlichen Landschenkungen in Teilen des fränkischen Stammesgebietes die Grundlage eines Adelsstandes geworden zu sein. Wenigstens dürfte kaum in anderer Weise erklärt werden können, daſs uns bei den chamavischen Franken in einer Rechtsaufzeichnung aus dem Anfange des neunten Jahrhunderts unter dem Namen homines Franci Adelige begegnen, welche durch das dreifache Wergeld des freien Franken, durch höhere Buſse und durch ein besonderes Erbrecht ausgezeichnet sind 28. Die Karolinger haben die Erblichkeit hinsicht- 26 Decretio Childeberti v. J. 596 c. 8. Vgl. Waitz, VG II 1 S 273 Anm 1. 27 Treffend sagt Waitz a. O. S 379: wenn man von einem Dienstadel spreche, dürfe man nicht vergessen, „daſs der Dienst an sich dem Begriff des Adels wider- spricht, und die Verpflichtung, die er auferlegt, erst von dem Recht, das er giebt, überwunden werden muſs, ehe er als Grundlage eines Standesrechts betrachtet werden kann“. 28 Lex Chamavorum 3. 17—20. 42. Da in Lex Cham. 1 und 13 Francus den
Angehörigen des fränkischen Stammes bedeutet, ist bei dem homo Francus der Ton auf den homo zu legen. Das spricht gegen alten Geschlechtsadel. Pardessus, Loi Salique S 646 denkt an den Antrustio. Waitz, VG IV 326 Anm schlieſst sich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0270" n="252"/><fw place="top" type="header">§ 32. Adel und Freie.</fw><lb/> königliche Beamte oder als Groſsgrundbesitzer vertreten waren, scheint<lb/> das Wort Francus den Sinn von maior persona gewonnen zu haben,<lb/> in welchem die merowingischen Rechtsquellen es gelegentlich ge-<lb/> brauchen <note place="foot" n="26">Decretio Childeberti v. J. 596 c. 8. Vgl. <hi rendition="#g">Waitz,</hi> VG II 1 S 273 Anm 1.</note>. Die neue Aristokratie ist nach unten hin in keiner Weise<lb/> abgeschlossen. Durch die Gunst des Königs vermögen selbst unfrei<lb/> geborene Personen in sie aufzusteigen. Der Königsdienst gab nach<lb/> fränkischem Rechte höheres Wergeld. Gewisse königliche Beamte,<lb/> die Grafen, die Sacebarones, die Missi, die königlichen Gefolgs-<lb/> genossen, welche den Namen Antrustiones führen, besitzen das<lb/> dreifache Wergeld ihrer Geburt. Solange nicht die Vorrechte, die<lb/> der Kriegsdienst gewährte, die damit verbundenen Verpflichtungen<lb/> überwuchert und den Charakter der Erblichkeit angenommen hatten,<lb/> war der fränkische Dienstadel kein Adel im wahren Sinne des Wortes <note place="foot" n="27">Treffend sagt <hi rendition="#g">Waitz</hi> a. O. S 379: wenn man von einem Dienstadel spreche,<lb/> dürfe man nicht vergessen, „daſs der Dienst an sich dem Begriff des Adels wider-<lb/> spricht, und die Verpflichtung, die er auferlegt, erst von dem Recht, das er giebt,<lb/> überwunden werden muſs, ehe er als Grundlage eines Standesrechts betrachtet<lb/> werden kann“.</note>.<lb/> Doch sind bereits in merowingischer Zeit die Anfänge einer Ent-<lb/> wicklung vorhanden, welche die höheren Reichsämter zu erblichen<lb/> Herrschaften umgestaltete. So waren seit der zweiten Hälfte des sie-<lb/> benten Jahrhunderts in verschiedenen Teilen des Reiches die Herzogs-<lb/> ämter Erbgut hervorragender Geschlechter geworden. Die bairischen<lb/> Agilolfinger, das alamannische und das elsässische Herzogsgeschlecht,<lb/> die Arnulfinger und die Pippiniden, die sich im erblichen Besitze des<lb/> austrasischen Dukats und dann der Hausmeierwürde befanden, sind<lb/> Beispiele eines wirklichen Adels, der seinen Ursprung auf den Königs-<lb/> dienst zurückführte. Auch das Antrustionenverhältnis scheint in Ver-<lb/> bindung mit den königlichen Landschenkungen in Teilen des fränkischen<lb/> Stammesgebietes die Grundlage eines Adelsstandes geworden zu sein.<lb/> Wenigstens dürfte kaum in anderer Weise erklärt werden können,<lb/> daſs uns bei den chamavischen Franken in einer Rechtsaufzeichnung<lb/> aus dem Anfange des neunten Jahrhunderts unter dem Namen homines<lb/> Franci Adelige begegnen, welche durch das dreifache Wergeld des<lb/> freien Franken, durch höhere Buſse und durch ein besonderes Erbrecht<lb/> ausgezeichnet sind <note xml:id="seg2pn_2_1" next="#seg2pn_2_2" place="foot" n="28">Lex Chamavorum 3. 17—20. 42. Da in Lex Cham. 1 und 13 Francus den<lb/> Angehörigen des fränkischen Stammes bedeutet, ist bei dem homo Francus der Ton<lb/> auf den homo zu legen. Das spricht gegen alten Geschlechtsadel. <hi rendition="#g">Pardessus,</hi><lb/> Loi Salique S 646 denkt an den Antrustio. <hi rendition="#g">Waitz,</hi> VG IV 326 Anm schlieſst sich</note>. Die Karolinger haben die Erblichkeit hinsicht-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [252/0270]
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das Wort Francus den Sinn von maior persona gewonnen zu haben,
in welchem die merowingischen Rechtsquellen es gelegentlich ge-
brauchen 26. Die neue Aristokratie ist nach unten hin in keiner Weise
abgeschlossen. Durch die Gunst des Königs vermögen selbst unfrei
geborene Personen in sie aufzusteigen. Der Königsdienst gab nach
fränkischem Rechte höheres Wergeld. Gewisse königliche Beamte,
die Grafen, die Sacebarones, die Missi, die königlichen Gefolgs-
genossen, welche den Namen Antrustiones führen, besitzen das
dreifache Wergeld ihrer Geburt. Solange nicht die Vorrechte, die
der Kriegsdienst gewährte, die damit verbundenen Verpflichtungen
überwuchert und den Charakter der Erblichkeit angenommen hatten,
war der fränkische Dienstadel kein Adel im wahren Sinne des Wortes 27.
Doch sind bereits in merowingischer Zeit die Anfänge einer Ent-
wicklung vorhanden, welche die höheren Reichsämter zu erblichen
Herrschaften umgestaltete. So waren seit der zweiten Hälfte des sie-
benten Jahrhunderts in verschiedenen Teilen des Reiches die Herzogs-
ämter Erbgut hervorragender Geschlechter geworden. Die bairischen
Agilolfinger, das alamannische und das elsässische Herzogsgeschlecht,
die Arnulfinger und die Pippiniden, die sich im erblichen Besitze des
austrasischen Dukats und dann der Hausmeierwürde befanden, sind
Beispiele eines wirklichen Adels, der seinen Ursprung auf den Königs-
dienst zurückführte. Auch das Antrustionenverhältnis scheint in Ver-
bindung mit den königlichen Landschenkungen in Teilen des fränkischen
Stammesgebietes die Grundlage eines Adelsstandes geworden zu sein.
Wenigstens dürfte kaum in anderer Weise erklärt werden können,
daſs uns bei den chamavischen Franken in einer Rechtsaufzeichnung
aus dem Anfange des neunten Jahrhunderts unter dem Namen homines
Franci Adelige begegnen, welche durch das dreifache Wergeld des
freien Franken, durch höhere Buſse und durch ein besonderes Erbrecht
ausgezeichnet sind 28. Die Karolinger haben die Erblichkeit hinsicht-
26 Decretio Childeberti v. J. 596 c. 8. Vgl. Waitz, VG II 1 S 273 Anm 1.
27 Treffend sagt Waitz a. O. S 379: wenn man von einem Dienstadel spreche,
dürfe man nicht vergessen, „daſs der Dienst an sich dem Begriff des Adels wider-
spricht, und die Verpflichtung, die er auferlegt, erst von dem Recht, das er giebt,
überwunden werden muſs, ehe er als Grundlage eines Standesrechts betrachtet
werden kann“.
28 Lex Chamavorum 3. 17—20. 42. Da in Lex Cham. 1 und 13 Francus den
Angehörigen des fränkischen Stammes bedeutet, ist bei dem homo Francus der Ton
auf den homo zu legen. Das spricht gegen alten Geschlechtsadel. Pardessus,
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