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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 29. Die Gliederung der Gesellschaft.
Später, als auch Germanen in grösserer Zahl in den Klerus eintraten,
genossen sie das Wergeld ihrer Geburt 20. Die höhere Geistlichkeit
war durch ein erhöhtes, nach der kirchlichen Rangordnung abgestuftes
Wergeld ohne Rücksicht auf den Geburtsstand geschützt.

Dagegen muss es bezweifelt werden, dass die Juden 21 als Römer
vergolten wurden. Allerdings waren sie dort, wo das römische Recht
sich erhielt, wie zu römischer Zeit in Kriminalsachen und in Streitig-
keiten mit Christen dem römischen Recht unterworfen. Allein ihr
Personalrecht war es nicht, da sie es in ihren gegenseitigen Rechts-
beziehungen nicht zur Anwendung brachten und Juden, nicht Römer
sein wollten. Darum nimmt auch das Judenschutzrecht, welches in
karolingischer Zeit sich ausbildete, auf das römische Recht keine
Rücksicht. In den Judenschutzbriefen Ludwigs I. wird auf die Tötung
eines königlichen Schutzjuden eine Geldstrafe von zehn Pfund Goldes
festgesetzt, die aber nicht an die Verwandten des erschlagenen Juden,
sondern an den Fiskus fiel. Sofern der Jude nicht in dem besonderen
Schutze des Königs stand, strafte dieser als allgemeiner Beschirmer
der Unvermögenden die an jenem begangene Rechtsverletzung. Ein
volksrechtlich anerkanntes Wergeld fehlte den Juden.

Neben der Verschiedenheit der Nationalitäten und Stämme kommen
für die Gliederung der Gesellschaft die ständischen Gegensätze in Be-
tracht. Das Ständewesen ist bei den einzelnen germanischen Stämmen
ein verschiedenes. Allenthalben teilt sich die Bevölkerung in Freie,
Halbfreie und Knechte. Die Franken kennen nur diese drei Klassen.
Bei den übrigen Stämmen kommt ein Stand des Adels hinzu, der sich
bei einigen wieder in einen höheren und niederen Adel spaltet. Dieses
stammesrechtliche Ständewesen haben die Franken anerkannt, obzwar

20 Loening, Kirchenrecht S 296. E. Mayer, Zur Entstehung der Lex
Ribuariorum, 1886, S 10 ff. Schröder, Z2 f. RG VII 26.
21 Zu Anfang der merowingischen Zeit verblieben die Juden in der sozialen
Stellung, die ihnen die spätrömische Zeit angewiesen hatte. Nach wie vor waren
sie auf den Schacher beschränkt, während der Grosshandel sich bis in das 7. Jahrh.
in den Händen der Syrer befand. Scheffer-Boichorst, Zur Geschichte der
Syrer im Abendlande, Mitth. d. Inst. f. österr. GF VI 521. Mommsen, Römische
Geschichte V 467 Anm 3. Als die Eroberung Syriens durch den Islam die Juden
von dieser überlegenen Konkurrenz befreit hatte, kamen sie im fränkischen Reiche
als Kaufleute empor. Als solche werden sie neben den Friesen in karolingischer
Zeit häufig genannt. Der Sklavenhandel scheint hauptsächlich durch die Hände der
Juden gegangen zu sein. Stobbe, Die Juden in Deutschland S 7. 200. Über die
relativ günstige Lage der Juden in karolingischer Zeit s. Hoeniger, Zur Gesch.
der Juden Deutschlands im früheren Mittelalter, Z f. d. Gesch. der Juden in
Deutschl. I 65 ff.

§ 29. Die Gliederung der Gesellschaft.
Später, als auch Germanen in gröſserer Zahl in den Klerus eintraten,
genossen sie das Wergeld ihrer Geburt 20. Die höhere Geistlichkeit
war durch ein erhöhtes, nach der kirchlichen Rangordnung abgestuftes
Wergeld ohne Rücksicht auf den Geburtsstand geschützt.

Dagegen muſs es bezweifelt werden, daſs die Juden 21 als Römer
vergolten wurden. Allerdings waren sie dort, wo das römische Recht
sich erhielt, wie zu römischer Zeit in Kriminalsachen und in Streitig-
keiten mit Christen dem römischen Recht unterworfen. Allein ihr
Personalrecht war es nicht, da sie es in ihren gegenseitigen Rechts-
beziehungen nicht zur Anwendung brachten und Juden, nicht Römer
sein wollten. Darum nimmt auch das Judenschutzrecht, welches in
karolingischer Zeit sich ausbildete, auf das römische Recht keine
Rücksicht. In den Judenschutzbriefen Ludwigs I. wird auf die Tötung
eines königlichen Schutzjuden eine Geldstrafe von zehn Pfund Goldes
festgesetzt, die aber nicht an die Verwandten des erschlagenen Juden,
sondern an den Fiskus fiel. Sofern der Jude nicht in dem besonderen
Schutze des Königs stand, strafte dieser als allgemeiner Beschirmer
der Unvermögenden die an jenem begangene Rechtsverletzung. Ein
volksrechtlich anerkanntes Wergeld fehlte den Juden.

Neben der Verschiedenheit der Nationalitäten und Stämme kommen
für die Gliederung der Gesellschaft die ständischen Gegensätze in Be-
tracht. Das Ständewesen ist bei den einzelnen germanischen Stämmen
ein verschiedenes. Allenthalben teilt sich die Bevölkerung in Freie,
Halbfreie und Knechte. Die Franken kennen nur diese drei Klassen.
Bei den übrigen Stämmen kommt ein Stand des Adels hinzu, der sich
bei einigen wieder in einen höheren und niederen Adel spaltet. Dieses
stammesrechtliche Ständewesen haben die Franken anerkannt, obzwar

20 Loening, Kirchenrecht S 296. E. Mayer, Zur Entstehung der Lex
Ribuariorum, 1886, S 10 ff. Schröder, Z2 f. RG VII 26.
21 Zu Anfang der merowingischen Zeit verblieben die Juden in der sozialen
Stellung, die ihnen die spätrömische Zeit angewiesen hatte. Nach wie vor waren
sie auf den Schacher beschränkt, während der Groſshandel sich bis in das 7. Jahrh.
in den Händen der Syrer befand. Scheffer-Boichorst, Zur Geschichte der
Syrer im Abendlande, Mitth. d. Inst. f. österr. GF VI 521. Mommsen, Römische
Geschichte V 467 Anm 3. Als die Eroberung Syriens durch den Islam die Juden
von dieser überlegenen Konkurrenz befreit hatte, kamen sie im fränkischen Reiche
als Kaufleute empor. Als solche werden sie neben den Friesen in karolingischer
Zeit häufig genannt. Der Sklavenhandel scheint hauptsächlich durch die Hände der
Juden gegangen zu sein. Stobbe, Die Juden in Deutschland S 7. 200. Über die
relativ günstige Lage der Juden in karolingischer Zeit s. Hoeniger, Zur Gesch.
der Juden Deutschlands im früheren Mittelalter, Z f. d. Gesch. der Juden in
Deutschl. I 65 ff.
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[228/0246] § 29. Die Gliederung der Gesellschaft. Später, als auch Germanen in gröſserer Zahl in den Klerus eintraten, genossen sie das Wergeld ihrer Geburt 20. Die höhere Geistlichkeit war durch ein erhöhtes, nach der kirchlichen Rangordnung abgestuftes Wergeld ohne Rücksicht auf den Geburtsstand geschützt. Dagegen muſs es bezweifelt werden, daſs die Juden 21 als Römer vergolten wurden. Allerdings waren sie dort, wo das römische Recht sich erhielt, wie zu römischer Zeit in Kriminalsachen und in Streitig- keiten mit Christen dem römischen Recht unterworfen. Allein ihr Personalrecht war es nicht, da sie es in ihren gegenseitigen Rechts- beziehungen nicht zur Anwendung brachten und Juden, nicht Römer sein wollten. Darum nimmt auch das Judenschutzrecht, welches in karolingischer Zeit sich ausbildete, auf das römische Recht keine Rücksicht. In den Judenschutzbriefen Ludwigs I. wird auf die Tötung eines königlichen Schutzjuden eine Geldstrafe von zehn Pfund Goldes festgesetzt, die aber nicht an die Verwandten des erschlagenen Juden, sondern an den Fiskus fiel. Sofern der Jude nicht in dem besonderen Schutze des Königs stand, strafte dieser als allgemeiner Beschirmer der Unvermögenden die an jenem begangene Rechtsverletzung. Ein volksrechtlich anerkanntes Wergeld fehlte den Juden. Neben der Verschiedenheit der Nationalitäten und Stämme kommen für die Gliederung der Gesellschaft die ständischen Gegensätze in Be- tracht. Das Ständewesen ist bei den einzelnen germanischen Stämmen ein verschiedenes. Allenthalben teilt sich die Bevölkerung in Freie, Halbfreie und Knechte. Die Franken kennen nur diese drei Klassen. Bei den übrigen Stämmen kommt ein Stand des Adels hinzu, der sich bei einigen wieder in einen höheren und niederen Adel spaltet. Dieses stammesrechtliche Ständewesen haben die Franken anerkannt, obzwar 20 Loening, Kirchenrecht S 296. E. Mayer, Zur Entstehung der Lex Ribuariorum, 1886, S 10 ff. Schröder, Z2 f. RG VII 26. 21 Zu Anfang der merowingischen Zeit verblieben die Juden in der sozialen Stellung, die ihnen die spätrömische Zeit angewiesen hatte. Nach wie vor waren sie auf den Schacher beschränkt, während der Groſshandel sich bis in das 7. Jahrh. in den Händen der Syrer befand. Scheffer-Boichorst, Zur Geschichte der Syrer im Abendlande, Mitth. d. Inst. f. österr. GF VI 521. Mommsen, Römische Geschichte V 467 Anm 3. Als die Eroberung Syriens durch den Islam die Juden von dieser überlegenen Konkurrenz befreit hatte, kamen sie im fränkischen Reiche als Kaufleute empor. Als solche werden sie neben den Friesen in karolingischer Zeit häufig genannt. Der Sklavenhandel scheint hauptsächlich durch die Hände der Juden gegangen zu sein. Stobbe, Die Juden in Deutschland S 7. 200. Über die relativ günstige Lage der Juden in karolingischer Zeit s. Hoeniger, Zur Gesch. der Juden Deutschlands im früheren Mittelalter, Z f. d. Gesch. der Juden in Deutschl. I 65 ff.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/246>, abgerufen am 08.05.2024.