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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 26. Grundherrschaften und Landleihe.
germanisch-romanische Welt vor den sozialen Übeln bewahrt, welche
dem unvermittelten Gegensatz zwischen Grossgrundbesitz und Pauperis-
mus entspringen. Die Aufteilung der Grundrente hat sich schliesslich
in eine Aufteilung des Grundeigentums umgesetzt. Denn was in un-
seren Tagen durch die Allodifizierung der Lehen und durch die
agrarische Gesetzgebung geschah, ist nur der Abschluss einer tausend-
jährigen Entwicklung, welche mit der Ausbildung der fränkischen
Leiheverhältnisse begonnen hatte.

Die Terminologie der fränkischen Quellen fasst die verschieden-
artigsten Formen der Landleihe unter dem Begriffe der precaria24 zu-
sammen, dessen Entstehung schon oben Seite 200 f. besprochen wurde.
Er ist in dieser Zeit noch viel dehnbarer geworden. Das zu precaria
oder wohl auch "precarium" verliehene Gut war entweder auf Wider-
ruf25 oder auf bestimmte Zeit26 oder auf Lebenszeit27, auf mehrere
Leiber28 oder erblich hingegeben29. Die Widerruflichkeit musste beson-
ders vorbehalten sein. Für die kirchlichen Prekarien galt im allgemeinen
das Erfordernis fünfjähriger Erneuerung30. Dass sie auch thatsächlich
zur Anwendung kam, lässt sich in vereinzelten Fällen nachweisen31.
Doch wurde sie in dem Prekarievertrage häufig ausgeschlossen. Auch

24 Als eine Übersetzung von precaria erklärt sich wohl das bisher noch
nicht gedeutete Wort gafergarias in Pardessus, Dipl. II 289 Nr 481 v. J. 711.
Im Gau Toxandrien schenkt jemand sein Besitztum: casis, curticlis, campis ... mo-
bili cum immobili cum manentibus ibidem aspicientibus X, servientes gafergarias
hochofinnas, cum ingressu et egressu. Gafergarias ist auf fergon, bitten, precari
zurückzuführen. Bei hochofinnas möchte ich nicht wie Waitz II 2 S 315 Anm 3
an Hochöfen, eher an Hochhufen denken. Hofinna stände für hovina (in einer
flandrischen Urkunde bei Du Cange III 723), soviel wie hobunna, huba. Vielleicht
ist aber och hofinnas zu lesen. Der Donator schenkt die Hintersassen, welche die
Leihegüter und die kleinen Hufen bedienen.
25 Marc. II 41: quamdiu vobis placuerit. Form. Tur. 7: quatenus vestrum
manserit decretum. Eine praestaria wurde in solchem Falle nicht ausgestellt.
26 Lex Wisig. X 1, 12: si per precariam epistolam certus annorum numerus
fuerit comprehensus. Roziere Nr 320, Zeumer S 491: ut quamdiu advixeris
aut ad annos quinque aut decem aut quindecim ipsas res ... usualiter habere ...
debeas. Vaissete II Nr 56 v. J. 820: per annos viginti duos.
27 Form. Andeg. 7; Marc. II 3. 39.
28 Wartmann, St. Gall. UB Nr 3. 17. 18. 19.
29 Form. Aug. Coll. B. 8, Zeumer S 352.
30 S. oben S 202. Roth, Feudalität S 170; Loening, Kirchenrecht S 713.
31 Mit Unrecht bezweifelt es Waitz, VG II 1 S 300. Bernard, Chartes
de Cluny I 106, Nr 95 v. J. 907: morem antiquorum nostrorum decessorum sequens
secundum Romane legis sanctionem ... renovare decrevimus praestariam quam
Bodoni ... olim fecimus. Die frühere Verleihung hatte i. J. 902, Bernard I 73
Nr 64, stattgefunden und damals war fünfjährige Erneuerung vorgeschrieben worden.

§ 26. Grundherrschaften und Landleihe.
germanisch-romanische Welt vor den sozialen Übeln bewahrt, welche
dem unvermittelten Gegensatz zwischen Groſsgrundbesitz und Pauperis-
mus entspringen. Die Aufteilung der Grundrente hat sich schlieſslich
in eine Aufteilung des Grundeigentums umgesetzt. Denn was in un-
seren Tagen durch die Allodifizierung der Lehen und durch die
agrarische Gesetzgebung geschah, ist nur der Abschluſs einer tausend-
jährigen Entwicklung, welche mit der Ausbildung der fränkischen
Leiheverhältnisse begonnen hatte.

Die Terminologie der fränkischen Quellen faſst die verschieden-
artigsten Formen der Landleihe unter dem Begriffe der precaria24 zu-
sammen, dessen Entstehung schon oben Seite 200 f. besprochen wurde.
Er ist in dieser Zeit noch viel dehnbarer geworden. Das zu precaria
oder wohl auch „precarium“ verliehene Gut war entweder auf Wider-
ruf25 oder auf bestimmte Zeit26 oder auf Lebenszeit27, auf mehrere
Leiber28 oder erblich hingegeben29. Die Widerruflichkeit muſste beson-
ders vorbehalten sein. Für die kirchlichen Prekarien galt im allgemeinen
das Erfordernis fünfjähriger Erneuerung30. Daſs sie auch thatsächlich
zur Anwendung kam, läſst sich in vereinzelten Fällen nachweisen31.
Doch wurde sie in dem Prekarievertrage häufig ausgeschlossen. Auch

24 Als eine Übersetzung von precaria erklärt sich wohl das bisher noch
nicht gedeutete Wort gafergarias in Pardessus, Dipl. II 289 Nr 481 v. J. 711.
Im Gau Toxandrien schenkt jemand sein Besitztum: casis, curticlis, campis … mo-
bili cum immobili cum manentibus ibidem aspicientibus X, servientes gafergarias
hochofinnas, cum ingressu et egressu. Gafergarias ist auf fërgôn, bitten, precari
zurückzuführen. Bei hochofinnas möchte ich nicht wie Waitz II 2 S 315 Anm 3
an Hochöfen, eher an Hochhufen denken. Hofinna stände für hovina (in einer
flandrischen Urkunde bei Du Cange III 723), soviel wie hobunna, huba. Vielleicht
ist aber och hofinnas zu lesen. Der Donator schenkt die Hintersassen, welche die
Leihegüter und die kleinen Hufen bedienen.
25 Marc. II 41: quamdiu vobis placuerit. Form. Tur. 7: quatenus vestrum
manserit decretum. Eine praestaria wurde in solchem Falle nicht ausgestellt.
26 Lex Wisig. X 1, 12: si per precariam epistolam certus annorum numerus
fuerit comprehensus. Rozière Nr 320, Zeumer S 491: ut quamdiu advixeris
aut ad annos quinque aut decem aut quindecim ipsas res … usualiter habere …
debeas. Vaissete II Nr 56 v. J. 820: per annos viginti duos.
27 Form. Andeg. 7; Marc. II 3. 39.
28 Wartmann, St. Gall. UB Nr 3. 17. 18. 19.
29 Form. Aug. Coll. B. 8, Zeumer S 352.
30 S. oben S 202. Roth, Feudalität S 170; Loening, Kirchenrecht S 713.
31 Mit Unrecht bezweifelt es Waitz, VG II 1 S 300. Bernard, Chartes
de Cluny I 106, Nr 95 v. J. 907: morem antiquorum nostrorum decessorum sequens
secundum Romane legis sanctionem … renovare decrevimus praestariam quam
Bodoni … olim fecimus. Die frühere Verleihung hatte i. J. 902, Bernard I 73
Nr 64, stattgefunden und damals war fünfjährige Erneuerung vorgeschrieben worden.
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[210/0228] § 26. Grundherrschaften und Landleihe. germanisch-romanische Welt vor den sozialen Übeln bewahrt, welche dem unvermittelten Gegensatz zwischen Groſsgrundbesitz und Pauperis- mus entspringen. Die Aufteilung der Grundrente hat sich schlieſslich in eine Aufteilung des Grundeigentums umgesetzt. Denn was in un- seren Tagen durch die Allodifizierung der Lehen und durch die agrarische Gesetzgebung geschah, ist nur der Abschluſs einer tausend- jährigen Entwicklung, welche mit der Ausbildung der fränkischen Leiheverhältnisse begonnen hatte. Die Terminologie der fränkischen Quellen faſst die verschieden- artigsten Formen der Landleihe unter dem Begriffe der precaria 24 zu- sammen, dessen Entstehung schon oben Seite 200 f. besprochen wurde. Er ist in dieser Zeit noch viel dehnbarer geworden. Das zu precaria oder wohl auch „precarium“ verliehene Gut war entweder auf Wider- ruf 25 oder auf bestimmte Zeit 26 oder auf Lebenszeit 27, auf mehrere Leiber 28 oder erblich hingegeben 29. Die Widerruflichkeit muſste beson- ders vorbehalten sein. Für die kirchlichen Prekarien galt im allgemeinen das Erfordernis fünfjähriger Erneuerung 30. Daſs sie auch thatsächlich zur Anwendung kam, läſst sich in vereinzelten Fällen nachweisen 31. Doch wurde sie in dem Prekarievertrage häufig ausgeschlossen. Auch 24 Als eine Übersetzung von precaria erklärt sich wohl das bisher noch nicht gedeutete Wort gafergarias in Pardessus, Dipl. II 289 Nr 481 v. J. 711. Im Gau Toxandrien schenkt jemand sein Besitztum: casis, curticlis, campis … mo- bili cum immobili cum manentibus ibidem aspicientibus X, servientes gafergarias hochofinnas, cum ingressu et egressu. Gafergarias ist auf fërgôn, bitten, precari zurückzuführen. Bei hochofinnas möchte ich nicht wie Waitz II 2 S 315 Anm 3 an Hochöfen, eher an Hochhufen denken. Hofinna stände für hovina (in einer flandrischen Urkunde bei Du Cange III 723), soviel wie hobunna, huba. Vielleicht ist aber och hofinnas zu lesen. Der Donator schenkt die Hintersassen, welche die Leihegüter und die kleinen Hufen bedienen. 25 Marc. II 41: quamdiu vobis placuerit. Form. Tur. 7: quatenus vestrum manserit decretum. Eine praestaria wurde in solchem Falle nicht ausgestellt. 26 Lex Wisig. X 1, 12: si per precariam epistolam certus annorum numerus fuerit comprehensus. Rozière Nr 320, Zeumer S 491: ut quamdiu advixeris aut ad annos quinque aut decem aut quindecim ipsas res … usualiter habere … debeas. Vaissete II Nr 56 v. J. 820: per annos viginti duos. 27 Form. Andeg. 7; Marc. II 3. 39. 28 Wartmann, St. Gall. UB Nr 3. 17. 18. 19. 29 Form. Aug. Coll. B. 8, Zeumer S 352. 30 S. oben S 202. Roth, Feudalität S 170; Loening, Kirchenrecht S 713. 31 Mit Unrecht bezweifelt es Waitz, VG II 1 S 300. Bernard, Chartes de Cluny I 106, Nr 95 v. J. 907: morem antiquorum nostrorum decessorum sequens secundum Romane legis sanctionem … renovare decrevimus praestariam quam Bodoni … olim fecimus. Die frühere Verleihung hatte i. J. 902, Bernard I 73 Nr 64, stattgefunden und damals war fünfjährige Erneuerung vorgeschrieben worden.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/228>, abgerufen am 22.11.2024.