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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 23. Der Rechtsgang.
und in der Befragung des Kriegsgottes, als welche sich der Zwei-
kampf darstellt, der im Rechtsgange nicht als eine prozessualisch
geregelte Fehde, sondern als Beweismittel und zwar als Gottesurteil
aufzufassen ist 18. Das Ordal dient übrigens im ältesten Rechte nicht
bloss als Beweismittel, sondern es wird auch angewendet, um den
Willen der Götter zu erkunden, ob ihnen der bereits überführte Ver-
brecher oder der gefangene Feind als Opfer genehm sei 19.

Wie das Beweisverfahren war in ältester Zeit auch das Be-
friedigungsverfahren ein aussergerichtliches. Eine wahre Exekution,
eine gerichtliche Zwangsvollstreckung war dem altgermanischen Rechts-
gange fremd. Wenn der Verurteilte die Befriedigung des Klägers in
dem Sühnevertrage versprochen hatte, so konnte der Gläubiger unter
Erfüllung gewisser Förmlichkeiten zur aussergerichtlichen Pfändung
des Schuldners schreiten und sich durch Pfandnahme befriedigen.
Widerstand gegen die rechtmässige Pfändung war strafbar, busslos
dagegen die Verletzung, welche, um seinen Widerstand zu brechen,
dem Schuldner zugefügt wurde. Nordische Rechte geben unter be-
stimmten Voraussetzungen wegen Nichterfüllung des Urteils eine Klage
auf Friedloslegung des säumigen Schuldners 20. Die Friedloslegung
trifft auch nach westgermanischen Rechten den Beklagten, der sich
weigert, die Erfüllung des Urteils zu geloben, den durch das Urteil
auferlegten Sühnevertrag abzuschliessen. Wird das Gut des Friedlosen
gefront und zum Teile dem Kläger zugewendet, so liegt doch darin
keine Exekution; denn das Verfahren gegen den Friedlosen ist, weil
gegen einen Ungenossen gerichtet, kein Rechtsverfahren 21.

Besondere Grundsätze müssen für das Verfahren wegen todes-

18 Bethmann-Hollweg verzeichnet Civilprozess IV 25 Anm 2 einige Be-
lege, dass der Gedanke des Ordals von den Germanen auf Kampf und Krieg über-
haupt ausgedehnt worden ist.
19 S. oben S 176.
20 Erst verhältnismässig spät ist dem Gerichtsverfahren von aussen her eine
wahre Zwangsvollstreckung angegliedert worden. Die Pfändung der Lex Salica
steht noch ausserhalb des eigentlichen Gerichtsverfahrens und ist auf die Fahrhabe
des Schuldners beschränkt. In Schweden war bis zum Ausgang des 12. Jahrh. der
haftende Schuldner nur der aussergerichtlichen Pfandnahme und der Friedlosigkeit
ausgesetzt. v. Amira, Obligationenrecht S 109. 161. Ebenso stand es im altdänischen
Rechte, Lehmann a. O. S 113. Auch das isländische Recht kannte keine direkte
Exekution von Urteilen, die auf Geld und Gut lauteten, sondern gab dem Gläubiger
wegen Nichterfüllung des Urteils eine Klage um domrof, d. h. wegen Missachtung
des Urteils, die auf Acht oder Landesverweisung gerichtet war. Konr. Maurer,
Island S 195.
21 v. Amira, Obligationenrecht S 109.

§ 23. Der Rechtsgang.
und in der Befragung des Kriegsgottes, als welche sich der Zwei-
kampf darstellt, der im Rechtsgange nicht als eine prozessualisch
geregelte Fehde, sondern als Beweismittel und zwar als Gottesurteil
aufzufassen ist 18. Das Ordal dient übrigens im ältesten Rechte nicht
bloſs als Beweismittel, sondern es wird auch angewendet, um den
Willen der Götter zu erkunden, ob ihnen der bereits überführte Ver-
brecher oder der gefangene Feind als Opfer genehm sei 19.

Wie das Beweisverfahren war in ältester Zeit auch das Be-
friedigungsverfahren ein auſsergerichtliches. Eine wahre Exekution,
eine gerichtliche Zwangsvollstreckung war dem altgermanischen Rechts-
gange fremd. Wenn der Verurteilte die Befriedigung des Klägers in
dem Sühnevertrage versprochen hatte, so konnte der Gläubiger unter
Erfüllung gewisser Förmlichkeiten zur auſsergerichtlichen Pfändung
des Schuldners schreiten und sich durch Pfandnahme befriedigen.
Widerstand gegen die rechtmäſsige Pfändung war strafbar, buſslos
dagegen die Verletzung, welche, um seinen Widerstand zu brechen,
dem Schuldner zugefügt wurde. Nordische Rechte geben unter be-
stimmten Voraussetzungen wegen Nichterfüllung des Urteils eine Klage
auf Friedloslegung des säumigen Schuldners 20. Die Friedloslegung
trifft auch nach westgermanischen Rechten den Beklagten, der sich
weigert, die Erfüllung des Urteils zu geloben, den durch das Urteil
auferlegten Sühnevertrag abzuschlieſsen. Wird das Gut des Friedlosen
gefront und zum Teile dem Kläger zugewendet, so liegt doch darin
keine Exekution; denn das Verfahren gegen den Friedlosen ist, weil
gegen einen Ungenossen gerichtet, kein Rechtsverfahren 21.

Besondere Grundsätze müssen für das Verfahren wegen todes-

18 Bethmann-Hollweg verzeichnet Civilprozeſs IV 25 Anm 2 einige Be-
lege, daſs der Gedanke des Ordals von den Germanen auf Kampf und Krieg über-
haupt ausgedehnt worden ist.
19 S. oben S 176.
20 Erst verhältnismäſsig spät ist dem Gerichtsverfahren von auſsen her eine
wahre Zwangsvollstreckung angegliedert worden. Die Pfändung der Lex Salica
steht noch auſserhalb des eigentlichen Gerichtsverfahrens und ist auf die Fahrhabe
des Schuldners beschränkt. In Schweden war bis zum Ausgang des 12. Jahrh. der
haftende Schuldner nur der auſsergerichtlichen Pfandnahme und der Friedlosigkeit
ausgesetzt. v. Amira, Obligationenrecht S 109. 161. Ebenso stand es im altdänischen
Rechte, Lehmann a. O. S 113. Auch das isländische Recht kannte keine direkte
Exekution von Urteilen, die auf Geld und Gut lauteten, sondern gab dem Gläubiger
wegen Nichterfüllung des Urteils eine Klage um dómrof, d. h. wegen Miſsachtung
des Urteils, die auf Acht oder Landesverweisung gerichtet war. Konr. Maurer,
Island S 195.
21 v. Amira, Obligationenrecht S 109.
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[183/0201] § 23. Der Rechtsgang. und in der Befragung des Kriegsgottes, als welche sich der Zwei- kampf darstellt, der im Rechtsgange nicht als eine prozessualisch geregelte Fehde, sondern als Beweismittel und zwar als Gottesurteil aufzufassen ist 18. Das Ordal dient übrigens im ältesten Rechte nicht bloſs als Beweismittel, sondern es wird auch angewendet, um den Willen der Götter zu erkunden, ob ihnen der bereits überführte Ver- brecher oder der gefangene Feind als Opfer genehm sei 19. Wie das Beweisverfahren war in ältester Zeit auch das Be- friedigungsverfahren ein auſsergerichtliches. Eine wahre Exekution, eine gerichtliche Zwangsvollstreckung war dem altgermanischen Rechts- gange fremd. Wenn der Verurteilte die Befriedigung des Klägers in dem Sühnevertrage versprochen hatte, so konnte der Gläubiger unter Erfüllung gewisser Förmlichkeiten zur auſsergerichtlichen Pfändung des Schuldners schreiten und sich durch Pfandnahme befriedigen. Widerstand gegen die rechtmäſsige Pfändung war strafbar, buſslos dagegen die Verletzung, welche, um seinen Widerstand zu brechen, dem Schuldner zugefügt wurde. Nordische Rechte geben unter be- stimmten Voraussetzungen wegen Nichterfüllung des Urteils eine Klage auf Friedloslegung des säumigen Schuldners 20. Die Friedloslegung trifft auch nach westgermanischen Rechten den Beklagten, der sich weigert, die Erfüllung des Urteils zu geloben, den durch das Urteil auferlegten Sühnevertrag abzuschlieſsen. Wird das Gut des Friedlosen gefront und zum Teile dem Kläger zugewendet, so liegt doch darin keine Exekution; denn das Verfahren gegen den Friedlosen ist, weil gegen einen Ungenossen gerichtet, kein Rechtsverfahren 21. Besondere Grundsätze müssen für das Verfahren wegen todes- 18 Bethmann-Hollweg verzeichnet Civilprozeſs IV 25 Anm 2 einige Be- lege, daſs der Gedanke des Ordals von den Germanen auf Kampf und Krieg über- haupt ausgedehnt worden ist. 19 S. oben S 176. 20 Erst verhältnismäſsig spät ist dem Gerichtsverfahren von auſsen her eine wahre Zwangsvollstreckung angegliedert worden. Die Pfändung der Lex Salica steht noch auſserhalb des eigentlichen Gerichtsverfahrens und ist auf die Fahrhabe des Schuldners beschränkt. In Schweden war bis zum Ausgang des 12. Jahrh. der haftende Schuldner nur der auſsergerichtlichen Pfandnahme und der Friedlosigkeit ausgesetzt. v. Amira, Obligationenrecht S 109. 161. Ebenso stand es im altdänischen Rechte, Lehmann a. O. S 113. Auch das isländische Recht kannte keine direkte Exekution von Urteilen, die auf Geld und Gut lauteten, sondern gab dem Gläubiger wegen Nichterfüllung des Urteils eine Klage um dómrof, d. h. wegen Miſsachtung des Urteils, die auf Acht oder Landesverweisung gerichtet war. Konr. Maurer, Island S 195. 21 v. Amira, Obligationenrecht S 109.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/201>, abgerufen am 22.11.2024.