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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 21. Fehde und Busse.
nam überliefert. Wie ein Volk sich zum Kriege rüstet, so organisiert
sich die zur Rache entschlossene Sippe, indem sie etwa einen aus
ihrer Mitte zum Führer und Leiter der Fehde erwählt. Fränkische
Rechtsquellen des fünfzehnten Jahrhunderts haben sogar feste Rechts-
sätze über die Frage, welchem Magen die Hauptmannschaft der Fehde
gebühre17, wie nahe man mit dem Toten verwandt sein müsse, um
als "Anleiter" der Rache bestellt werden zu können18. In hohes
Altertum reicht die vermutlich auf heidnischen Glaubenslehren be-
ruhende Sitte zurück, die Leiche des erschlagenen Blutsfreundes nicht
zu beerdigen, ehe der Totschlag gerächt ist. Von den Friesen des
dreizehnten Jahrhunderts wird berichtet, dass sie den Leichnam im
Hause aufzuhängen pflegten, bis Vergeltung geübt war19.

Die in erlaubter Rache vollzogene Tötung musste öffentlich ver-
kündigt oder als solche allgemein ersichtlich gemacht werden20.
Wurde die Rachethat verheimlicht, so galt sie für eine rechtswidrige
That. Die Franken steckten das Haupt des erschlagenen Feindes auf
einen Pfahl, hingen den Leichnam an einen Galgen oder stellten ihn
öffentlich auf einer Bahre aus21. Auf altem Brauch scheint auch die
in niederländischen Quellen überlieferte Vorschrift zu fussen, dass der
Rächer dem Opfer seiner Rache die Waffe, mit der die Tötung ge-
schah, und eine kleine Münze auf die Brust legte22.

Der beleidigten Sippe stand es frei, den Weg der Fehde zu ver-
schmähen und von dem Missethäter das verwirkte Sühngeld auf ge-

17 Nach dem Rechte von Namur konnte die chivetainetet de la guerre im
Streitfalle durch gerichtliches Urteil zuerkannt werden. Z2 f. RG III 73.
18 In den Dingtalen von Delft (hg. von Fruin, Abdruck aus den N. Bijdr. voor
Rechtsgel. en Wetgeving 1878 S 45) fragt der Kläger um ein Urteil, wie nahe der
verwandt sein müsse, der Rache üben will. Das Urteil lautet, dass ein erstes Glied
(ein Verwandter der fünften Parentel) wohl Rache thun darf, dass aber ein Ander-
geschwisterkind oder ein näherer Mag "Anleiter" sein solle. Vgl. noch die Dord-
rechter Dingtaal bei Fruin, Oudste Rechten der stad Dordrecht I 369.
19 Frauenstädt S 10 f. und Anm 3. Eine andere Art der Aufbewahrung
kennt das niederländische Recht: Brieler Rechtsbuch 184; Rheingauer Landr. 56.
20 Decreta Tassil. Niuh. c. 3, LL III 464: sed tamen ea tria genera homi-
cidiorum (erlaubter Tötungen) debito signo vicinis suis et his qui adsistunt, insignet.
Über die Totschlagsverkündigung des Nordens (viglysing) v. Amira, Vollstreckungs-
verfahren S 13 f.
21 Lex Sal. 41, 8 Zus. 2 bei Behrend setzt eine Busse, wenn jemand das
Haupt eines Menschen, welches dessen Feinde in palum miserunt, ohne deren
Willen herabnimmt. Die Rächer konnten dadurch in den Verdacht der rechts-
widrigen Tötung kommen. Thonissen S 110. -- Lex Sal. 41, 8 Zus. 1 bei
Behrend, Hessels col. 258--260. Gregor. Tur. Hist. Fr. IX 19. Lex Rib. 77.
22 Z2 f. RG III 54 Anm 3. Dingtalen von Delft S 46.

§ 21. Fehde und Buſse.
nam überliefert. Wie ein Volk sich zum Kriege rüstet, so organisiert
sich die zur Rache entschlossene Sippe, indem sie etwa einen aus
ihrer Mitte zum Führer und Leiter der Fehde erwählt. Fränkische
Rechtsquellen des fünfzehnten Jahrhunderts haben sogar feste Rechts-
sätze über die Frage, welchem Magen die Hauptmannschaft der Fehde
gebühre17, wie nahe man mit dem Toten verwandt sein müsse, um
als „Anleiter“ der Rache bestellt werden zu können18. In hohes
Altertum reicht die vermutlich auf heidnischen Glaubenslehren be-
ruhende Sitte zurück, die Leiche des erschlagenen Blutsfreundes nicht
zu beerdigen, ehe der Totschlag gerächt ist. Von den Friesen des
dreizehnten Jahrhunderts wird berichtet, daſs sie den Leichnam im
Hause aufzuhängen pflegten, bis Vergeltung geübt war19.

Die in erlaubter Rache vollzogene Tötung muſste öffentlich ver-
kündigt oder als solche allgemein ersichtlich gemacht werden20.
Wurde die Rachethat verheimlicht, so galt sie für eine rechtswidrige
That. Die Franken steckten das Haupt des erschlagenen Feindes auf
einen Pfahl, hingen den Leichnam an einen Galgen oder stellten ihn
öffentlich auf einer Bahre aus21. Auf altem Brauch scheint auch die
in niederländischen Quellen überlieferte Vorschrift zu fuſsen, daſs der
Rächer dem Opfer seiner Rache die Waffe, mit der die Tötung ge-
schah, und eine kleine Münze auf die Brust legte22.

Der beleidigten Sippe stand es frei, den Weg der Fehde zu ver-
schmähen und von dem Missethäter das verwirkte Sühngeld auf ge-

17 Nach dem Rechte von Namur konnte die chivetainetet de la guerre im
Streitfalle durch gerichtliches Urteil zuerkannt werden. Z2 f. RG III 73.
18 In den Dingtalen von Delft (hg. von Fruin, Abdruck aus den N. Bijdr. voor
Rechtsgel. en Wetgeving 1878 S 45) fragt der Kläger um ein Urteil, wie nahe der
verwandt sein müsse, der Rache üben will. Das Urteil lautet, daſs ein erstes Glied
(ein Verwandter der fünften Parentel) wohl Rache thun darf, daſs aber ein Ander-
geschwisterkind oder ein näherer Mag „Anleiter“ sein solle. Vgl. noch die Dord-
rechter Dingtaal bei Fruin, Oudste Rechten der stad Dordrecht I 369.
19 Frauenstädt S 10 f. und Anm 3. Eine andere Art der Aufbewahrung
kennt das niederländische Recht: Brieler Rechtsbuch 184; Rheingauer Landr. 56.
20 Decreta Tassil. Niuh. c. 3, LL III 464: sed tamen ea tria genera homi-
cidiorum (erlaubter Tötungen) debito signo vicinis suis et his qui adsistunt, insignet.
Über die Totschlagsverkündigung des Nordens (víglysing) v. Amira, Vollstreckungs-
verfahren S 13 f.
21 Lex Sal. 41, 8 Zus. 2 bei Behrend setzt eine Buſse, wenn jemand das
Haupt eines Menschen, welches dessen Feinde in palum miserunt, ohne deren
Willen herabnimmt. Die Rächer konnten dadurch in den Verdacht der rechts-
widrigen Tötung kommen. Thonissen S 110. — Lex Sal. 41, 8 Zus. 1 bei
Behrend, Hessels col. 258—260. Gregor. Tur. Hist. Fr. IX 19. Lex Rib. 77.
22 Z2 f. RG III 54 Anm 3. Dingtalen von Delft S 46.
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[160/0178] § 21. Fehde und Buſse. nam überliefert. Wie ein Volk sich zum Kriege rüstet, so organisiert sich die zur Rache entschlossene Sippe, indem sie etwa einen aus ihrer Mitte zum Führer und Leiter der Fehde erwählt. Fränkische Rechtsquellen des fünfzehnten Jahrhunderts haben sogar feste Rechts- sätze über die Frage, welchem Magen die Hauptmannschaft der Fehde gebühre 17, wie nahe man mit dem Toten verwandt sein müsse, um als „Anleiter“ der Rache bestellt werden zu können 18. In hohes Altertum reicht die vermutlich auf heidnischen Glaubenslehren be- ruhende Sitte zurück, die Leiche des erschlagenen Blutsfreundes nicht zu beerdigen, ehe der Totschlag gerächt ist. Von den Friesen des dreizehnten Jahrhunderts wird berichtet, daſs sie den Leichnam im Hause aufzuhängen pflegten, bis Vergeltung geübt war 19. Die in erlaubter Rache vollzogene Tötung muſste öffentlich ver- kündigt oder als solche allgemein ersichtlich gemacht werden 20. Wurde die Rachethat verheimlicht, so galt sie für eine rechtswidrige That. Die Franken steckten das Haupt des erschlagenen Feindes auf einen Pfahl, hingen den Leichnam an einen Galgen oder stellten ihn öffentlich auf einer Bahre aus 21. Auf altem Brauch scheint auch die in niederländischen Quellen überlieferte Vorschrift zu fuſsen, daſs der Rächer dem Opfer seiner Rache die Waffe, mit der die Tötung ge- schah, und eine kleine Münze auf die Brust legte 22. Der beleidigten Sippe stand es frei, den Weg der Fehde zu ver- schmähen und von dem Missethäter das verwirkte Sühngeld auf ge- 17 Nach dem Rechte von Namur konnte die chivetainetet de la guerre im Streitfalle durch gerichtliches Urteil zuerkannt werden. Z2 f. RG III 73. 18 In den Dingtalen von Delft (hg. von Fruin, Abdruck aus den N. Bijdr. voor Rechtsgel. en Wetgeving 1878 S 45) fragt der Kläger um ein Urteil, wie nahe der verwandt sein müsse, der Rache üben will. Das Urteil lautet, daſs ein erstes Glied (ein Verwandter der fünften Parentel) wohl Rache thun darf, daſs aber ein Ander- geschwisterkind oder ein näherer Mag „Anleiter“ sein solle. Vgl. noch die Dord- rechter Dingtaal bei Fruin, Oudste Rechten der stad Dordrecht I 369. 19 Frauenstädt S 10 f. und Anm 3. Eine andere Art der Aufbewahrung kennt das niederländische Recht: Brieler Rechtsbuch 184; Rheingauer Landr. 56. 20 Decreta Tassil. Niuh. c. 3, LL III 464: sed tamen ea tria genera homi- cidiorum (erlaubter Tötungen) debito signo vicinis suis et his qui adsistunt, insignet. Über die Totschlagsverkündigung des Nordens (víglysing) v. Amira, Vollstreckungs- verfahren S 13 f. 21 Lex Sal. 41, 8 Zus. 2 bei Behrend setzt eine Buſse, wenn jemand das Haupt eines Menschen, welches dessen Feinde in palum miserunt, ohne deren Willen herabnimmt. Die Rächer konnten dadurch in den Verdacht der rechts- widrigen Tötung kommen. Thonissen S 110. — Lex Sal. 41, 8 Zus. 1 bei Behrend, Hessels col. 258—260. Gregor. Tur. Hist. Fr. IX 19. Lex Rib. 77. 22 Z2 f. RG III 54 Anm 3. Dingtalen von Delft S 46.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/178>, abgerufen am 04.05.2024.