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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 20. Die Gerichtsverfassung.
lichen Einfriedigung, Hegung des Verhandlungsplatzes etwa mittels
Pflock und Seil verbunden. Innerhalb der Dingstätte herrscht ein
heiliger Friede, dessen Grenzen durch die Hegung abgemarkt wer-
den8. Den sakralen Charakter der Hegung bezeugt das isländische
Wort thinghelgi für Dingfrieden, Dinghegung und Dingstätte9 und
der altnordische Ausdruck vebönd, heilige Bänder, für die um die
Dingstätte gezogenen Schnüre10. Bei Tacitus wird von den Hegungs-
förmlichkeiten nur ein vereinzeltes Stück erwähnt, das Gebot des
Stillschweigens, welches nach seiner Darstellung in der Landesgemeinde
von Priestern ausgesprochen wird11. Für das Gebot des Schweigens
und des Friedens ist uns in nordgermanischen, in fränkischen, frie-
sischen und sächsischen Quellen die in hohes Altertum hinaufreichende
Formel "ich gebiete Lust12 und verbiete Unlust" überliefert13. Nach
allen jüngeren Quellen der deutschen Stammesrechte ist es der vor-
sitzende Richter, der das Ding eröffnet und den Frieden wirkt14.

8 Muspilli 77: verit er ze deru mahalstetei deru dar gimarchot ist. Grimm,
RA S 809. 851. Aus dem Seile (rep, rap), welches zur Gerichtshegung diente, ist
es zu erklären, dass der Gerichtsbezirk im angelsächsischen Sussex rape, in Süd-
holland reep genannt wird. Z2 f. RG IV 237. Die Stelle im Chevalier au lyon
von Chrestien de Troyes V. 5908: n'i a rien del corjon (cordon) ploier ist auf die
Enthegung des Gerichtes durch Aufnahme des Seiles zu deuten.
9 K. Maurer, Island S 167 ff.
10 Grimm, RA S 810.
11 Germ. c. 11: silentium per sacerdotes, quibus tum et coercendi ius est,
imperatur.
12 Alts. hlust; altfries. hlest, ags. hlyst, Gehör, Schweigen. Zu ahd. hlosen, zu-
hören, bair. losen, lustern (lauschen). Schmeller, Bayer. WB I 1515.
13 "Hljoths bithk allar helgar kindir", Gehör und Schweigen heische ich von
allen Menschenkindern im heiligen Frieden: so lautet der erste Vers der Völuspa.
Müllenhoff, Alterthumskunde V 5. 86. Der Friedensbann heiligt die Anwesenden.
Die Seherin nennt daher ihre Zuhörer helgar kindir. Als jüngere Fundstellen des
Hlustgebots füge ich zu den von Grimm, RA S 53, Haltaus col. 1945 angeführten
hinzu: Dortrechter Dingtal, J. A. Fruin, Rechten van Dordrecht I 357: ic ghebiede
lust ende ic verbiede onlust. Dingtal von Südholland a. O. II 310. Utrechter Stifts-
lehnrecht, Verslagen en Mededeel. I 248 v. J. 1513: Gewiesen, dat lust geboden ende
onlust verboden is als recht is. Ähnlich a. O. S 249. Westfriesische Dingtalen, hg.
v. J. A. Fruin, S 8: ick ghebied hier list ende verbied hier onlist. Dingtalen von
Waterland, hg. v. J. A. Fruin, S 7 Anm 2: van list te bieden. Item soe wysen
die schepenen, dat hy wel lust gebieden mach, gebiet hy lust als recht is. Lust
gebieten in Seibertz, Westfäl. UB III 203 v. J. 1500.
14 Unzutreffend ist die von Grimm, RA S 813. 851 Anm aufgenommene Be-
merkung L. Maurers, Gerichtsverfahren S 220, dass sich in Baiern keine Spur von
feierlicher Hegung des Gerichtes finde. Wie zahlreiche Weistümer des bairischen
Rechtsgebietes darthun, fand auch in Baiern eine feierliche Eröffnung des Gerichtes
Binding, Handbuch. II. 1. I: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. I. 10

§ 20. Die Gerichtsverfassung.
lichen Einfriedigung, Hegung des Verhandlungsplatzes etwa mittels
Pflock und Seil verbunden. Innerhalb der Dingstätte herrscht ein
heiliger Friede, dessen Grenzen durch die Hegung abgemarkt wer-
den8. Den sakralen Charakter der Hegung bezeugt das isländische
Wort þinghelgi für Dingfrieden, Dinghegung und Dingstätte9 und
der altnordische Ausdruck vêbönd, heilige Bänder, für die um die
Dingstätte gezogenen Schnüre10. Bei Tacitus wird von den Hegungs-
förmlichkeiten nur ein vereinzeltes Stück erwähnt, das Gebot des
Stillschweigens, welches nach seiner Darstellung in der Landesgemeinde
von Priestern ausgesprochen wird11. Für das Gebot des Schweigens
und des Friedens ist uns in nordgermanischen, in fränkischen, frie-
sischen und sächsischen Quellen die in hohes Altertum hinaufreichende
Formel „ich gebiete Lust12 und verbiete Unlust“ überliefert13. Nach
allen jüngeren Quellen der deutschen Stammesrechte ist es der vor-
sitzende Richter, der das Ding eröffnet und den Frieden wirkt14.

8 Muspilli 77: verit er ze deru mahalstetî deru dâr gimarchôt ist. Grimm,
RA S 809. 851. Aus dem Seile (rêp, râp), welches zur Gerichtshegung diente, ist
es zu erklären, daſs der Gerichtsbezirk im angelsächsischen Sussex rape, in Süd-
holland reep genannt wird. Z2 f. RG IV 237. Die Stelle im Chevalier au lyon
von Chrestien de Troyes V. 5908: n’i a rien del corjon (cordon) ploier ist auf die
Enthegung des Gerichtes durch Aufnahme des Seiles zu deuten.
9 K. Maurer, Island S 167 ff.
10 Grimm, RA S 810.
11 Germ. c. 11: silentium per sacerdotes, quibus tum et coërcendi ius est,
imperatur.
12 Alts. hlust; altfries. hlest, ags. hlyst, Gehör, Schweigen. Zu ahd. hlosên, zu-
hören, bair. losen, lustern (lauschen). Schmeller, Bayer. WB I 1515.
13 „Hljóþs bíþk allar helgar kindir“, Gehör und Schweigen heische ich von
allen Menschenkindern im heiligen Frieden: so lautet der erste Vers der Völuspa.
Müllenhoff, Alterthumskunde V 5. 86. Der Friedensbann heiligt die Anwesenden.
Die Seherin nennt daher ihre Zuhörer helgar kindir. Als jüngere Fundstellen des
Hlustgebots füge ich zu den von Grimm, RA S 53, Haltaus col. 1945 angeführten
hinzu: Dortrechter Dingtal, J. A. Fruin, Rechten van Dordrecht I 357: ic ghebiede
lust ende ic verbiede onlust. Dingtal von Südholland a. O. II 310. Utrechter Stifts-
lehnrecht, Verslagen en Mededeel. I 248 v. J. 1513: Gewiesen, dat lust geboden ende
onlust verboden is als recht is. Ähnlich a. O. S 249. Westfriesische Dingtalen, hg.
v. J. A. Fruin, S 8: ick ghebied hier list ende verbied hier onlist. Dingtalen von
Waterland, hg. v. J. A. Fruin, S 7 Anm 2: van list te bieden. Item soe wysen
die schepenen, dat hy wel lust gebieden mach, gebiet hy lust als recht is. Lust
gebieten in Seibertz, Westfäl. UB III 203 v. J. 1500.
14 Unzutreffend ist die von Grimm, RA S 813. 851 Anm aufgenommene Be-
merkung L. Maurers, Gerichtsverfahren S 220, daſs sich in Baiern keine Spur von
feierlicher Hegung des Gerichtes finde. Wie zahlreiche Weistümer des bairischen
Rechtsgebietes darthun, fand auch in Baiern eine feierliche Eröffnung des Gerichtes
Binding, Handbuch. II. 1. I: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. I. 10
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[145/0163] § 20. Die Gerichtsverfassung. lichen Einfriedigung, Hegung des Verhandlungsplatzes etwa mittels Pflock und Seil verbunden. Innerhalb der Dingstätte herrscht ein heiliger Friede, dessen Grenzen durch die Hegung abgemarkt wer- den 8. Den sakralen Charakter der Hegung bezeugt das isländische Wort þinghelgi für Dingfrieden, Dinghegung und Dingstätte 9 und der altnordische Ausdruck vêbönd, heilige Bänder, für die um die Dingstätte gezogenen Schnüre 10. Bei Tacitus wird von den Hegungs- förmlichkeiten nur ein vereinzeltes Stück erwähnt, das Gebot des Stillschweigens, welches nach seiner Darstellung in der Landesgemeinde von Priestern ausgesprochen wird 11. Für das Gebot des Schweigens und des Friedens ist uns in nordgermanischen, in fränkischen, frie- sischen und sächsischen Quellen die in hohes Altertum hinaufreichende Formel „ich gebiete Lust 12 und verbiete Unlust“ überliefert 13. Nach allen jüngeren Quellen der deutschen Stammesrechte ist es der vor- sitzende Richter, der das Ding eröffnet und den Frieden wirkt 14. 8 Muspilli 77: verit er ze deru mahalstetî deru dâr gimarchôt ist. Grimm, RA S 809. 851. Aus dem Seile (rêp, râp), welches zur Gerichtshegung diente, ist es zu erklären, daſs der Gerichtsbezirk im angelsächsischen Sussex rape, in Süd- holland reep genannt wird. Z2 f. RG IV 237. Die Stelle im Chevalier au lyon von Chrestien de Troyes V. 5908: n’i a rien del corjon (cordon) ploier ist auf die Enthegung des Gerichtes durch Aufnahme des Seiles zu deuten. 9 K. Maurer, Island S 167 ff. 10 Grimm, RA S 810. 11 Germ. c. 11: silentium per sacerdotes, quibus tum et coërcendi ius est, imperatur. 12 Alts. hlust; altfries. hlest, ags. hlyst, Gehör, Schweigen. Zu ahd. hlosên, zu- hören, bair. losen, lustern (lauschen). Schmeller, Bayer. WB I 1515. 13 „Hljóþs bíþk allar helgar kindir“, Gehör und Schweigen heische ich von allen Menschenkindern im heiligen Frieden: so lautet der erste Vers der Völuspa. Müllenhoff, Alterthumskunde V 5. 86. Der Friedensbann heiligt die Anwesenden. Die Seherin nennt daher ihre Zuhörer helgar kindir. Als jüngere Fundstellen des Hlustgebots füge ich zu den von Grimm, RA S 53, Haltaus col. 1945 angeführten hinzu: Dortrechter Dingtal, J. A. Fruin, Rechten van Dordrecht I 357: ic ghebiede lust ende ic verbiede onlust. Dingtal von Südholland a. O. II 310. Utrechter Stifts- lehnrecht, Verslagen en Mededeel. I 248 v. J. 1513: Gewiesen, dat lust geboden ende onlust verboden is als recht is. Ähnlich a. O. S 249. Westfriesische Dingtalen, hg. v. J. A. Fruin, S 8: ick ghebied hier list ende verbied hier onlist. Dingtalen von Waterland, hg. v. J. A. Fruin, S 7 Anm 2: van list te bieden. Item soe wysen die schepenen, dat hy wel lust gebieden mach, gebiet hy lust als recht is. Lust gebieten in Seibertz, Westfäl. UB III 203 v. J. 1500. 14 Unzutreffend ist die von Grimm, RA S 813. 851 Anm aufgenommene Be- merkung L. Maurers, Gerichtsverfahren S 220, daſs sich in Baiern keine Spur von feierlicher Hegung des Gerichtes finde. Wie zahlreiche Weistümer des bairischen Rechtsgebietes darthun, fand auch in Baiern eine feierliche Eröffnung des Gerichtes Binding, Handbuch. II. 1. I: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. I. 10

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/163>, abgerufen am 22.11.2024.