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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 20. Die Gerichtsverfassung.

Die Zahl der Gefolgsleute kann, so lange sie im Hause des
Herrn lebten, nicht sehr erheblich gewesen sein. Nach der Schlacht
bei Strassburg ergaben sich die comites des Alamannenkönigs Chnodo-
mar, um das Schicksal ihres gefangenen Herrn zu teilen. Es waren
ihrer zweihundert41. Mit fünfzehn Gefolgsleuten des Königs Hygelac
zog Beovulf auf Abenteuer aus. Im elften Jahrhundert hat ein
norwegischer König hundert und zwanzig Gefolgsleute, und üble
Nachrede und Murren des Volkes zieht sich einer seiner Nachfolger
zu, als er diese Zahl verdoppelt42. Schon diese Ziffern beweisen,
dass es auf einer Überschätzung beruhte, wenn man die Wanderungen
der Germanen im wesentlichen als Beutezüge abenteuerlustiger Gefolg-
schaften, die Staatengründungen auf römischer Erde als Thaten von
Gefolgsherren dachte, ja sogar den Ursprung mancher deutschen
Völkerschaften auf ein grosses Dienstgefolge zurückführte43. In dem
wissenschaftlichen Kampfe gegen diese jetzt veraltete und sattsam
widerlegte Meinung ist dann eine zu weit gehende Unterschätzung
der Gefolgschaft, eine Verkennung ihrer rechtsgeschichtlichen Be-
deutung eingetreten. Spielt sie in der germanischen Zeit die Rolle
nicht, die man ihr früher zuzuweisen liebte, so hat sie sich doch mit
nichten schon damals ausgelebt, sondern ist nach ihrer friedlichen
Seite hin als Wiege des germanischen Beamtentums, nach ihrer
kriegerischen Seite hin als einer der Keime des Lehnwesens von
massgebendem Einfluss geworden auf die Fortbildung der deutschen
Verfassungsverhältnisse.

§ 20. Die Gerichtsverfassung.

S. die Litteratur zu § 18 und J. Grimm, Rechtsalterthümer S 745 ff. Zöpfl,
Alterthümer des deutschen Reichs u. Rechts I 293, II 441. W. Unger, Altdeutsche
GV, 1842. v. Bethmann-Hollweg, Civilprozess IV 102. W. Sickel, Mittheil.
des österr. Instituts IV 121; Ergänzungsband I 32. Hermann, Über die Entwick-
lung des altdeutschen Schöffengerichts, 1881 in Gierkes Untersuchungen X. Merkel,
Der Judex im bair. Volksrechte, Z f. RG I 131. Beseler, Der Judex im bair.
Volksrechte, Z f. RG IX 244. v. Richthofen, Untersuchungen zur fries. RG
II 457. Konr. Maurer, Das Alter des Gesetzsprecheramts in Norwegen, 1875
(Festgabe für Arndts). v. Amira, KrV XVIII 170. Rich. Schröder, Gesetz-

41 Ammianus Marcellinus 16, 12: comitesque eius ducenti numero et tres
amici iunctissimi flagitium arbitrati post regem vivere vel pro rege non mori, si
ita tulerit casus, tradidere se vinciendos.
42 K. Maurer, KrÜ II 417 Anm 2. S. noch Roth, Beneficialwesen S 29
Anm 137.
43 Eichhorn § 16. 17.
§ 20. Die Gerichtsverfassung.

Die Zahl der Gefolgsleute kann, so lange sie im Hause des
Herrn lebten, nicht sehr erheblich gewesen sein. Nach der Schlacht
bei Straſsburg ergaben sich die comites des Alamannenkönigs Chnodo-
mar, um das Schicksal ihres gefangenen Herrn zu teilen. Es waren
ihrer zweihundert41. Mit fünfzehn Gefolgsleuten des Königs Hygelâc
zog Beóvulf auf Abenteuer aus. Im elften Jahrhundert hat ein
norwegischer König hundert und zwanzig Gefolgsleute, und üble
Nachrede und Murren des Volkes zieht sich einer seiner Nachfolger
zu, als er diese Zahl verdoppelt42. Schon diese Ziffern beweisen,
daſs es auf einer Überschätzung beruhte, wenn man die Wanderungen
der Germanen im wesentlichen als Beutezüge abenteuerlustiger Gefolg-
schaften, die Staatengründungen auf römischer Erde als Thaten von
Gefolgsherren dachte, ja sogar den Ursprung mancher deutschen
Völkerschaften auf ein groſses Dienstgefolge zurückführte43. In dem
wissenschaftlichen Kampfe gegen diese jetzt veraltete und sattsam
widerlegte Meinung ist dann eine zu weit gehende Unterschätzung
der Gefolgschaft, eine Verkennung ihrer rechtsgeschichtlichen Be-
deutung eingetreten. Spielt sie in der germanischen Zeit die Rolle
nicht, die man ihr früher zuzuweisen liebte, so hat sie sich doch mit
nichten schon damals ausgelebt, sondern ist nach ihrer friedlichen
Seite hin als Wiege des germanischen Beamtentums, nach ihrer
kriegerischen Seite hin als einer der Keime des Lehnwesens von
maſsgebendem Einfluſs geworden auf die Fortbildung der deutschen
Verfassungsverhältnisse.

§ 20. Die Gerichtsverfassung.

S. die Litteratur zu § 18 und J. Grimm, Rechtsalterthümer S 745 ff. Zöpfl,
Alterthümer des deutschen Reichs u. Rechts I 293, II 441. W. Unger, Altdeutsche
GV, 1842. v. Bethmann-Hollweg, Civilprozeſs IV 102. W. Sickel, Mittheil.
des österr. Instituts IV 121; Ergänzungsband I 32. Hermann, Über die Entwick-
lung des altdeutschen Schöffengerichts, 1881 in Gierkes Untersuchungen X. Merkel,
Der Judex im bair. Volksrechte, Z f. RG I 131. Beseler, Der Judex im bair.
Volksrechte, Z f. RG IX 244. v. Richthofen, Untersuchungen zur fries. RG
II 457. Konr. Maurer, Das Alter des Gesetzsprecheramts in Norwegen, 1875
(Festgabe für Arndts). v. Amira, KrV XVIII 170. Rich. Schröder, Gesetz-

41 Ammianus Marcellinus 16, 12: comitesque eius ducenti numero et tres
amici iunctissimi flagitium arbitrati post regem vivere vel pro rege non mori, si
ita tulerit casus, tradidere se vinciendos.
42 K. Maurer, KrÜ II 417 Anm 2. S. noch Roth, Beneficialwesen S 29
Anm 137.
43 Eichhorn § 16. 17.
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[143/0161] § 20. Die Gerichtsverfassung. Die Zahl der Gefolgsleute kann, so lange sie im Hause des Herrn lebten, nicht sehr erheblich gewesen sein. Nach der Schlacht bei Straſsburg ergaben sich die comites des Alamannenkönigs Chnodo- mar, um das Schicksal ihres gefangenen Herrn zu teilen. Es waren ihrer zweihundert 41. Mit fünfzehn Gefolgsleuten des Königs Hygelâc zog Beóvulf auf Abenteuer aus. Im elften Jahrhundert hat ein norwegischer König hundert und zwanzig Gefolgsleute, und üble Nachrede und Murren des Volkes zieht sich einer seiner Nachfolger zu, als er diese Zahl verdoppelt 42. Schon diese Ziffern beweisen, daſs es auf einer Überschätzung beruhte, wenn man die Wanderungen der Germanen im wesentlichen als Beutezüge abenteuerlustiger Gefolg- schaften, die Staatengründungen auf römischer Erde als Thaten von Gefolgsherren dachte, ja sogar den Ursprung mancher deutschen Völkerschaften auf ein groſses Dienstgefolge zurückführte 43. In dem wissenschaftlichen Kampfe gegen diese jetzt veraltete und sattsam widerlegte Meinung ist dann eine zu weit gehende Unterschätzung der Gefolgschaft, eine Verkennung ihrer rechtsgeschichtlichen Be- deutung eingetreten. Spielt sie in der germanischen Zeit die Rolle nicht, die man ihr früher zuzuweisen liebte, so hat sie sich doch mit nichten schon damals ausgelebt, sondern ist nach ihrer friedlichen Seite hin als Wiege des germanischen Beamtentums, nach ihrer kriegerischen Seite hin als einer der Keime des Lehnwesens von maſsgebendem Einfluſs geworden auf die Fortbildung der deutschen Verfassungsverhältnisse. § 20. Die Gerichtsverfassung. S. die Litteratur zu § 18 und J. Grimm, Rechtsalterthümer S 745 ff. Zöpfl, Alterthümer des deutschen Reichs u. Rechts I 293, II 441. W. Unger, Altdeutsche GV, 1842. v. Bethmann-Hollweg, Civilprozeſs IV 102. W. Sickel, Mittheil. des österr. Instituts IV 121; Ergänzungsband I 32. Hermann, Über die Entwick- lung des altdeutschen Schöffengerichts, 1881 in Gierkes Untersuchungen X. Merkel, Der Judex im bair. Volksrechte, Z f. RG I 131. Beseler, Der Judex im bair. Volksrechte, Z f. RG IX 244. v. Richthofen, Untersuchungen zur fries. RG II 457. Konr. Maurer, Das Alter des Gesetzsprecheramts in Norwegen, 1875 (Festgabe für Arndts). v. Amira, KrV XVIII 170. Rich. Schröder, Gesetz- 41 Ammianus Marcellinus 16, 12: comitesque eius ducenti numero et tres amici iunctissimi flagitium arbitrati post regem vivere vel pro rege non mori, si ita tulerit casus, tradidere se vinciendos. 42 K. Maurer, KrÜ II 417 Anm 2. S. noch Roth, Beneficialwesen S 29 Anm 137. 43 Eichhorn § 16. 17.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/161>, abgerufen am 23.11.2024.