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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 17. Königtum und Fürstentum.
Königreiche, in welchen trotz uralten Königtums neben dem Volks-
frieden ein besonderer Königsfriede in historischer Zeit nur langsam
Boden gewann 25. Von den Königen und von Fürsten wird uns
ferner in gleicher Weise berichtet, dass sie sich durch eine eigen-
tümliche Haartracht auszeichneten. Bei den principes der suebischen
Völkerschaften hebt Tacitus den besonderen Haarschmuck hervor 26.
Wallendes Haupthaar ist ein Merkmal der fränkischen Könige aus
dem Hause der Merowinger. Auch die westgotischen und burgundi-
schen Könige scheinen es getragen zu haben 27. Aus der Haartracht
erklärt man den Namen des vandalischen Königsgeschlechtes, der
Astingen 28. Auf dieselbe Wurzel führt das Wort hartpuri, hard-
buri zurück, welches im altsächsischen Heliand für Obrigkeit ge-
braucht, in althochdeutschen Glossen mit magistratus wiedergegeben
wird 29. Wie die Gewalt der Fürsten ist auch die des Königs eine
beschränkte. Ihre Schranke bildet der Wille des in der Landes-
gemeinde versammelten Volkes. Allgemein darf für die Germanen
angenommen werden, was später von den Schweden berichtet wird:
reges habent, quorum tamen vis pendet in populi sententia 30. Trotz-
dem konnte eine kraftvolle Persönlichkeit, die den Willen des Volkes
zu lenken verstand, sich als Herrscher zur Geltung bringen und wenn
der Erfolg ihr treu blieb, die gewonnene Machtfülle auf die Dauer
behaupten. Andererseits sind aber in der Geschichte des germani-
schen Königtums die Fälle nicht selten, in welchen ein König, der
dem Willen des Volkes zuwiderhandelte, abgesetzt, verjagt oder er-
schlagen wurde 31. Die Burgunder pflegten ihre Könige abzusetzen,
wenn Kriegsunglück oder Misswachs eintraten. Von Sachsen und
Schweden geht die Sage, dass erstere ihre Fürsten wegen Kriegs-
unglück, letztere ihre Könige bei Hungersnot den Göttern opferten 32.

Mit Rücksicht auf den gleichartigen Inhalt der Königs- und

25 Lehmann, Königsfriede.
26 Germ. c. 38.
27 Jahn, Burgundionen I 75 f.
28 Soviel wie capillati. Grimm, Gesch. d. d. Spr. S 314 (448) und Deutsche
Mythologie I2 316. 317. 321.
29 Heliand 4217. Ahd. Gl. I 207, 12. In einem handschr. Nachtrage zu RA
S 753 verweist J. Grimm auf den Eigennamen Ardaburius. So hiessen Vater und
Sohn des Goten und oströmischen Patriziers Aspar.
30 Adam von Bremen IV 22: Mon. Germ. SS VII 377.
31 Gierke, Genossensch. I 51; Waitz I 322 f.
32 Jahn, Burgundionen I 81 Anm 3; Grimm, RA S 231; K. Maurer, Be-
kehrung des norwegischen Stammes II 197.

§ 17. Königtum und Fürstentum.
Königreiche, in welchen trotz uralten Königtums neben dem Volks-
frieden ein besonderer Königsfriede in historischer Zeit nur langsam
Boden gewann 25. Von den Königen und von Fürsten wird uns
ferner in gleicher Weise berichtet, daſs sie sich durch eine eigen-
tümliche Haartracht auszeichneten. Bei den principes der suebischen
Völkerschaften hebt Tacitus den besonderen Haarschmuck hervor 26.
Wallendes Haupthaar ist ein Merkmal der fränkischen Könige aus
dem Hause der Merowinger. Auch die westgotischen und burgundi-
schen Könige scheinen es getragen zu haben 27. Aus der Haartracht
erklärt man den Namen des vandalischen Königsgeschlechtes, der
Astingen 28. Auf dieselbe Wurzel führt das Wort hartpuri, hard-
buri zurück, welches im altsächsischen Heliand für Obrigkeit ge-
braucht, in althochdeutschen Glossen mit magistratus wiedergegeben
wird 29. Wie die Gewalt der Fürsten ist auch die des Königs eine
beschränkte. Ihre Schranke bildet der Wille des in der Landes-
gemeinde versammelten Volkes. Allgemein darf für die Germanen
angenommen werden, was später von den Schweden berichtet wird:
reges habent, quorum tamen vis pendet in populi sententia 30. Trotz-
dem konnte eine kraftvolle Persönlichkeit, die den Willen des Volkes
zu lenken verstand, sich als Herrscher zur Geltung bringen und wenn
der Erfolg ihr treu blieb, die gewonnene Machtfülle auf die Dauer
behaupten. Andererseits sind aber in der Geschichte des germani-
schen Königtums die Fälle nicht selten, in welchen ein König, der
dem Willen des Volkes zuwiderhandelte, abgesetzt, verjagt oder er-
schlagen wurde 31. Die Burgunder pflegten ihre Könige abzusetzen,
wenn Kriegsunglück oder Miſswachs eintraten. Von Sachsen und
Schweden geht die Sage, daſs erstere ihre Fürsten wegen Kriegs-
unglück, letztere ihre Könige bei Hungersnot den Göttern opferten 32.

Mit Rücksicht auf den gleichartigen Inhalt der Königs- und

25 Lehmann, Königsfriede.
26 Germ. c. 38.
27 Jahn, Burgundionen I 75 f.
28 Soviel wie capillati. Grimm, Gesch. d. d. Spr. S 314 (448) und Deutsche
Mythologie I2 316. 317. 321.
29 Heliand 4217. Ahd. Gl. I 207, 12. In einem handschr. Nachtrage zu RA
S 753 verweist J. Grimm auf den Eigennamen Ardaburius. So hieſsen Vater und
Sohn des Goten und oströmischen Patriziers Aspar.
30 Adam von Bremen IV 22: Mon. Germ. SS VII 377.
31 Gierke, Genossensch. I 51; Waitz I 322 f.
32 Jahn, Burgundionen I 81 Anm 3; Grimm, RA S 231; K. Maurer, Be-
kehrung des norwegischen Stammes II 197.
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[124/0142] § 17. Königtum und Fürstentum. Königreiche, in welchen trotz uralten Königtums neben dem Volks- frieden ein besonderer Königsfriede in historischer Zeit nur langsam Boden gewann 25. Von den Königen und von Fürsten wird uns ferner in gleicher Weise berichtet, daſs sie sich durch eine eigen- tümliche Haartracht auszeichneten. Bei den principes der suebischen Völkerschaften hebt Tacitus den besonderen Haarschmuck hervor 26. Wallendes Haupthaar ist ein Merkmal der fränkischen Könige aus dem Hause der Merowinger. Auch die westgotischen und burgundi- schen Könige scheinen es getragen zu haben 27. Aus der Haartracht erklärt man den Namen des vandalischen Königsgeschlechtes, der Astingen 28. Auf dieselbe Wurzel führt das Wort hartpuri, hard- buri zurück, welches im altsächsischen Heliand für Obrigkeit ge- braucht, in althochdeutschen Glossen mit magistratus wiedergegeben wird 29. Wie die Gewalt der Fürsten ist auch die des Königs eine beschränkte. Ihre Schranke bildet der Wille des in der Landes- gemeinde versammelten Volkes. Allgemein darf für die Germanen angenommen werden, was später von den Schweden berichtet wird: reges habent, quorum tamen vis pendet in populi sententia 30. Trotz- dem konnte eine kraftvolle Persönlichkeit, die den Willen des Volkes zu lenken verstand, sich als Herrscher zur Geltung bringen und wenn der Erfolg ihr treu blieb, die gewonnene Machtfülle auf die Dauer behaupten. Andererseits sind aber in der Geschichte des germani- schen Königtums die Fälle nicht selten, in welchen ein König, der dem Willen des Volkes zuwiderhandelte, abgesetzt, verjagt oder er- schlagen wurde 31. Die Burgunder pflegten ihre Könige abzusetzen, wenn Kriegsunglück oder Miſswachs eintraten. Von Sachsen und Schweden geht die Sage, daſs erstere ihre Fürsten wegen Kriegs- unglück, letztere ihre Könige bei Hungersnot den Göttern opferten 32. Mit Rücksicht auf den gleichartigen Inhalt der Königs- und 25 Lehmann, Königsfriede. 26 Germ. c. 38. 27 Jahn, Burgundionen I 75 f. 28 Soviel wie capillati. Grimm, Gesch. d. d. Spr. S 314 (448) und Deutsche Mythologie I2 316. 317. 321. 29 Heliand 4217. Ahd. Gl. I 207, 12. In einem handschr. Nachtrage zu RA S 753 verweist J. Grimm auf den Eigennamen Ardaburius. So hieſsen Vater und Sohn des Goten und oströmischen Patriziers Aspar. 30 Adam von Bremen IV 22: Mon. Germ. SS VII 377. 31 Gierke, Genossensch. I 51; Waitz I 322 f. 32 Jahn, Burgundionen I 81 Anm 3; Grimm, RA S 231; K. Maurer, Be- kehrung des norwegischen Stammes II 197.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/142>, abgerufen am 27.11.2024.