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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 14. Die Stände.
der germanischen servi beeinflusst haben. Dass aber das Institut der
Liten und Aldien ein uraltes war und jedenfalls in die germanische
Zeit zurückreicht, beweist nicht nur ihr Vorkommen in den deutschen
Stammesrechten der fränkischen Periode, sondern insbesondere die seit
dem dritten Jahrhundert nachweisbare Verwendung litischer Truppen-
körper im römischen Kriegsdienst, wovon bereits oben Seite 35 ge-
handelt worden ist. Überrheinischen, hauptsächlich fränkischen Ur-
sprungs erhielten diese zum Kriegsdienst und zum Landbau verpflich-
teten und der Freizügigkeit darbenden Germanenhaufen den Namen,
welcher in der Heimat eine zwar nicht in Knechtschaft aber auch
nicht in Freiheit lebende, eine botmässige und dienstpflichtige Bevöl-
kerung bezeichnete51.

Unter den Freien ragen als eine höhere Klasse derselben die
Adeligen hervor. Die römischen Schriftsteller bezeichnen sie als nobiles,
geben aber über das Wesen des germanischen Adels nur dürftige Aus-
kunft. In einer viel besprochenen Stelle sagt Tacitus, dass die Germanen
bei der Wahl der Könige auf die adelige Abstammung, bei der Wahl
der Herzoge auf die persönliche Tüchtigkeit zu sehen pflegen52. Was
sonst noch von den nobiles berichtet wird, läuft im wesentlichen
darauf hinaus, dass adelige Geburt höheres Ansehen und herkömm-
lichen Einfluss gewährte, dass vorzugsweise die adelige Jugend sich
kriegerischen Abenteuern widmete, dass die Stellung adeliger Geiseln
eine grössere Bürgschaft der Treue gewährte und dass der Adelige ob
nobilitatem manchmal mehrere Frauen hatte. Als sehr zahlreich
kann der Adel bei den Germanen nicht gedacht werden. Den Adel
der Cherusker haben nach dem Tode Armins innere Zwistigkeiten
nahezu vollständig ausgerottet, so dass das Volk sich veranlasst sah,
den Italicus als einzigen Sprossen der stirps regia aus Italien zu
holen und zum König zu erheben53.

Nach der Völkerwanderung tritt uns bei den meisten deutschen
Stämmen der Adel54 als ein Geburtsstand entgegen, der vor den

51 Giraud, Essai sur l'hist. du droit francais I 186 f. Die römischen Quellen
schreiben laeti und leti. Laetus haben auch alte Texte der lex Salica, z. B. Cod. 1
in 35, 5. Die Beweisbrücke für den Zusammenhang der römischen laeti und der
fränkischen liti liefert die Vergleichung der Konstitution des Severus von 465 bei
Bluhme, LL III 624 mit dem burgundischen Papian tit. 46, wo die leti jener
Konstitution durch den litus ersetzt werden.
52 Germ. c. 7: reges ex nobilitate, duces ex virtute sumunt.
53 Tacitus, Annalen XI 16.
54 Ahd. adal bedeutet Geschlecht, edles Geschlecht. In einer flandrischen
Rechtsquelle von 1268, nämlich in der Keure für Sleidinghe und Desseldone § 35,

§ 14. Die Stände.
der germanischen servi beeinfluſst haben. Daſs aber das Institut der
Liten und Aldien ein uraltes war und jedenfalls in die germanische
Zeit zurückreicht, beweist nicht nur ihr Vorkommen in den deutschen
Stammesrechten der fränkischen Periode, sondern insbesondere die seit
dem dritten Jahrhundert nachweisbare Verwendung litischer Truppen-
körper im römischen Kriegsdienst, wovon bereits oben Seite 35 ge-
handelt worden ist. Überrheinischen, hauptsächlich fränkischen Ur-
sprungs erhielten diese zum Kriegsdienst und zum Landbau verpflich-
teten und der Freizügigkeit darbenden Germanenhaufen den Namen,
welcher in der Heimat eine zwar nicht in Knechtschaft aber auch
nicht in Freiheit lebende, eine botmäſsige und dienstpflichtige Bevöl-
kerung bezeichnete51.

Unter den Freien ragen als eine höhere Klasse derselben die
Adeligen hervor. Die römischen Schriftsteller bezeichnen sie als nobiles,
geben aber über das Wesen des germanischen Adels nur dürftige Aus-
kunft. In einer viel besprochenen Stelle sagt Tacitus, daſs die Germanen
bei der Wahl der Könige auf die adelige Abstammung, bei der Wahl
der Herzoge auf die persönliche Tüchtigkeit zu sehen pflegen52. Was
sonst noch von den nobiles berichtet wird, läuft im wesentlichen
darauf hinaus, daſs adelige Geburt höheres Ansehen und herkömm-
lichen Einfluſs gewährte, daſs vorzugsweise die adelige Jugend sich
kriegerischen Abenteuern widmete, daſs die Stellung adeliger Geiseln
eine gröſsere Bürgschaft der Treue gewährte und daſs der Adelige ob
nobilitatem manchmal mehrere Frauen hatte. Als sehr zahlreich
kann der Adel bei den Germanen nicht gedacht werden. Den Adel
der Cherusker haben nach dem Tode Armins innere Zwistigkeiten
nahezu vollständig ausgerottet, so daſs das Volk sich veranlaſst sah,
den Italicus als einzigen Sprossen der stirps regia aus Italien zu
holen und zum König zu erheben53.

Nach der Völkerwanderung tritt uns bei den meisten deutschen
Stämmen der Adel54 als ein Geburtsstand entgegen, der vor den

51 Giraud, Essai sur l’hist. du droit français I 186 f. Die römischen Quellen
schreiben laeti und leti. Laetus haben auch alte Texte der lex Salica, z. B. Cod. 1
in 35, 5. Die Beweisbrücke für den Zusammenhang der römischen laeti und der
fränkischen liti liefert die Vergleichung der Konstitution des Severus von 465 bei
Bluhme, LL III 624 mit dem burgundischen Papian tit. 46, wo die leti jener
Konstitution durch den litus ersetzt werden.
52 Germ. c. 7: reges ex nobilitate, duces ex virtute sumunt.
53 Tacitus, Annalen XI 16.
54 Ahd. adal bedeutet Geschlecht, edles Geschlecht. In einer flandrischen
Rechtsquelle von 1268, nämlich in der Keure für Sleidinghe und Desseldone § 35,
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[104/0122] § 14. Die Stände. der germanischen servi beeinfluſst haben. Daſs aber das Institut der Liten und Aldien ein uraltes war und jedenfalls in die germanische Zeit zurückreicht, beweist nicht nur ihr Vorkommen in den deutschen Stammesrechten der fränkischen Periode, sondern insbesondere die seit dem dritten Jahrhundert nachweisbare Verwendung litischer Truppen- körper im römischen Kriegsdienst, wovon bereits oben Seite 35 ge- handelt worden ist. Überrheinischen, hauptsächlich fränkischen Ur- sprungs erhielten diese zum Kriegsdienst und zum Landbau verpflich- teten und der Freizügigkeit darbenden Germanenhaufen den Namen, welcher in der Heimat eine zwar nicht in Knechtschaft aber auch nicht in Freiheit lebende, eine botmäſsige und dienstpflichtige Bevöl- kerung bezeichnete 51. Unter den Freien ragen als eine höhere Klasse derselben die Adeligen hervor. Die römischen Schriftsteller bezeichnen sie als nobiles, geben aber über das Wesen des germanischen Adels nur dürftige Aus- kunft. In einer viel besprochenen Stelle sagt Tacitus, daſs die Germanen bei der Wahl der Könige auf die adelige Abstammung, bei der Wahl der Herzoge auf die persönliche Tüchtigkeit zu sehen pflegen 52. Was sonst noch von den nobiles berichtet wird, läuft im wesentlichen darauf hinaus, daſs adelige Geburt höheres Ansehen und herkömm- lichen Einfluſs gewährte, daſs vorzugsweise die adelige Jugend sich kriegerischen Abenteuern widmete, daſs die Stellung adeliger Geiseln eine gröſsere Bürgschaft der Treue gewährte und daſs der Adelige ob nobilitatem manchmal mehrere Frauen hatte. Als sehr zahlreich kann der Adel bei den Germanen nicht gedacht werden. Den Adel der Cherusker haben nach dem Tode Armins innere Zwistigkeiten nahezu vollständig ausgerottet, so daſs das Volk sich veranlaſst sah, den Italicus als einzigen Sprossen der stirps regia aus Italien zu holen und zum König zu erheben 53. Nach der Völkerwanderung tritt uns bei den meisten deutschen Stämmen der Adel 54 als ein Geburtsstand entgegen, der vor den 51 Giraud, Essai sur l’hist. du droit français I 186 f. Die römischen Quellen schreiben laeti und leti. Laetus haben auch alte Texte der lex Salica, z. B. Cod. 1 in 35, 5. Die Beweisbrücke für den Zusammenhang der römischen laeti und der fränkischen liti liefert die Vergleichung der Konstitution des Severus von 465 bei Bluhme, LL III 624 mit dem burgundischen Papian tit. 46, wo die leti jener Konstitution durch den litus ersetzt werden. 52 Germ. c. 7: reges ex nobilitate, duces ex virtute sumunt. 53 Tacitus, Annalen XI 16. 54 Ahd. adal bedeutet Geschlecht, edles Geschlecht. In einer flandrischen Rechtsquelle von 1268, nämlich in der Keure für Sleidinghe und Desseldone § 35,

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/122>, abgerufen am 24.11.2024.