Die Kunst des Gemmenschneidens nimmt im Verhältniss zur Sculptur und Malerei einen untergeordneten Rang ein, es fehlt ihr der monumentale Charakter. Ein Theil ihrer Er- zeugnisse, die erhaben geschnittenen Steine, die Cameen, die- nen dem Schmuck und dem Luxus, ein anderer, die vertieft geschnittenen, wenigstens der grösseren Masse nach einem praktischen Gebrauche, nämlich zum Siegeln. Die Kleinheit des Maassstabes verbunden mit der Schwierigkeit und Lang- wierigkeit der Technik scheinen der freien Entfaltung des künstlerischen Genius Fesseln anzulegen und den Künstler aufzufordern, seinen Ruhm mehr in der Ausführung als in der Erfindung zu suchen. Aus diesen Umständen erklärt es sich zur Genüge, dass in alter, wie in neuerer Zeit, die Gem- menschneider nur ausnahmsweise zu einem ausgebreiteten künstlerischen Ruhme gelangt sind. Die wenigen, in den schriftlichen Nachrichten des Alterthums überlieferten Namen genügen aber nicht einmal die Hauptpunkte einer Geschichte der Steinschneider festzustellen. Es fragt sich daher, ob sich diese Lücke auf anderem Wege ausfüllen lässt, nämlich durch die Betrachtung derjenigen Werke, welche den Namen ihrer Urheber tragen. Dass es der Wissenschaft obliegt, den Versuch zu machen, auch wenn nur geringe Aussicht für einen günstigen Erfolg vorhanden wäre, kann keinem Zweifel unterworfen sein. In dem vorliegenden Falle jedoch muss, ehe dieser Versuch unternommen werden darf, eine Vorbedingung erfüllt, nämlich das Material zu einer histori- schen Bearbeitung erst vorbereitet, ja gewissermaassen erst gewonnen werden, gleich dem Metall, das in den Erzen vor-
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Einleitung.
Die Kunst des Gemmenschneidens nimmt im Verhältniss zur Sculptur und Malerei einen untergeordneten Rang ein, es fehlt ihr der monumentale Charakter. Ein Theil ihrer Er- zeugnisse, die erhaben geschnittenen Steine, die Cameen, die- nen dem Schmuck und dem Luxus, ein anderer, die vertieft geschnittenen, wenigstens der grösseren Masse nach einem praktischen Gebrauche, nämlich zum Siegeln. Die Kleinheit des Maassstabes verbunden mit der Schwierigkeit und Lang- wierigkeit der Technik scheinen der freien Entfaltung des künstlerischen Genius Fesseln anzulegen und den Künstler aufzufordern, seinen Ruhm mehr in der Ausführung als in der Erfindung zu suchen. Aus diesen Umständen erklärt es sich zur Genüge, dass in alter, wie in neuerer Zeit, die Gem- menschneider nur ausnahmsweise zu einem ausgebreiteten künstlerischen Ruhme gelangt sind. Die wenigen, in den schriftlichen Nachrichten des Alterthums überlieferten Namen genügen aber nicht einmal die Hauptpunkte einer Geschichte der Steinschneider festzustellen. Es fragt sich daher, ob sich diese Lücke auf anderem Wege ausfüllen lässt, nämlich durch die Betrachtung derjenigen Werke, welche den Namen ihrer Urheber tragen. Dass es der Wissenschaft obliegt, den Versuch zu machen, auch wenn nur geringe Aussicht für einen günstigen Erfolg vorhanden wäre, kann keinem Zweifel unterworfen sein. In dem vorliegenden Falle jedoch muss, ehe dieser Versuch unternommen werden darf, eine Vorbedingung erfüllt, nämlich das Material zu einer histori- schen Bearbeitung erst vorbereitet, ja gewissermaassen erst gewonnen werden, gleich dem Metall, das in den Erzen vor-
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Einleitung.
Die Kunst des Gemmenschneidens nimmt im Verhältniss zur
Sculptur und Malerei einen untergeordneten Rang ein, es
fehlt ihr der monumentale Charakter. Ein Theil ihrer Er-
zeugnisse, die erhaben geschnittenen Steine, die Cameen, die-
nen dem Schmuck und dem Luxus, ein anderer, die vertieft
geschnittenen, wenigstens der grösseren Masse nach einem
praktischen Gebrauche, nämlich zum Siegeln. Die Kleinheit
des Maassstabes verbunden mit der Schwierigkeit und Lang-
wierigkeit der Technik scheinen der freien Entfaltung des
künstlerischen Genius Fesseln anzulegen und den Künstler
aufzufordern, seinen Ruhm mehr in der Ausführung als in
der Erfindung zu suchen. Aus diesen Umständen erklärt es
sich zur Genüge, dass in alter, wie in neuerer Zeit, die Gem-
menschneider nur ausnahmsweise zu einem ausgebreiteten
künstlerischen Ruhme gelangt sind. Die wenigen, in den
schriftlichen Nachrichten des Alterthums überlieferten Namen
genügen aber nicht einmal die Hauptpunkte einer Geschichte
der Steinschneider festzustellen. Es fragt sich daher, ob
sich diese Lücke auf anderem Wege ausfüllen lässt, nämlich
durch die Betrachtung derjenigen Werke, welche den Namen
ihrer Urheber tragen. Dass es der Wissenschaft obliegt,
den Versuch zu machen, auch wenn nur geringe Aussicht
für einen günstigen Erfolg vorhanden wäre, kann keinem
Zweifel unterworfen sein. In dem vorliegenden Falle jedoch
muss, ehe dieser Versuch unternommen werden darf, eine
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Der zweite Band der "Geschichte der griechischen … [mehr]
Der zweite Band der "Geschichte der griechischen Künstler" von Heinrich von Brunn enthält ebenfalls den "Zweiten Teil der ersten Abteilung", die im Deutschen Textarchiv als eigenständiges Werk verzeichnet ist.
Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859, S. [443]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen02_1859/460>, abgerufen am 24.11.2024.
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