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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859.

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auch die Individualität des Architekten seinem Werke gegen-
über weit mehr zurücktreten, als die des Malers und Bild-
hauers, welche aus der Beobachtung und Auffassung jedes
einzelnen Zuges der Wirklichkeit hervorleuchten darf. Diese
flüchtigen Bemerkungen sollen natürlich das Verhältniss der
verschiedenen Künstler zu einander keineswegs erschöpfend
darlegen; doch werden sie immer genügen, um uns in dem
besonderen Charakter der Ueberlieferungen über die einen
und die andern nicht mehr ein blosses Spiel des Zufalls er-
kennen zu lassen, welcher gerade bei den Architekten min-
der günstig uns eine grössere Fülle von Nachrichten vorent-
halten habe. Ihre Bestätigung findet diese Ansicht schon
darin, dass es keineswegs der Mangel berühmter Namen ist,
welcher uns Verlegenheit bereitet: gerade die Urheber der
berühmtesten Bauwerke sind uns meistens dem Namen nach
bekannt; und die noch erhaltenen Ruinen bieten häufig sogar
die Möglichkeit einer weit unmittelbareren Anschauung ihrer
Wirksamkeit, als dies bei den Malern und Bildhauern der
Fall ist, von denen oft nur Copien auf uns gekommen sind.
Was uns fehlt, das sind die Nachrichten über die Individuali-
tät, die künstlerische Eigenthümlichkeit dieser Meister, so-
wohl für sich betrachtet, als in ihrem Verhältniss zu Vor-
gängern, Zeitgenossen und Nachfolgern; und dieses Fehlen
ist ein so durchgängiges und allgemeines, dass es seine voll-
ständige Erklärung erst durch das Zusammentreffen äusserer
Umstände und der oben angedeuteten inneren Verhältnisse
zu finden vermag. Diese letzteren aber haben ihre Wirkung
noch bis auf den heutigen Tag nicht verloren: die neuere
Wissenschaft hat in ihren Forschungen über alte Architektur
ihr Augenmerk vorzugsweise und fast ausschliesslich dem
systematischen Theile zugewendet. Sie hat nach den Geset-
zen und Principien der verschiedenen Bauordnungen ge-
forscht, unbekümmert um die Persönlichkeiten, welche die-
selben zuerst festgestellt haben. Wenn nun aber die Unter-
suchung des historischen Entwickelungsganges die nothwen-
dige Ergänzung hierzu bildet, so wird doch auch diese zu-
vörderst wieder von den Monumenten selbst auszugehen ha-
ben; und erst zuletzt, wenn die sachliche Ergründung zu
einer gewissen Reife gediehen ist, wird es sich als Schluss-
aufgabe herausstellen, in den einzelnen Werken auch das

auch die Individualität des Architekten seinem Werke gegen-
über weit mehr zurücktreten, als die des Malers und Bild-
hauers, welche aus der Beobachtung und Auffassung jedes
einzelnen Zuges der Wirklichkeit hervorleuchten darf. Diese
flüchtigen Bemerkungen sollen natürlich das Verhältniss der
verschiedenen Künstler zu einander keineswegs erschöpfend
darlegen; doch werden sie immer genügen, um uns in dem
besonderen Charakter der Ueberlieferungen über die einen
und die andern nicht mehr ein blosses Spiel des Zufalls er-
kennen zu lassen, welcher gerade bei den Architekten min-
der günstig uns eine grössere Fülle von Nachrichten vorent-
halten habe. Ihre Bestätigung findet diese Ansicht schon
darin, dass es keineswegs der Mangel berühmter Namen ist,
welcher uns Verlegenheit bereitet: gerade die Urheber der
berühmtesten Bauwerke sind uns meistens dem Namen nach
bekannt; und die noch erhaltenen Ruinen bieten häufig sogar
die Möglichkeit einer weit unmittelbareren Anschauung ihrer
Wirksamkeit, als dies bei den Malern und Bildhauern der
Fall ist, von denen oft nur Copien auf uns gekommen sind.
Was uns fehlt, das sind die Nachrichten über die Individuali-
tät, die künstlerische Eigenthümlichkeit dieser Meister, so-
wohl für sich betrachtet, als in ihrem Verhältniss zu Vor-
gängern, Zeitgenossen und Nachfolgern; und dieses Fehlen
ist ein so durchgängiges und allgemeines, dass es seine voll-
ständige Erklärung erst durch das Zusammentreffen äusserer
Umstände und der oben angedeuteten inneren Verhältnisse
zu finden vermag. Diese letzteren aber haben ihre Wirkung
noch bis auf den heutigen Tag nicht verloren: die neuere
Wissenschaft hat in ihren Forschungen über alte Architektur
ihr Augenmerk vorzugsweise und fast ausschliesslich dem
systematischen Theile zugewendet. Sie hat nach den Geset-
zen und Principien der verschiedenen Bauordnungen ge-
forscht, unbekümmert um die Persönlichkeiten, welche die-
selben zuerst festgestellt haben. Wenn nun aber die Unter-
suchung des historischen Entwickelungsganges die nothwen-
dige Ergänzung hierzu bildet, so wird doch auch diese zu-
vörderst wieder von den Monumenten selbst auszugehen ha-
ben; und erst zuletzt, wenn die sachliche Ergründung zu
einer gewissen Reife gediehen ist, wird es sich als Schluss-
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[320/0337] auch die Individualität des Architekten seinem Werke gegen- über weit mehr zurücktreten, als die des Malers und Bild- hauers, welche aus der Beobachtung und Auffassung jedes einzelnen Zuges der Wirklichkeit hervorleuchten darf. Diese flüchtigen Bemerkungen sollen natürlich das Verhältniss der verschiedenen Künstler zu einander keineswegs erschöpfend darlegen; doch werden sie immer genügen, um uns in dem besonderen Charakter der Ueberlieferungen über die einen und die andern nicht mehr ein blosses Spiel des Zufalls er- kennen zu lassen, welcher gerade bei den Architekten min- der günstig uns eine grössere Fülle von Nachrichten vorent- halten habe. Ihre Bestätigung findet diese Ansicht schon darin, dass es keineswegs der Mangel berühmter Namen ist, welcher uns Verlegenheit bereitet: gerade die Urheber der berühmtesten Bauwerke sind uns meistens dem Namen nach bekannt; und die noch erhaltenen Ruinen bieten häufig sogar die Möglichkeit einer weit unmittelbareren Anschauung ihrer Wirksamkeit, als dies bei den Malern und Bildhauern der Fall ist, von denen oft nur Copien auf uns gekommen sind. Was uns fehlt, das sind die Nachrichten über die Individuali- tät, die künstlerische Eigenthümlichkeit dieser Meister, so- wohl für sich betrachtet, als in ihrem Verhältniss zu Vor- gängern, Zeitgenossen und Nachfolgern; und dieses Fehlen ist ein so durchgängiges und allgemeines, dass es seine voll- ständige Erklärung erst durch das Zusammentreffen äusserer Umstände und der oben angedeuteten inneren Verhältnisse zu finden vermag. Diese letzteren aber haben ihre Wirkung noch bis auf den heutigen Tag nicht verloren: die neuere Wissenschaft hat in ihren Forschungen über alte Architektur ihr Augenmerk vorzugsweise und fast ausschliesslich dem systematischen Theile zugewendet. Sie hat nach den Geset- zen und Principien der verschiedenen Bauordnungen ge- forscht, unbekümmert um die Persönlichkeiten, welche die- selben zuerst festgestellt haben. Wenn nun aber die Unter- suchung des historischen Entwickelungsganges die nothwen- dige Ergänzung hierzu bildet, so wird doch auch diese zu- vörderst wieder von den Monumenten selbst auszugehen ha- ben; und erst zuletzt, wenn die sachliche Ergründung zu einer gewissen Reife gediehen ist, wird es sich als Schluss- aufgabe herausstellen, in den einzelnen Werken auch das

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen02_1859/337>, abgerufen am 24.11.2024.