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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859.

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gemalt hatte." So berichtet Harpokration, und nach ihm
Suidas und Photius1) aus der Rede Lykurg's [fremdsprachliches Material - fehlt];
und daraus erklärt es sich, weshalb Theophrast bei Plinius2)
den Polygnot Athener nennen konnte, während er auch ander-
wärts immer Thasier heisst. -- Ueber die Zeit seiner Thätig-
keit bemerkt Plinius3) nur allgemein, dass sie vor Ol. 90 zu
setzen sei. Doch stehen uns ausserdem andere weit bestimm-
tere Angaben zu Gebote. So werden wir zuerst durch den
Umstand, dass für das eine Bild in der Lesche zu Delphi
Simonides die Inschrift dichtete, mindestens bis auf Ol. 78, 2,
das Todesjahr des Dichters, zurückgeführt. Ja, da Simonides
schon Ol. 75, 4 nach Sicilien ging, ohne von dort wieder nach
Griechenland zurückzukehren, so hat Letronne4) daraus so-
gar folgern wollen, dass die delphischen Gemälde selbst vor
diesen Zeitpunkt zu setzen seien. Doch ist zur Abfassung des
Epigrammes die Gegenwart des Dichters in Delphi nicht
nothwendig vorauszusetzen. Immer aber mag die Thätigkeit
des Polygnot bald nach den Perserkriegen begonnen haben
und das delphische Gemälde eines seiner ersten umfangreichen
Werke gewesen sein, durch welches sich sein Ruhm über
ganz Griechenland verbreitete und die Aufmerksamkeit des
Kimon auf die Person des Künstlers gelenkt wurde. Denn
mit der Staatsverwaltung des Kimon hängt die Thätigkeit des
Polygnot in Athen auf das Engste zusammen; und der Künst-
ler scheint zu dem Staatsmanne in einem ähnlichen Verhält-
nisse gestanden zu haben, wie Phidias zu Perikles. In wel-
chem Jahre er nach Athen gekommen sei, darüber mangeln
freilich positive Angaben. Doch verdienen vor allem zwei
Zeitpunkte in Betracht gezogen zu werden: die nemlich,
welche uns durch die Gegenwart des Kimon in der Heimath
des Künstlers gegeben sind. Ol. 77, 2 führte Kimon die Ge-
beine des Theseus von Thasos nach Athen; Ol. 79, 2 unter-
jochte er diese von den Athenern abgefallene Insel aufs
Neue5). Da nun aber die Versetzung der Gebeine den Bau
des Theseustempels zur unmittelbaren Folge hatte, und Po-
lygnot zu dessen Ausschmückung mit Gemälden thätig war,
so bietet sich uns von selbst die Annahme dar, dass Kimon

1) s. v. [fremdsprachliches Material - fehlt].
2) 7, 205.
3) 35, 58.
4) Lettres d'un
antiquaire a un artiste, p. 452.
5) Vgl. Clinton fasti s. a.

gemalt hatte.‟ So berichtet Harpokration, und nach ihm
Suidas und Photius1) aus der Rede Lykurg’s [fremdsprachliches Material – fehlt];
und daraus erklärt es sich, weshalb Theophrast bei Plinius2)
den Polygnot Athener nennen konnte, während er auch ander-
wärts immer Thasier heisst. — Ueber die Zeit seiner Thätig-
keit bemerkt Plinius3) nur allgemein, dass sie vor Ol. 90 zu
setzen sei. Doch stehen uns ausserdem andere weit bestimm-
tere Angaben zu Gebote. So werden wir zuerst durch den
Umstand, dass für das eine Bild in der Lesche zu Delphi
Simonides die Inschrift dichtete, mindestens bis auf Ol. 78, 2,
das Todesjahr des Dichters, zurückgeführt. Ja, da Simonides
schon Ol. 75, 4 nach Sicilien ging, ohne von dort wieder nach
Griechenland zurückzukehren, so hat Letronne4) daraus so-
gar folgern wollen, dass die delphischen Gemälde selbst vor
diesen Zeitpunkt zu setzen seien. Doch ist zur Abfassung des
Epigrammes die Gegenwart des Dichters in Delphi nicht
nothwendig vorauszusetzen. Immer aber mag die Thätigkeit
des Polygnot bald nach den Perserkriegen begonnen haben
und das delphische Gemälde eines seiner ersten umfangreichen
Werke gewesen sein, durch welches sich sein Ruhm über
ganz Griechenland verbreitete und die Aufmerksamkeit des
Kimon auf die Person des Künstlers gelenkt wurde. Denn
mit der Staatsverwaltung des Kimon hängt die Thätigkeit des
Polygnot in Athen auf das Engste zusammen; und der Künst-
ler scheint zu dem Staatsmanne in einem ähnlichen Verhält-
nisse gestanden zu haben, wie Phidias zu Perikles. In wel-
chem Jahre er nach Athen gekommen sei, darüber mangeln
freilich positive Angaben. Doch verdienen vor allem zwei
Zeitpunkte in Betracht gezogen zu werden: die nemlich,
welche uns durch die Gegenwart des Kimon in der Heimath
des Künstlers gegeben sind. Ol. 77, 2 führte Kimon die Ge-
beine des Theseus von Thasos nach Athen; Ol. 79, 2 unter-
jochte er diese von den Athenern abgefallene Insel aufs
Neue5). Da nun aber die Versetzung der Gebeine den Bau
des Theseustempels zur unmittelbaren Folge hatte, und Po-
lygnot zu dessen Ausschmückung mit Gemälden thätig war,
so bietet sich uns von selbst die Annahme dar, dass Kimon

1) s. v. [fremdsprachliches Material – fehlt].
2) 7, 205.
3) 35, 58.
4) Lettres d’un
antiquaire à un artiste, p. 452.
5) Vgl. Clinton fasti s. a.
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[15/0032] gemalt hatte.‟ So berichtet Harpokration, und nach ihm Suidas und Photius 1) aus der Rede Lykurg’s _ ; und daraus erklärt es sich, weshalb Theophrast bei Plinius 2) den Polygnot Athener nennen konnte, während er auch ander- wärts immer Thasier heisst. — Ueber die Zeit seiner Thätig- keit bemerkt Plinius 3) nur allgemein, dass sie vor Ol. 90 zu setzen sei. Doch stehen uns ausserdem andere weit bestimm- tere Angaben zu Gebote. So werden wir zuerst durch den Umstand, dass für das eine Bild in der Lesche zu Delphi Simonides die Inschrift dichtete, mindestens bis auf Ol. 78, 2, das Todesjahr des Dichters, zurückgeführt. Ja, da Simonides schon Ol. 75, 4 nach Sicilien ging, ohne von dort wieder nach Griechenland zurückzukehren, so hat Letronne 4) daraus so- gar folgern wollen, dass die delphischen Gemälde selbst vor diesen Zeitpunkt zu setzen seien. Doch ist zur Abfassung des Epigrammes die Gegenwart des Dichters in Delphi nicht nothwendig vorauszusetzen. Immer aber mag die Thätigkeit des Polygnot bald nach den Perserkriegen begonnen haben und das delphische Gemälde eines seiner ersten umfangreichen Werke gewesen sein, durch welches sich sein Ruhm über ganz Griechenland verbreitete und die Aufmerksamkeit des Kimon auf die Person des Künstlers gelenkt wurde. Denn mit der Staatsverwaltung des Kimon hängt die Thätigkeit des Polygnot in Athen auf das Engste zusammen; und der Künst- ler scheint zu dem Staatsmanne in einem ähnlichen Verhält- nisse gestanden zu haben, wie Phidias zu Perikles. In wel- chem Jahre er nach Athen gekommen sei, darüber mangeln freilich positive Angaben. Doch verdienen vor allem zwei Zeitpunkte in Betracht gezogen zu werden: die nemlich, welche uns durch die Gegenwart des Kimon in der Heimath des Künstlers gegeben sind. Ol. 77, 2 führte Kimon die Ge- beine des Theseus von Thasos nach Athen; Ol. 79, 2 unter- jochte er diese von den Athenern abgefallene Insel aufs Neue 5). Da nun aber die Versetzung der Gebeine den Bau des Theseustempels zur unmittelbaren Folge hatte, und Po- lygnot zu dessen Ausschmückung mit Gemälden thätig war, so bietet sich uns von selbst die Annahme dar, dass Kimon 1) s. v. _ . 2) 7, 205. 3) 35, 58. 4) Lettres d’un antiquaire à un artiste, p. 452. 5) Vgl. Clinton fasti s. a.

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen02_1859/32>, abgerufen am 28.03.2024.