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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859.

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die Wahrscheinlichkeit für Antiphilos wächst. Der gesamm-
ten Auffassung nach aber können wir ihre Erfindung schwer-
lich in die Zeit vor Alexander setzen: ein von einem mäch-
tigen dunkeln Stiere gescheuchtes, wild auseinanderfahrendes
Rossegespann, ein zertrümmerter Wagen, der Lenker herab-
gestürzt und zerschmettert, so dass der letzte Hauch des
Lebens aus ihm entweichen will; Begleiter zu Ross, nach
verschiedenen Richtungen versprengt; weiter in der Entfer-
nung (sofern hier nicht manches Einzelne rhetorischer Zu-
satz des Philostratos ist) die Natur selbst über ein so jam-
mervolles Ereigniss trauernd: Bergnymphen, welche sich die
Wangen zerfleischen, die Blumenwiesen verkörpert als Kna-
ben mit welkenden Blumenkränzen, Quellnymphen, welche
trauernd aus ihren Brüsten Wasser ergiessen; dazu eine
landschaftliche Scenerie: Meer, Wiesengründe, Quellen, Klip-
pen, das alles in reichster Mannigfaltigkeit bildet den Inhalt
der Darstellung des Hippolytos. In dem Bilde der Hesione
erblicken wir ein gewaltiges Meerungeheuer von grimmigem
Ausdruck, welches die Wasser des Meeres in wilde Bewe-
gung versetzt, eine wehrlose Jungfrau an den Felsen ange-
schmiedet, ihren Erretter am Ufer, schon den Bogen mit
dem Bewusstsein des Sieges spannend; hinten die Stadt und
die Mauern voll von Menschen, die in lebhaftester Bewegung
die Hände zum Himmel erheben. -- Solche Compositionen
gehören nicht der einfachen alten Zeit, sondern der Zeit
eines Nikias, welcher Stoffe empfiehlt voll Bewegung und
Leben und reich an einer Menge der verschiedenartig-
sten künstlerischen Motive. Sie verlangen in der Lebendig-
keit ihrer Auffassung einen Künstler, dem die Mittel seiner
Kunst in vollem Umfange zu Gebote stehen, und der diesel-
ben mit einer gewissen genialen Leichtigkeit handhabt. Ein
solcher aber war Antiphilos: das lehrt uns seine bereits
oben hervorgehobene Vielseitigkeit, welche sich mit gleicher
Gewandtheit in der idealen Welt der Götter, wie in der
realen des täglichen Lebens zu bewegen wusste. Nach der
letztern Richtung hin müssen wir sogar Antiphilos noch das
besondere Verdienst zuerkennen, das Gebiet seiner Kunst
wesentlich erweitert zu haben. Eine ausführliche Darstel-
lung der Wollenbereitung ist für die Malerei ein durchaus
neuer Gegenstand, dem man an sich kaum eine bedeutende

die Wahrscheinlichkeit für Antiphilos wächst. Der gesamm-
ten Auffassung nach aber können wir ihre Erfindung schwer-
lich in die Zeit vor Alexander setzen: ein von einem mäch-
tigen dunkeln Stiere gescheuchtes, wild auseinanderfahrendes
Rossegespann, ein zertrümmerter Wagen, der Lenker herab-
gestürzt und zerschmettert, so dass der letzte Hauch des
Lebens aus ihm entweichen will; Begleiter zu Ross, nach
verschiedenen Richtungen versprengt; weiter in der Entfer-
nung (sofern hier nicht manches Einzelne rhetorischer Zu-
satz des Philostratos ist) die Natur selbst über ein so jam-
mervolles Ereigniss trauernd: Bergnymphen, welche sich die
Wangen zerfleischen, die Blumenwiesen verkörpert als Kna-
ben mit welkenden Blumenkränzen, Quellnymphen, welche
trauernd aus ihren Brüsten Wasser ergiessen; dazu eine
landschaftliche Scenerie: Meer, Wiesengründe, Quellen, Klip-
pen, das alles in reichster Mannigfaltigkeit bildet den Inhalt
der Darstellung des Hippolytos. In dem Bilde der Hesione
erblicken wir ein gewaltiges Meerungeheuer von grimmigem
Ausdruck, welches die Wasser des Meeres in wilde Bewe-
gung versetzt, eine wehrlose Jungfrau an den Felsen ange-
schmiedet, ihren Erretter am Ufer, schon den Bogen mit
dem Bewusstsein des Sieges spannend; hinten die Stadt und
die Mauern voll von Menschen, die in lebhaftester Bewegung
die Hände zum Himmel erheben. — Solche Compositionen
gehören nicht der einfachen alten Zeit, sondern der Zeit
eines Nikias, welcher Stoffe empfiehlt voll Bewegung und
Leben und reich an einer Menge der verschiedenartig-
sten künstlerischen Motive. Sie verlangen in der Lebendig-
keit ihrer Auffassung einen Künstler, dem die Mittel seiner
Kunst in vollem Umfange zu Gebote stehen, und der diesel-
ben mit einer gewissen genialen Leichtigkeit handhabt. Ein
solcher aber war Antiphilos: das lehrt uns seine bereits
oben hervorgehobene Vielseitigkeit, welche sich mit gleicher
Gewandtheit in der idealen Welt der Götter, wie in der
realen des täglichen Lebens zu bewegen wusste. Nach der
letztern Richtung hin müssen wir sogar Antiphilos noch das
besondere Verdienst zuerkennen, das Gebiet seiner Kunst
wesentlich erweitert zu haben. Eine ausführliche Darstel-
lung der Wollenbereitung ist für die Malerei ein durchaus
neuer Gegenstand, dem man an sich kaum eine bedeutende

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[250/0267] die Wahrscheinlichkeit für Antiphilos wächst. Der gesamm- ten Auffassung nach aber können wir ihre Erfindung schwer- lich in die Zeit vor Alexander setzen: ein von einem mäch- tigen dunkeln Stiere gescheuchtes, wild auseinanderfahrendes Rossegespann, ein zertrümmerter Wagen, der Lenker herab- gestürzt und zerschmettert, so dass der letzte Hauch des Lebens aus ihm entweichen will; Begleiter zu Ross, nach verschiedenen Richtungen versprengt; weiter in der Entfer- nung (sofern hier nicht manches Einzelne rhetorischer Zu- satz des Philostratos ist) die Natur selbst über ein so jam- mervolles Ereigniss trauernd: Bergnymphen, welche sich die Wangen zerfleischen, die Blumenwiesen verkörpert als Kna- ben mit welkenden Blumenkränzen, Quellnymphen, welche trauernd aus ihren Brüsten Wasser ergiessen; dazu eine landschaftliche Scenerie: Meer, Wiesengründe, Quellen, Klip- pen, das alles in reichster Mannigfaltigkeit bildet den Inhalt der Darstellung des Hippolytos. In dem Bilde der Hesione erblicken wir ein gewaltiges Meerungeheuer von grimmigem Ausdruck, welches die Wasser des Meeres in wilde Bewe- gung versetzt, eine wehrlose Jungfrau an den Felsen ange- schmiedet, ihren Erretter am Ufer, schon den Bogen mit dem Bewusstsein des Sieges spannend; hinten die Stadt und die Mauern voll von Menschen, die in lebhaftester Bewegung die Hände zum Himmel erheben. — Solche Compositionen gehören nicht der einfachen alten Zeit, sondern der Zeit eines Nikias, welcher Stoffe empfiehlt voll Bewegung und Leben und reich an einer Menge der verschiedenartig- sten künstlerischen Motive. Sie verlangen in der Lebendig- keit ihrer Auffassung einen Künstler, dem die Mittel seiner Kunst in vollem Umfange zu Gebote stehen, und der diesel- ben mit einer gewissen genialen Leichtigkeit handhabt. Ein solcher aber war Antiphilos: das lehrt uns seine bereits oben hervorgehobene Vielseitigkeit, welche sich mit gleicher Gewandtheit in der idealen Welt der Götter, wie in der realen des täglichen Lebens zu bewegen wusste. Nach der letztern Richtung hin müssen wir sogar Antiphilos noch das besondere Verdienst zuerkennen, das Gebiet seiner Kunst wesentlich erweitert zu haben. Eine ausführliche Darstel- lung der Wollenbereitung ist für die Malerei ein durchaus neuer Gegenstand, dem man an sich kaum eine bedeutende

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen02_1859/267>, abgerufen am 24.11.2024.