Wir haben gesehen, wie die griechische Malerei sich zu- erst in Athen zu hoher geistiger Blüthe erhob, sodann, wie Kleinasien dem Mutterlande den Ruhm raubte, endlich wie dieses in Sikyon die Pflege der Kunst von Neuem mit Ernst und Strenge übernahm. Mit diesen letzten Bestrebungen läuft aber eine zweite Entwickelungsreihe parallel, welche von dem damals politisch bedeutendsten Lande Griechenlands, von Theben, ausgehend nach dessen schnell vorübergegan- gener Blüthe sich nach dem Nachbarlande Attika übersiedelt, um dieses zum zweiten Male zu hohem Ruhme emporsteigen zu lassen. Ich meine die Entwickelung, welche sich haupt- sächlich an vier Namen anknüpft: Nikomachos, Aristides, Euphranor und Nikias, welche in ihrer grössten Ausdehnung aber sieben Glieder in ununterbrochener Folge von Lehrer und Schüler umfasst. Diese hier vorangestellte Behauptung bedarf jedoch eines ausführlicheren Beweises, da sie sonst noch nirgends ausgesprochen ist. Und in der That, wenn wir unsere Hauptquelle, den Plinius, betrachten, möchte man an der Möglichkeit dieses Beweises zweifeln, so unbestimmt und verwirrt sind seine Nachrichten. Mit einem: eodem tempore, hac aetate, aequalis ist meist die chronologische Bestimmung abgethan, und in solcher Weise sind oft Künst- ler als gleichzeitig hingestellt, die nur in dem Endpunkte der Thätigkeit des einen und dem Anfangspunkte des andern zu- sammenfallen. Um so fester müssen wir uns an diejenigen chronologischen Angaben halten, welche sich ausserdem noch ermitteln lassen. Es wird aber hier, um zu einer kla- ren Ueberzeugung zu gelangen, nothwendig sein, die chro- nologische Erörterung im Zusammenhange vorzunehmen und die Würdigung des künstlerischen Verdienstes der Einzelnen ganz getrennt hiervon zu behandeln.
Der erste Künstler in dieser Reihe ist Aristiaeos, welchen Namen Sillig jetzt nach den Spuren der bamberger Handschrift an die Stelle von Aristodemos gesetzt hat. Von ihm wissen wir jedoch nichts, als dass er Vater und Lehrer des Nikomachos war.1) Eine Zeitbestimmung für diesen aber
1) Plin. 35, 108.
Thebanisch-attische Schule.
Wir haben gesehen, wie die griechische Malerei sich zu- erst in Athen zu hoher geistiger Blüthe erhob, sodann, wie Kleinasien dem Mutterlande den Ruhm raubte, endlich wie dieses in Sikyon die Pflege der Kunst von Neuem mit Ernst und Strenge übernahm. Mit diesen letzten Bestrebungen läuft aber eine zweite Entwickelungsreihe parallel, welche von dem damals politisch bedeutendsten Lande Griechenlands, von Theben, ausgehend nach dessen schnell vorübergegan- gener Blüthe sich nach dem Nachbarlande Attika übersiedelt, um dieses zum zweiten Male zu hohem Ruhme emporsteigen zu lassen. Ich meine die Entwickelung, welche sich haupt- sächlich an vier Namen anknüpft: Nikomachos, Aristides, Euphranor und Nikias, welche in ihrer grössten Ausdehnung aber sieben Glieder in ununterbrochener Folge von Lehrer und Schüler umfasst. Diese hier vorangestellte Behauptung bedarf jedoch eines ausführlicheren Beweises, da sie sonst noch nirgends ausgesprochen ist. Und in der That, wenn wir unsere Hauptquelle, den Plinius, betrachten, möchte man an der Möglichkeit dieses Beweises zweifeln, so unbestimmt und verwirrt sind seine Nachrichten. Mit einem: eodem tempore, hac aetate, aequalis ist meist die chronologische Bestimmung abgethan, und in solcher Weise sind oft Künst- ler als gleichzeitig hingestellt, die nur in dem Endpunkte der Thätigkeit des einen und dem Anfangspunkte des andern zu- sammenfallen. Um so fester müssen wir uns an diejenigen chronologischen Angaben halten, welche sich ausserdem noch ermitteln lassen. Es wird aber hier, um zu einer kla- ren Ueberzeugung zu gelangen, nothwendig sein, die chro- nologische Erörterung im Zusammenhange vorzunehmen und die Würdigung des künstlerischen Verdienstes der Einzelnen ganz getrennt hiervon zu behandeln.
Der erste Künstler in dieser Reihe ist Aristiaeos, welchen Namen Sillig jetzt nach den Spuren der bamberger Handschrift an die Stelle von Aristodemos gesetzt hat. Von ihm wissen wir jedoch nichts, als dass er Vater und Lehrer des Nikomachos war.1) Eine Zeitbestimmung für diesen aber
1) Plin. 35, 108.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0176"n="159"/><divn="3"><head><hirendition="#g">Thebanisch-attische Schule</hi>.</head><lb/><p>Wir haben gesehen, wie die griechische Malerei sich zu-<lb/>
erst in Athen zu hoher geistiger Blüthe erhob, sodann, wie<lb/>
Kleinasien dem Mutterlande den Ruhm raubte, endlich wie<lb/>
dieses in Sikyon die Pflege der Kunst von Neuem mit<lb/>
Ernst und Strenge übernahm. Mit diesen letzten Bestrebungen<lb/>
läuft aber eine zweite Entwickelungsreihe parallel, welche<lb/>
von dem damals politisch bedeutendsten Lande Griechenlands,<lb/>
von Theben, ausgehend nach dessen schnell vorübergegan-<lb/>
gener Blüthe sich nach dem Nachbarlande Attika übersiedelt,<lb/>
um dieses zum zweiten Male zu hohem Ruhme emporsteigen<lb/>
zu lassen. Ich meine die Entwickelung, welche sich haupt-<lb/>
sächlich an vier Namen anknüpft: Nikomachos, Aristides,<lb/>
Euphranor und Nikias, welche in ihrer grössten Ausdehnung<lb/>
aber sieben Glieder in ununterbrochener Folge von Lehrer<lb/>
und Schüler umfasst. Diese hier vorangestellte Behauptung<lb/>
bedarf jedoch eines ausführlicheren Beweises, da sie sonst<lb/>
noch nirgends ausgesprochen ist. Und in der That, wenn<lb/>
wir unsere Hauptquelle, den Plinius, betrachten, möchte man<lb/>
an der Möglichkeit dieses Beweises zweifeln, so unbestimmt<lb/>
und verwirrt sind seine Nachrichten. Mit einem: eodem<lb/>
tempore, hac aetate, aequalis ist meist die chronologische<lb/>
Bestimmung abgethan, und in solcher Weise sind oft Künst-<lb/>
ler als gleichzeitig hingestellt, die nur in dem Endpunkte der<lb/>
Thätigkeit des einen und dem Anfangspunkte des andern zu-<lb/>
sammenfallen. Um so fester müssen wir uns an diejenigen<lb/>
chronologischen Angaben halten, welche sich ausserdem<lb/>
noch ermitteln lassen. Es wird aber hier, um zu einer kla-<lb/>
ren Ueberzeugung zu gelangen, nothwendig sein, die chro-<lb/>
nologische Erörterung im Zusammenhange vorzunehmen und<lb/>
die Würdigung des künstlerischen Verdienstes der Einzelnen<lb/>
ganz getrennt hiervon zu behandeln.</p><lb/><p>Der erste Künstler in dieser Reihe ist <hirendition="#g">Aristiaeos,</hi><lb/>
welchen Namen Sillig jetzt nach den Spuren der bamberger<lb/>
Handschrift an die Stelle von Aristodemos gesetzt hat. Von ihm<lb/>
wissen wir jedoch nichts, als dass er Vater und Lehrer des<lb/><hirendition="#g">Nikomachos</hi> war.<noteplace="foot"n="1)">Plin. 35, 108.</note> Eine Zeitbestimmung für diesen aber<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[159/0176]
Thebanisch-attische Schule.
Wir haben gesehen, wie die griechische Malerei sich zu-
erst in Athen zu hoher geistiger Blüthe erhob, sodann, wie
Kleinasien dem Mutterlande den Ruhm raubte, endlich wie
dieses in Sikyon die Pflege der Kunst von Neuem mit
Ernst und Strenge übernahm. Mit diesen letzten Bestrebungen
läuft aber eine zweite Entwickelungsreihe parallel, welche
von dem damals politisch bedeutendsten Lande Griechenlands,
von Theben, ausgehend nach dessen schnell vorübergegan-
gener Blüthe sich nach dem Nachbarlande Attika übersiedelt,
um dieses zum zweiten Male zu hohem Ruhme emporsteigen
zu lassen. Ich meine die Entwickelung, welche sich haupt-
sächlich an vier Namen anknüpft: Nikomachos, Aristides,
Euphranor und Nikias, welche in ihrer grössten Ausdehnung
aber sieben Glieder in ununterbrochener Folge von Lehrer
und Schüler umfasst. Diese hier vorangestellte Behauptung
bedarf jedoch eines ausführlicheren Beweises, da sie sonst
noch nirgends ausgesprochen ist. Und in der That, wenn
wir unsere Hauptquelle, den Plinius, betrachten, möchte man
an der Möglichkeit dieses Beweises zweifeln, so unbestimmt
und verwirrt sind seine Nachrichten. Mit einem: eodem
tempore, hac aetate, aequalis ist meist die chronologische
Bestimmung abgethan, und in solcher Weise sind oft Künst-
ler als gleichzeitig hingestellt, die nur in dem Endpunkte der
Thätigkeit des einen und dem Anfangspunkte des andern zu-
sammenfallen. Um so fester müssen wir uns an diejenigen
chronologischen Angaben halten, welche sich ausserdem
noch ermitteln lassen. Es wird aber hier, um zu einer kla-
ren Ueberzeugung zu gelangen, nothwendig sein, die chro-
nologische Erörterung im Zusammenhange vorzunehmen und
die Würdigung des künstlerischen Verdienstes der Einzelnen
ganz getrennt hiervon zu behandeln.
Der erste Künstler in dieser Reihe ist Aristiaeos,
welchen Namen Sillig jetzt nach den Spuren der bamberger
Handschrift an die Stelle von Aristodemos gesetzt hat. Von ihm
wissen wir jedoch nichts, als dass er Vater und Lehrer des
Nikomachos war. 1) Eine Zeitbestimmung für diesen aber
1) Plin. 35, 108.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Der zweite Band der "Geschichte der griechischen … [mehr]
Der zweite Band der "Geschichte der griechischen Künstler" von Heinrich von Brunn enthält ebenfalls den "Zweiten Teil der ersten Abteilung", die im Deutschen Textarchiv als eigenständiges Werk verzeichnet ist.
Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen02_1859/176>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.