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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859.

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minum umbrarumque rationem invenisse traditur. Dass Apol-
lodor ihm darin vorangegangen, haben wir bereits früher
erörtert. Wir werden daher das Verdienst des Zeuxis am
richtigsten würdigen, wenn wir einen besondern Nachdruck
auf das Wort ratio legen, welches einschliesst, dass Zeuxis
nicht mehr blos versuchsweise und rein empirisch, sondern
schon nach bestimmten Principien verfuhr. Von diesem
Punkte bis zur höchsten Vollendung und bis zu theoretischer
Durchbildung blieb freilich wohl immer noch ein weiter Weg
zu durchmessen übrig; und hieraus mag es sich allenfalls
rechtfertigen, wenn Cicero1) den Zeuxis und Timanthes mit
Polygnot zusammen den Zeitgenossen Alexanders d. Gr. ge-
genüberstellt. Wenn er aber den Unterschied näher dahin
bestimmen will, dass an jenen älteren Künstlern Formen und
Zeichnung zu loben seien, während sie zum Malen sich nur
erst der vier Hauptfarben bedient, so würde dies streng
wörtlich genommen so sehr im Widerspruche mit allen übri-
gen Zeugnissen stehen, dass wir darin nur eine Hindeutung
auf die verhältnissmässig noch grosse Einfachheit des Colo-
rits zu sehen vermögen, welche die Anwendung künstlicher,
vielfach zusammengesetzter Farbenstoffe noch nicht kannte.
Erinnern wir uns hier nur nochmals der gemalten Trauben,
so muss es uns von selbst einleuchten, dass bei ihnen die
Illusion allein auf der malerischen Behandlung beruhen konnte,
auf der Darstellung des Farbenspieles, welches sich an der
Traube in doppelter Weise, theils durch die besondere Be-
schaffenheit der Haut, welche die wirkliche Farbe bricht und
nur durchschimmern lässt, theils durch die Wirkungen von
Licht, Schatten und Reflexen bilden muss. Jener ganze Ruhm
aber in der Führung des Pinsels, gloria penicilli, wie wäre
er möglich bei dem simplex color, wie Quintilian ihn nennt,
d. h. bei einem Auftrag der Farben in einfachen, ungebro-
chenen Tönen ohne Licht und Schatten? Vielmehr müssen
wir, um das Verhältniss des Zeuxis zu Polygnot vollständig
zu begreifen, von der Verschiedenheit in der Behandlung der
Farbe als grundsätzlichem und ursprünglichstem Gegensatze
ausgehen. Denn während in der Kunst des Polygnot die
ganze Darstellung eigentlich auf der Zeichnung, auf Linien,

1) Brut. 18.

minum umbrarumque rationem invenisse traditur. Dass Apol-
lodor ihm darin vorangegangen, haben wir bereits früher
erörtert. Wir werden daher das Verdienst des Zeuxis am
richtigsten würdigen, wenn wir einen besondern Nachdruck
auf das Wort ratio legen, welches einschliesst, dass Zeuxis
nicht mehr blos versuchsweise und rein empirisch, sondern
schon nach bestimmten Principien verfuhr. Von diesem
Punkte bis zur höchsten Vollendung und bis zu theoretischer
Durchbildung blieb freilich wohl immer noch ein weiter Weg
zu durchmessen übrig; und hieraus mag es sich allenfalls
rechtfertigen, wenn Cicero1) den Zeuxis und Timanthes mit
Polygnot zusammen den Zeitgenossen Alexanders d. Gr. ge-
genüberstellt. Wenn er aber den Unterschied näher dahin
bestimmen will, dass an jenen älteren Künstlern Formen und
Zeichnung zu loben seien, während sie zum Malen sich nur
erst der vier Hauptfarben bedient, so würde dies streng
wörtlich genommen so sehr im Widerspruche mit allen übri-
gen Zeugnissen stehen, dass wir darin nur eine Hindeutung
auf die verhältnissmässig noch grosse Einfachheit des Colo-
rits zu sehen vermögen, welche die Anwendung künstlicher,
vielfach zusammengesetzter Farbenstoffe noch nicht kannte.
Erinnern wir uns hier nur nochmals der gemalten Trauben,
so muss es uns von selbst einleuchten, dass bei ihnen die
Illusion allein auf der malerischen Behandlung beruhen konnte,
auf der Darstellung des Farbenspieles, welches sich an der
Traube in doppelter Weise, theils durch die besondere Be-
schaffenheit der Haut, welche die wirkliche Farbe bricht und
nur durchschimmern lässt, theils durch die Wirkungen von
Licht, Schatten und Reflexen bilden muss. Jener ganze Ruhm
aber in der Führung des Pinsels, gloria penicilli, wie wäre
er möglich bei dem simplex color, wie Quintilian ihn nennt,
d. h. bei einem Auftrag der Farben in einfachen, ungebro-
chenen Tönen ohne Licht und Schatten? Vielmehr müssen
wir, um das Verhältniss des Zeuxis zu Polygnot vollständig
zu begreifen, von der Verschiedenheit in der Behandlung der
Farbe als grundsätzlichem und ursprünglichstem Gegensatze
ausgehen. Denn während in der Kunst des Polygnot die
ganze Darstellung eigentlich auf der Zeichnung, auf Linien,

1) Brut. 18.
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[91/0108] minum umbrarumque rationem invenisse traditur. Dass Apol- lodor ihm darin vorangegangen, haben wir bereits früher erörtert. Wir werden daher das Verdienst des Zeuxis am richtigsten würdigen, wenn wir einen besondern Nachdruck auf das Wort ratio legen, welches einschliesst, dass Zeuxis nicht mehr blos versuchsweise und rein empirisch, sondern schon nach bestimmten Principien verfuhr. Von diesem Punkte bis zur höchsten Vollendung und bis zu theoretischer Durchbildung blieb freilich wohl immer noch ein weiter Weg zu durchmessen übrig; und hieraus mag es sich allenfalls rechtfertigen, wenn Cicero 1) den Zeuxis und Timanthes mit Polygnot zusammen den Zeitgenossen Alexanders d. Gr. ge- genüberstellt. Wenn er aber den Unterschied näher dahin bestimmen will, dass an jenen älteren Künstlern Formen und Zeichnung zu loben seien, während sie zum Malen sich nur erst der vier Hauptfarben bedient, so würde dies streng wörtlich genommen so sehr im Widerspruche mit allen übri- gen Zeugnissen stehen, dass wir darin nur eine Hindeutung auf die verhältnissmässig noch grosse Einfachheit des Colo- rits zu sehen vermögen, welche die Anwendung künstlicher, vielfach zusammengesetzter Farbenstoffe noch nicht kannte. Erinnern wir uns hier nur nochmals der gemalten Trauben, so muss es uns von selbst einleuchten, dass bei ihnen die Illusion allein auf der malerischen Behandlung beruhen konnte, auf der Darstellung des Farbenspieles, welches sich an der Traube in doppelter Weise, theils durch die besondere Be- schaffenheit der Haut, welche die wirkliche Farbe bricht und nur durchschimmern lässt, theils durch die Wirkungen von Licht, Schatten und Reflexen bilden muss. Jener ganze Ruhm aber in der Führung des Pinsels, gloria penicilli, wie wäre er möglich bei dem simplex color, wie Quintilian ihn nennt, d. h. bei einem Auftrag der Farben in einfachen, ungebro- chenen Tönen ohne Licht und Schatten? Vielmehr müssen wir, um das Verhältniss des Zeuxis zu Polygnot vollständig zu begreifen, von der Verschiedenheit in der Behandlung der Farbe als grundsätzlichem und ursprünglichstem Gegensatze ausgehen. Denn während in der Kunst des Polygnot die ganze Darstellung eigentlich auf der Zeichnung, auf Linien, 1) Brut. 18.

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen02_1859/108>, abgerufen am 25.11.2024.