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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859.

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gen erdrückt. Nur gesellen sich in der ausführlicheren Be-
schreibung zu Alkmene noch ihre Dienerinnen, zu Amphitryon
gewaffnete Thebaner, ferner Tiresias, welcher die zukünftige
Grösse des Kindes weissagt, und endlich die Personification
der Nacht mit einer Leuchte.

Die umfassende Anwendung, welche ich hier von den
Beschreibungen der Philostrate auf die Werke des Zeuxis zu
machen suche, ist gewiss insofern gewagt, als sie der Be-
gründung durch zwingende äussere Zeugnisse entbehrt. Um
so mehr aber scheint sie ihre Gewähr in sich selbst zu tra-
gen. Denn was sie uns lehrt, bildet auf die ungesuchteste
Weise eine fortlaufende Erklärung zu dem oben angeführten
Urtheile des Lucian über Zeuxis. So ausgerüstet aber wird
es uns um so eher gelingen, den Gegensatz zwischen der
älteren Malerei des Polygnot und der neueren des Zeuxis im
Einzelnen fester zu bestimmen.

Vergegenwärtigen wir uns recht lebendig die eben be-
sprochenen Werke des letzteren, so werden wir uns dem
Eindrucke nicht entziehen können, dass in ihrer ganzen Auf-
fassung ein allen gemeinsamer Grundcharakter hervortritt,
welcher, um es ganz kurz zu sagen, begründet ist in der
Wahl der Situationen. Hieraus aber erklärt es sich, warum
Aristoteles behauptet, dass, wie den Tragödien der Neueren im
Verhältniss zu den Aelteren, so den Werken des Zeuxis ge-
genüber denen des Polygnot das Ethos abgehe. Denn bei
Polygnot ist jede Gestalt als das Abbild ihrer ursprünglich-
sten und innersten geistigen Eigenthümlichkeit erfasst; alle
Handlungen offenbaren sich vor Allem als das nothwendige
Resultat eben dieser Eigenthümlichkeit und der im Charakter
der handelnden Person begründeten sittlichen Motive. Bei
Zeuxis dagegen erscheinen die besonderen, oft sehr ausser-
ordentlichen und überraschenden Umstände, durch welche
jene Situationen hervorgerufen werden, als das wesentlich
Bestimmende für die Auffassung der Handlung. Diese ver-
liert dadurch den Charakter der inneren, so zu sagen, mora-
lischen Nothwendigkeit, und vermag nur auf die Bedeutung
von etwas an sich Wahrscheinlichem Anspruch zu machen.
Das ist es, worauf auch Aristoteles zielt, wenn er1) als

1) poet. 25.

gen erdrückt. Nur gesellen sich in der ausführlicheren Be-
schreibung zu Alkmene noch ihre Dienerinnen, zu Amphitryon
gewaffnete Thebaner, ferner Tiresias, welcher die zukünftige
Grösse des Kindes weissagt, und endlich die Personification
der Nacht mit einer Leuchte.

Die umfassende Anwendung, welche ich hier von den
Beschreibungen der Philostrate auf die Werke des Zeuxis zu
machen suche, ist gewiss insofern gewagt, als sie der Be-
gründung durch zwingende äussere Zeugnisse entbehrt. Um
so mehr aber scheint sie ihre Gewähr in sich selbst zu tra-
gen. Denn was sie uns lehrt, bildet auf die ungesuchteste
Weise eine fortlaufende Erklärung zu dem oben angeführten
Urtheile des Lucian über Zeuxis. So ausgerüstet aber wird
es uns um so eher gelingen, den Gegensatz zwischen der
älteren Malerei des Polygnot und der neueren des Zeuxis im
Einzelnen fester zu bestimmen.

Vergegenwärtigen wir uns recht lebendig die eben be-
sprochenen Werke des letzteren, so werden wir uns dem
Eindrucke nicht entziehen können, dass in ihrer ganzen Auf-
fassung ein allen gemeinsamer Grundcharakter hervortritt,
welcher, um es ganz kurz zu sagen, begründet ist in der
Wahl der Situationen. Hieraus aber erklärt es sich, warum
Aristoteles behauptet, dass, wie den Tragödien der Neueren im
Verhältniss zu den Aelteren, so den Werken des Zeuxis ge-
genüber denen des Polygnot das Ethos abgehe. Denn bei
Polygnot ist jede Gestalt als das Abbild ihrer ursprünglich-
sten und innersten geistigen Eigenthümlichkeit erfasst; alle
Handlungen offenbaren sich vor Allem als das nothwendige
Resultat eben dieser Eigenthümlichkeit und der im Charakter
der handelnden Person begründeten sittlichen Motive. Bei
Zeuxis dagegen erscheinen die besonderen, oft sehr ausser-
ordentlichen und überraschenden Umstände, durch welche
jene Situationen hervorgerufen werden, als das wesentlich
Bestimmende für die Auffassung der Handlung. Diese ver-
liert dadurch den Charakter der inneren, so zu sagen, mora-
lischen Nothwendigkeit, und vermag nur auf die Bedeutung
von etwas an sich Wahrscheinlichem Anspruch zu machen.
Das ist es, worauf auch Aristoteles zielt, wenn er1) als

1) poët. 25.
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[84/0101] gen erdrückt. Nur gesellen sich in der ausführlicheren Be- schreibung zu Alkmene noch ihre Dienerinnen, zu Amphitryon gewaffnete Thebaner, ferner Tiresias, welcher die zukünftige Grösse des Kindes weissagt, und endlich die Personification der Nacht mit einer Leuchte. Die umfassende Anwendung, welche ich hier von den Beschreibungen der Philostrate auf die Werke des Zeuxis zu machen suche, ist gewiss insofern gewagt, als sie der Be- gründung durch zwingende äussere Zeugnisse entbehrt. Um so mehr aber scheint sie ihre Gewähr in sich selbst zu tra- gen. Denn was sie uns lehrt, bildet auf die ungesuchteste Weise eine fortlaufende Erklärung zu dem oben angeführten Urtheile des Lucian über Zeuxis. So ausgerüstet aber wird es uns um so eher gelingen, den Gegensatz zwischen der älteren Malerei des Polygnot und der neueren des Zeuxis im Einzelnen fester zu bestimmen. Vergegenwärtigen wir uns recht lebendig die eben be- sprochenen Werke des letzteren, so werden wir uns dem Eindrucke nicht entziehen können, dass in ihrer ganzen Auf- fassung ein allen gemeinsamer Grundcharakter hervortritt, welcher, um es ganz kurz zu sagen, begründet ist in der Wahl der Situationen. Hieraus aber erklärt es sich, warum Aristoteles behauptet, dass, wie den Tragödien der Neueren im Verhältniss zu den Aelteren, so den Werken des Zeuxis ge- genüber denen des Polygnot das Ethos abgehe. Denn bei Polygnot ist jede Gestalt als das Abbild ihrer ursprünglich- sten und innersten geistigen Eigenthümlichkeit erfasst; alle Handlungen offenbaren sich vor Allem als das nothwendige Resultat eben dieser Eigenthümlichkeit und der im Charakter der handelnden Person begründeten sittlichen Motive. Bei Zeuxis dagegen erscheinen die besonderen, oft sehr ausser- ordentlichen und überraschenden Umstände, durch welche jene Situationen hervorgerufen werden, als das wesentlich Bestimmende für die Auffassung der Handlung. Diese ver- liert dadurch den Charakter der inneren, so zu sagen, mora- lischen Nothwendigkeit, und vermag nur auf die Bedeutung von etwas an sich Wahrscheinlichem Anspruch zu machen. Das ist es, worauf auch Aristoteles zielt, wenn er 1) als 1) poët. 25.

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 2. Stuttgart, 1859, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen02_1859/101>, abgerufen am 25.11.2024.