Protogenes wegen seines Zuges nach Indien, als neuer Dio- nysos dargestellt war, in welcher Bedeutung ihm Pan als Schildträger durchaus passend zugesellt erscheinen würde. -- Zur Classe der Portraits gehören ausser diesem Alexander Philiskos, Antigonos, die Mutter des Aristoteles und vielleicht ein Athlet. Unbestimmt müssen wir es lassen, in welcher Weise die Thesmotheten im Rathhause der Fünf- hundert zu Athen, das einzige von Pausanias (I, 3, 4) er- wähnte Bild des Protogenes, aufgefasst waren. -- Von sei- nen plastischen Werken wird keines namentlich hervorge- hoben. -- Dagegen erfahren wir aus Suidas, dass er peri graphikes kai skhematon zwei Bücher geschrieben hatte.
Protogenes erscheint in den Nachrichten der Alten durch- aus als ein Künstler ersten Ranges. Aber bei keinem Künst- ler von so ausgezeichnetem Rufe sind wir weniger im Stande, das Wesen seines künstlerischen Verdienstes im Einzelnen nachzuweisen, als bei ihm; und was wir über ihn erfahren, bezieht sich eigentlich noch mehr auf seine Person, als auf seine Kunst. Wollen wir auch auf die anekdotenartige Er- zählung, dass er bis zu seinem fünfzigsten Jahre Schiffs- maler gewesen, keinen zu hohen Werth legen; so müssen wir doch an der Ueberlieferung festhalten, dass seine äus- sere Lage in früheren Jahren eine sehr dürftige war. Armuth mochte ihn hindern, sich einem der berühmten Meister in die Schule zu geben; daher sein Lehrer unbekannt ist. Ar- muth mochte ihn ferner hindern, früh zu anerkanntem Ruhme zu gelangen; so dass erst die uneigennützige Bewunderung eines Apelles ihn aus dem Staube hervorzuziehen vermochte. Um so mehr müssen wir bewundern, dass solche Verhält- nisse die Spannkraft seines Geistes nicht lähmten, sondern vielmehr stärkten. Wir kennen kaum ein anderes Beispiel, dass es einem Künstler mit seiner Kunst mehr Ernst gewe- sen, als ihm. Um seinen Geist frisch zu erhalten, ver- schmähte er es nicht, die Bedürfnisse seines Körpers auf die nothdürftigste Nahrung zu beschränken. Sieben, nach An- dern elf Jahre verwendete er auf ein einziges Werk, den Jalysos, immer eine lange Zeit, selbst wenn wir annehmen wollen, dass hier nicht die Figur des Jalysos allein, sondern in Verbindung mit einer Reihe rhodischer Stammheroen, wie Kydippe, Tlepolemos, zu verstehen sei. Viermal übermalte
Protogenes wegen seines Zuges nach Indien, als neuer Dio- nysos dargestellt war, in welcher Bedeutung ihm Pan als Schildträger durchaus passend zugesellt erscheinen würde. — Zur Classe der Portraits gehören ausser diesem Alexander Philiskos, Antigonos, die Mutter des Aristoteles und vielleicht ein Athlet. Unbestimmt müssen wir es lassen, in welcher Weise die Thesmotheten im Rathhause der Fünf- hundert zu Athen, das einzige von Pausanias (I, 3, 4) er- wähnte Bild des Protogenes, aufgefasst waren. — Von sei- nen plastischen Werken wird keines namentlich hervorge- hoben. — Dagegen erfahren wir aus Suidas, dass er πεϱὶ γϱαφικῆς καὶ σχημάτων zwei Bücher geschrieben hatte.
Protogenes erscheint in den Nachrichten der Alten durch- aus als ein Künstler ersten Ranges. Aber bei keinem Künst- ler von so ausgezeichnetem Rufe sind wir weniger im Stande, das Wesen seines künstlerischen Verdienstes im Einzelnen nachzuweisen, als bei ihm; und was wir über ihn erfahren, bezieht sich eigentlich noch mehr auf seine Person, als auf seine Kunst. Wollen wir auch auf die anekdotenartige Er- zählung, dass er bis zu seinem fünfzigsten Jahre Schiffs- maler gewesen, keinen zu hohen Werth legen; so müssen wir doch an der Ueberlieferung festhalten, dass seine äus- sere Lage in früheren Jahren eine sehr dürftige war. Armuth mochte ihn hindern, sich einem der berühmten Meister in die Schule zu geben; daher sein Lehrer unbekannt ist. Ar- muth mochte ihn ferner hindern, früh zu anerkanntem Ruhme zu gelangen; so dass erst die uneigennützige Bewunderung eines Apelles ihn aus dem Staube hervorzuziehen vermochte. Um so mehr müssen wir bewundern, dass solche Verhält- nisse die Spannkraft seines Geistes nicht lähmten, sondern vielmehr stärkten. Wir kennen kaum ein anderes Beispiel, dass es einem Künstler mit seiner Kunst mehr Ernst gewe- sen, als ihm. Um seinen Geist frisch zu erhalten, ver- schmähte er es nicht, die Bedürfnisse seines Körpers auf die nothdürftigste Nahrung zu beschränken. Sieben, nach An- dern elf Jahre verwendete er auf ein einziges Werk, den Jalysos, immer eine lange Zeit, selbst wenn wir annehmen wollen, dass hier nicht die Figur des Jalysos allein, sondern in Verbindung mit einer Reihe rhodischer Stammheroen, wie Kydippe, Tlepolemos, zu verstehen sei. Viermal übermalte
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Protogenes wegen seines Zuges nach Indien, als neuer Dio-
nysos dargestellt war, in welcher Bedeutung ihm Pan als
Schildträger durchaus passend zugesellt erscheinen würde. —
Zur Classe der Portraits gehören ausser diesem Alexander
Philiskos, Antigonos, die Mutter des Aristoteles und
vielleicht ein Athlet. Unbestimmt müssen wir es lassen,
in welcher Weise die Thesmotheten im Rathhause der Fünf-
hundert zu Athen, das einzige von Pausanias (I, 3, 4) er-
wähnte Bild des Protogenes, aufgefasst waren. — Von sei-
nen plastischen Werken wird keines namentlich hervorge-
hoben. — Dagegen erfahren wir aus Suidas, dass er πεϱὶ
γϱαφικῆς καὶ σχημάτων zwei Bücher geschrieben hatte.
Protogenes erscheint in den Nachrichten der Alten durch-
aus als ein Künstler ersten Ranges. Aber bei keinem Künst-
ler von so ausgezeichnetem Rufe sind wir weniger im Stande,
das Wesen seines künstlerischen Verdienstes im Einzelnen
nachzuweisen, als bei ihm; und was wir über ihn erfahren,
bezieht sich eigentlich noch mehr auf seine Person, als auf
seine Kunst. Wollen wir auch auf die anekdotenartige Er-
zählung, dass er bis zu seinem fünfzigsten Jahre Schiffs-
maler gewesen, keinen zu hohen Werth legen; so müssen
wir doch an der Ueberlieferung festhalten, dass seine äus-
sere Lage in früheren Jahren eine sehr dürftige war. Armuth
mochte ihn hindern, sich einem der berühmten Meister in
die Schule zu geben; daher sein Lehrer unbekannt ist. Ar-
muth mochte ihn ferner hindern, früh zu anerkanntem Ruhme
zu gelangen; so dass erst die uneigennützige Bewunderung
eines Apelles ihn aus dem Staube hervorzuziehen vermochte.
Um so mehr müssen wir bewundern, dass solche Verhält-
nisse die Spannkraft seines Geistes nicht lähmten, sondern
vielmehr stärkten. Wir kennen kaum ein anderes Beispiel,
dass es einem Künstler mit seiner Kunst mehr Ernst gewe-
sen, als ihm. Um seinen Geist frisch zu erhalten, ver-
schmähte er es nicht, die Bedürfnisse seines Körpers auf die
nothdürftigste Nahrung zu beschränken. Sieben, nach An-
dern elf Jahre verwendete er auf ein einziges Werk, den
Jalysos, immer eine lange Zeit, selbst wenn wir annehmen
wollen, dass hier nicht die Figur des Jalysos allein, sondern
in Verbindung mit einer Reihe rhodischer Stammheroen, wie
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Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/248>, abgerufen am 25.11.2024.
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