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Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856.

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Gipfel glänzenden Ruhmes gelangt seien. Die Palme unter
seinen Gemälden hat der Jalysos, zu Rom im Friedenstempel
geweiht. Als er ihn malte, soll er von feuchten Lupinen ge-
lebt haben, weil sie zugleich Hunger und Durst stillen, da-
mit er nicht durch zu viel Wohlgeschmack die Kräfte seiner
Sinne abstumpfe. Auf dieses Bild trug er viermal Farbe
auf gegen die Gefahren der Beschädigung und des Alters,
damit, wenn die obere Farbe wiche, die untere an ihre Stelle
trete. Es befindet sich darauf ein wunderbar gebildeter
Hund, insofern an ihm auch der Zufall mitgemalt hat. Der
Künstler glaubte an ihm den durch das Keichen hervorge-
brachten Schaum nicht gehörig herauszubringen, während er
an allen übrigen Theilen, was sehr schwer war, sich selbst
genügt hatte. Es misfiel aber gerade die Kunstmässigkeit;
sie liess sich nicht mindern und schien doch zu gross und
zu weit von der Wahrheit entfernt; der Schaum schien ge-
malt zu sein, nicht aus der Schnauze hervorzuquellen, zu
grösster Seelenpein des Künstlers, welcher in dem Bilde die
Wahrheit, nicht die Wahrscheinlichkeit erstrebte. Oefters
hatte er die Farbe weggewischt und den Pinsel verändert,
und konnte sich doch auf keine Weise genügen. Endlich
erzürnt auf die Kunstmässigkeit, dass sie sich so offen er-
kennen lasse, warf er den Schwamm auf die verhasste Stelle
des Gemäldes, und dieser setzte die weggewischten Farben
wieder so hin, wie er es durch seine Sorgfalt gewünscht
hatte; und so stellte in dem Gemälde ein glücklicher Zufall die
Natur dar. Wie in diesem Beispiele soll auch Nealkes einen
ähnlichen Erfolg beim Schaum eines Pferdes erlangt haben,
indem er eben so den Schwamm darauf warf, als er seinen
Rossebändiger malte, der ein Paar Pferde zurückhielt. So
zeigte Protogenes auch den Weg zur Glücksgöttin. Wegen
dieses Jalysos, nemlich um dieses Bild nicht zu verbrennen,
zündete der König Demetrios Rhodos nicht an, obwohl er
es allein von der Seite, wo das Bild sich befand, nehmen
konnte; und während er des Gemäldes schonte, entging ihm
die Gelegenheit zum Siege. Protogenes befand sich damals
in seinem Gärtchen in der Vorstadt, d. h. im Lager des De-
metrios; und unbekümmert um die Kämpfe ging er von den
angefangenen Werken erst weg, als ihn der König rufen
liess, und auf die Frage, wie er es wage, sich ausserhalb

Gipfel glänzenden Ruhmes gelangt seien. Die Palme unter
seinen Gemälden hat der Jalysos, zu Rom im Friedenstempel
geweiht. Als er ihn malte, soll er von feuchten Lupinen ge-
lebt haben, weil sie zugleich Hunger und Durst stillen, da-
mit er nicht durch zu viel Wohlgeschmack die Kräfte seiner
Sinne abstumpfe. Auf dieses Bild trug er viermal Farbe
auf gegen die Gefahren der Beschädigung und des Alters,
damit, wenn die obere Farbe wiche, die untere an ihre Stelle
trete. Es befindet sich darauf ein wunderbar gebildeter
Hund, insofern an ihm auch der Zufall mitgemalt hat. Der
Künstler glaubte an ihm den durch das Keichen hervorge-
brachten Schaum nicht gehörig herauszubringen, während er
an allen übrigen Theilen, was sehr schwer war, sich selbst
genügt hatte. Es misfiel aber gerade die Kunstmässigkeit;
sie liess sich nicht mindern und schien doch zu gross und
zu weit von der Wahrheit entfernt; der Schaum schien ge-
malt zu sein, nicht aus der Schnauze hervorzuquellen, zu
grösster Seelenpein des Künstlers, welcher in dem Bilde die
Wahrheit, nicht die Wahrscheinlichkeit erstrebte. Oefters
hatte er die Farbe weggewischt und den Pinsel verändert,
und konnte sich doch auf keine Weise genügen. Endlich
erzürnt auf die Kunstmässigkeit, dass sie sich so offen er-
kennen lasse, warf er den Schwamm auf die verhasste Stelle
des Gemäldes, und dieser setzte die weggewischten Farben
wieder so hin, wie er es durch seine Sorgfalt gewünscht
hatte; und so stellte in dem Gemälde ein glücklicher Zufall die
Natur dar. Wie in diesem Beispiele soll auch Nealkes einen
ähnlichen Erfolg beim Schaum eines Pferdes erlangt haben,
indem er eben so den Schwamm darauf warf, als er seinen
Rossebändiger malte, der ein Paar Pferde zurückhielt. So
zeigte Protogenes auch den Weg zur Glücksgöttin. Wegen
dieses Jalysos, nemlich um dieses Bild nicht zu verbrennen,
zündete der König Demetrios Rhodos nicht an, obwohl er
es allein von der Seite, wo das Bild sich befand, nehmen
konnte; und während er des Gemäldes schonte, entging ihm
die Gelegenheit zum Siege. Protogenes befand sich damals
in seinem Gärtchen in der Vorstadt, d. h. im Lager des De-
metrios; und unbekümmert um die Kämpfe ging er von den
angefangenen Werken erst weg, als ihn der König rufen
liess, und auf die Frage, wie er es wage, sich ausserhalb

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[234/0242] Gipfel glänzenden Ruhmes gelangt seien. Die Palme unter seinen Gemälden hat der Jalysos, zu Rom im Friedenstempel geweiht. Als er ihn malte, soll er von feuchten Lupinen ge- lebt haben, weil sie zugleich Hunger und Durst stillen, da- mit er nicht durch zu viel Wohlgeschmack die Kräfte seiner Sinne abstumpfe. Auf dieses Bild trug er viermal Farbe auf gegen die Gefahren der Beschädigung und des Alters, damit, wenn die obere Farbe wiche, die untere an ihre Stelle trete. Es befindet sich darauf ein wunderbar gebildeter Hund, insofern an ihm auch der Zufall mitgemalt hat. Der Künstler glaubte an ihm den durch das Keichen hervorge- brachten Schaum nicht gehörig herauszubringen, während er an allen übrigen Theilen, was sehr schwer war, sich selbst genügt hatte. Es misfiel aber gerade die Kunstmässigkeit; sie liess sich nicht mindern und schien doch zu gross und zu weit von der Wahrheit entfernt; der Schaum schien ge- malt zu sein, nicht aus der Schnauze hervorzuquellen, zu grösster Seelenpein des Künstlers, welcher in dem Bilde die Wahrheit, nicht die Wahrscheinlichkeit erstrebte. Oefters hatte er die Farbe weggewischt und den Pinsel verändert, und konnte sich doch auf keine Weise genügen. Endlich erzürnt auf die Kunstmässigkeit, dass sie sich so offen er- kennen lasse, warf er den Schwamm auf die verhasste Stelle des Gemäldes, und dieser setzte die weggewischten Farben wieder so hin, wie er es durch seine Sorgfalt gewünscht hatte; und so stellte in dem Gemälde ein glücklicher Zufall die Natur dar. Wie in diesem Beispiele soll auch Nealkes einen ähnlichen Erfolg beim Schaum eines Pferdes erlangt haben, indem er eben so den Schwamm darauf warf, als er seinen Rossebändiger malte, der ein Paar Pferde zurückhielt. So zeigte Protogenes auch den Weg zur Glücksgöttin. Wegen dieses Jalysos, nemlich um dieses Bild nicht zu verbrennen, zündete der König Demetrios Rhodos nicht an, obwohl er es allein von der Seite, wo das Bild sich befand, nehmen konnte; und während er des Gemäldes schonte, entging ihm die Gelegenheit zum Siege. Protogenes befand sich damals in seinem Gärtchen in der Vorstadt, d. h. im Lager des De- metrios; und unbekümmert um die Kämpfe ging er von den angefangenen Werken erst weg, als ihn der König rufen liess, und auf die Frage, wie er es wage, sich ausserhalb

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/242>, abgerufen am 02.05.2024.