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Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856.

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sich in die Schule von Sikyon zu begeben. Gerade deshalb,
weil er aus freiem Antrieb diese Schule zu seiner höheren
Ausbildung wählte, müssen wir um so mehr von seinen Be-
strebungen überzeugt sein, sich alle die Vorzüge, durch
welche sie vor andern ausgezeichnet war, anzueignen. Diese
beruhten aber auf der Gründlichkeit der Lehre und der
Zurückführung derselben auf theoretisch - wissenschaftliche
Grundlagen. Wenn wir nun bedenken, welchen Werth Pam-
philos auf den Unterricht im Zeichnen legte, so lässt sich
in den ununterbrochenen täglichen Uebungen des Apelles der
Einfluss des Lehrers nicht verkennen. Hören wir das Lob
der Verkürzung am Arme Alexanders, so werden wir uns
erinnern, dass das berühmteste Meisterstück einer Verkür-
zung einen Mitschüler des Apelles, den Pausias, zum Urheber
hatte. Eben diesem Künstler verdankt die Enkaustik ihre
Ausbildung, welche in den Ansichten über das Colorit einen
wesentlichen Umschwung hervorbringen musste. Apelles
arbeitete zwar nicht in dieser Kunstgattung; aber um so
deutlicher tritt sein Bestreben hervor, die Temperamalerei
auf eine Stufe der Ausbildung zu erheben, welche eine Ver-
gleichung mit ihrer Nebenbuhlerin nicht zu scheuen brauchte.
Die Kräftigkeit und Durchsichtigkeit der Farben, welche der
letzteren zur hauptsächlichsten Empfehlung dienen mochte,
suchte er durch eine ausgedehnte systematische Anwendung
von Lasuren zu erreichen; und wie wir die Bewunderung
des Stieres von Pausias zum Theil aus der musterhaften
Behandlung des Glanzes auf dem dunkelen Felle des Thieres
erklärten, so vermutheten wir, dass die gelungenen Effecte
in manchen Werken des Apelles ebenfalls auf der Beobach-
tung jenes "splendor" beruhten. Finden wir demnach bei
beiden Schülern des Pamphilos durchaus analoge Bestre-
bungen, so dürfen wir diese Erscheinung auf die Gemeinsam-
keit der Lehre zurückzuführen nicht weiter Anstand nehmen.
Den Beweis aber dafür, dass Apelles der theoretischen Be-
lehrung einen hohen Werth beilegte, hat er selbst endlich
dadurch geliefert, dass er es nicht verschmähte, Bücher
über die Kunst für seinen Schüler Perseus zu schreiben.
Apelles erscheint demnach als ein würdiger Genosse der
durch Gründlichkeit und Solidität des Wissens vor allen
ausgezeichneten Kunstschule von Sikyon; und wenn daher

sich in die Schule von Sikyon zu begeben. Gerade deshalb,
weil er aus freiem Antrieb diese Schule zu seiner höheren
Ausbildung wählte, müssen wir um so mehr von seinen Be-
strebungen überzeugt sein, sich alle die Vorzüge, durch
welche sie vor andern ausgezeichnet war, anzueignen. Diese
beruhten aber auf der Gründlichkeit der Lehre und der
Zurückführung derselben auf theoretisch - wissenschaftliche
Grundlagen. Wenn wir nun bedenken, welchen Werth Pam-
philos auf den Unterricht im Zeichnen legte, so lässt sich
in den ununterbrochenen täglichen Uebungen des Apelles der
Einfluss des Lehrers nicht verkennen. Hören wir das Lob
der Verkürzung am Arme Alexanders, so werden wir uns
erinnern, dass das berühmteste Meisterstück einer Verkür-
zung einen Mitschüler des Apelles, den Pausias, zum Urheber
hatte. Eben diesem Künstler verdankt die Enkaustik ihre
Ausbildung, welche in den Ansichten über das Colorit einen
wesentlichen Umschwung hervorbringen musste. Apelles
arbeitete zwar nicht in dieser Kunstgattung; aber um so
deutlicher tritt sein Bestreben hervor, die Temperamalerei
auf eine Stufe der Ausbildung zu erheben, welche eine Ver-
gleichung mit ihrer Nebenbuhlerin nicht zu scheuen brauchte.
Die Kräftigkeit und Durchsichtigkeit der Farben, welche der
letzteren zur hauptsächlichsten Empfehlung dienen mochte,
suchte er durch eine ausgedehnte systematische Anwendung
von Lasuren zu erreichen; und wie wir die Bewunderung
des Stieres von Pausias zum Theil aus der musterhaften
Behandlung des Glanzes auf dem dunkelen Felle des Thieres
erklärten, so vermutheten wir, dass die gelungenen Effecte
in manchen Werken des Apelles ebenfalls auf der Beobach-
tung jenes „splendor“ beruhten. Finden wir demnach bei
beiden Schülern des Pamphilos durchaus analoge Bestre-
bungen, so dürfen wir diese Erscheinung auf die Gemeinsam-
keit der Lehre zurückzuführen nicht weiter Anstand nehmen.
Den Beweis aber dafür, dass Apelles der theoretischen Be-
lehrung einen hohen Werth beilegte, hat er selbst endlich
dadurch geliefert, dass er es nicht verschmähte, Bücher
über die Kunst für seinen Schüler Perseus zu schreiben.
Apelles erscheint demnach als ein würdiger Genosse der
durch Gründlichkeit und Solidität des Wissens vor allen
ausgezeichneten Kunstschule von Sikyon; und wenn daher

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[230/0238] sich in die Schule von Sikyon zu begeben. Gerade deshalb, weil er aus freiem Antrieb diese Schule zu seiner höheren Ausbildung wählte, müssen wir um so mehr von seinen Be- strebungen überzeugt sein, sich alle die Vorzüge, durch welche sie vor andern ausgezeichnet war, anzueignen. Diese beruhten aber auf der Gründlichkeit der Lehre und der Zurückführung derselben auf theoretisch - wissenschaftliche Grundlagen. Wenn wir nun bedenken, welchen Werth Pam- philos auf den Unterricht im Zeichnen legte, so lässt sich in den ununterbrochenen täglichen Uebungen des Apelles der Einfluss des Lehrers nicht verkennen. Hören wir das Lob der Verkürzung am Arme Alexanders, so werden wir uns erinnern, dass das berühmteste Meisterstück einer Verkür- zung einen Mitschüler des Apelles, den Pausias, zum Urheber hatte. Eben diesem Künstler verdankt die Enkaustik ihre Ausbildung, welche in den Ansichten über das Colorit einen wesentlichen Umschwung hervorbringen musste. Apelles arbeitete zwar nicht in dieser Kunstgattung; aber um so deutlicher tritt sein Bestreben hervor, die Temperamalerei auf eine Stufe der Ausbildung zu erheben, welche eine Ver- gleichung mit ihrer Nebenbuhlerin nicht zu scheuen brauchte. Die Kräftigkeit und Durchsichtigkeit der Farben, welche der letzteren zur hauptsächlichsten Empfehlung dienen mochte, suchte er durch eine ausgedehnte systematische Anwendung von Lasuren zu erreichen; und wie wir die Bewunderung des Stieres von Pausias zum Theil aus der musterhaften Behandlung des Glanzes auf dem dunkelen Felle des Thieres erklärten, so vermutheten wir, dass die gelungenen Effecte in manchen Werken des Apelles ebenfalls auf der Beobach- tung jenes „splendor“ beruhten. Finden wir demnach bei beiden Schülern des Pamphilos durchaus analoge Bestre- bungen, so dürfen wir diese Erscheinung auf die Gemeinsam- keit der Lehre zurückzuführen nicht weiter Anstand nehmen. Den Beweis aber dafür, dass Apelles der theoretischen Be- lehrung einen hohen Werth beilegte, hat er selbst endlich dadurch geliefert, dass er es nicht verschmähte, Bücher über die Kunst für seinen Schüler Perseus zu schreiben. Apelles erscheint demnach als ein würdiger Genosse der durch Gründlichkeit und Solidität des Wissens vor allen ausgezeichneten Kunstschule von Sikyon; und wenn daher

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/238>, abgerufen am 22.11.2024.