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Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856.

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dings nur einen Theil des Gesichts im Umrisse von hinten,
etwa wie an der mit einer Leibbinde gegürteten Figur der
ficoronischen Ciste; aber dieser Umriss war mit so feiner
Motivirung jeder Form gezogen, dass das geistige Auge
daraus auf die nicht wirklich dargestellten Theile zu schlies-
sen und Herakles mit derselben Sicherheit zu erkennen ver-
mochte, als ob er das Gesicht dem Beschauer zugewendet
hätte. -- Freilich könnte nun immer ein minder günstiger
Beurtheiler behaupten, jene Hand, wie dieses abgewendete
Gesicht seien Bravourstücke, durch welche die wahre Kunst
nichts gewinne und nur der Künstler sich ein wohlfeiles
Lob zu erwerben strebe; und wir müssen deshalb unsere Zu-
flucht zu weitern Erzählungen des Plinius 1) nehmen. "Apelles
malte Portraits von einer so schlagenden Aehnlichkeit, dass,
so unglaublich es klingt, Apio in seinen Schriften berichtet,
es habe jemand, der aus dem Antlitz der Menschen wahr-
sagte, ein sogenannter Metoposcopos (Stirngucker oder Kra-
niologe, wie wir sagen würden), aus diesen Portraits die
Jahre des künftigen Todes oder des verflossenen [Lebens]
vorausgesagt." 2) Ein Citat aus Apio, von Plinius noch dazu
mit einem incredibile dictu begleitet, muss nun allerdings von
vorn herein unser Mistrauen erregen; zumal es sich um
Dinge handelt, an denen sich noch heut zu Tage die Char-
latanerie breit macht. Doch dürfen wir, von der Richtigkeit
aller übrigen Punkte abgesehen, vielleicht einigen Werth
darauf legen, das es gerade Bilder des Apelles sind, an
denen ein Kraniologe seine Weisheit gezeigt haben soll; in-
sofern als diese doch Eigenschaften besitzen mussten, welche
sie zu diesem Zwecke geeignet erscheinen liessen. Und in
dieser Auffassung kann uns auch die Erzählung bestärken,
nach welcher Apelles bei seiner Begegnung mit Ptolemaeos
aus dem Gedächtniss das Portrait eines ihm nur aus flüch-
tiger Begegnung bekannten Menschen mit Kohle in leichtem
Umriss, aber von der täuschendsten Aehnlichkeit entwirft. 3)
Denn, was hier berichtet wird, setzt nicht nur eine grosse
Leichtigkeit, sondern auch Schärfe der Beobachtung voraus,

1) 35, 88.
2) aut futurae mortis annos aut praeteritae giebt offenbar
keinen Sinn; vitae aber kann wegen der gleichen Endung von praeteritae
leicht ausgefallen sein.
3) Plin. l. l.

dings nur einen Theil des Gesichts im Umrisse von hinten,
etwa wie an der mit einer Leibbinde gegürteten Figur der
ficoronischen Ciste; aber dieser Umriss war mit so feiner
Motivirung jeder Form gezogen, dass das geistige Auge
daraus auf die nicht wirklich dargestellten Theile zu schlies-
sen und Herakles mit derselben Sicherheit zu erkennen ver-
mochte, als ob er das Gesicht dem Beschauer zugewendet
hätte. — Freilich könnte nun immer ein minder günstiger
Beurtheiler behaupten, jene Hand, wie dieses abgewendete
Gesicht seien Bravourstücke, durch welche die wahre Kunst
nichts gewinne und nur der Künstler sich ein wohlfeiles
Lob zu erwerben strebe; und wir müssen deshalb unsere Zu-
flucht zu weitern Erzählungen des Plinius 1) nehmen. „Apelles
malte Portraits von einer so schlagenden Aehnlichkeit, dass,
so unglaublich es klingt, Apio in seinen Schriften berichtet,
es habe jemand, der aus dem Antlitz der Menschen wahr-
sagte, ein sogenannter Metoposcopos (Stirngucker oder Kra-
niologe, wie wir sagen würden), aus diesen Portraits die
Jahre des künftigen Todes oder des verflossenen [Lebens]
vorausgesagt.“ 2) Ein Citat aus Apio, von Plinius noch dazu
mit einem incredibile dictu begleitet, muss nun allerdings von
vorn herein unser Mistrauen erregen; zumal es sich um
Dinge handelt, an denen sich noch heut zu Tage die Char-
latanerie breit macht. Doch dürfen wir, von der Richtigkeit
aller übrigen Punkte abgesehen, vielleicht einigen Werth
darauf legen, das es gerade Bilder des Apelles sind, an
denen ein Kraniologe seine Weisheit gezeigt haben soll; in-
sofern als diese doch Eigenschaften besitzen mussten, welche
sie zu diesem Zwecke geeignet erscheinen liessen. Und in
dieser Auffassung kann uns auch die Erzählung bestärken,
nach welcher Apelles bei seiner Begegnung mit Ptolemaeos
aus dem Gedächtniss das Portrait eines ihm nur aus flüch-
tiger Begegnung bekannten Menschen mit Kohle in leichtem
Umriss, aber von der täuschendsten Aehnlichkeit entwirft. 3)
Denn, was hier berichtet wird, setzt nicht nur eine grosse
Leichtigkeit, sondern auch Schärfe der Beobachtung voraus,

1) 35, 88.
2) aut futurae mortis annos aut praeteritae giebt offenbar
keinen Sinn; vitae aber kann wegen der gleichen Endung von praeteritae
leicht ausgefallen sein.
3) Plin. l. l.
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[224/0232] dings nur einen Theil des Gesichts im Umrisse von hinten, etwa wie an der mit einer Leibbinde gegürteten Figur der ficoronischen Ciste; aber dieser Umriss war mit so feiner Motivirung jeder Form gezogen, dass das geistige Auge daraus auf die nicht wirklich dargestellten Theile zu schlies- sen und Herakles mit derselben Sicherheit zu erkennen ver- mochte, als ob er das Gesicht dem Beschauer zugewendet hätte. — Freilich könnte nun immer ein minder günstiger Beurtheiler behaupten, jene Hand, wie dieses abgewendete Gesicht seien Bravourstücke, durch welche die wahre Kunst nichts gewinne und nur der Künstler sich ein wohlfeiles Lob zu erwerben strebe; und wir müssen deshalb unsere Zu- flucht zu weitern Erzählungen des Plinius 1) nehmen. „Apelles malte Portraits von einer so schlagenden Aehnlichkeit, dass, so unglaublich es klingt, Apio in seinen Schriften berichtet, es habe jemand, der aus dem Antlitz der Menschen wahr- sagte, ein sogenannter Metoposcopos (Stirngucker oder Kra- niologe, wie wir sagen würden), aus diesen Portraits die Jahre des künftigen Todes oder des verflossenen [Lebens] vorausgesagt.“ 2) Ein Citat aus Apio, von Plinius noch dazu mit einem incredibile dictu begleitet, muss nun allerdings von vorn herein unser Mistrauen erregen; zumal es sich um Dinge handelt, an denen sich noch heut zu Tage die Char- latanerie breit macht. Doch dürfen wir, von der Richtigkeit aller übrigen Punkte abgesehen, vielleicht einigen Werth darauf legen, das es gerade Bilder des Apelles sind, an denen ein Kraniologe seine Weisheit gezeigt haben soll; in- sofern als diese doch Eigenschaften besitzen mussten, welche sie zu diesem Zwecke geeignet erscheinen liessen. Und in dieser Auffassung kann uns auch die Erzählung bestärken, nach welcher Apelles bei seiner Begegnung mit Ptolemaeos aus dem Gedächtniss das Portrait eines ihm nur aus flüch- tiger Begegnung bekannten Menschen mit Kohle in leichtem Umriss, aber von der täuschendsten Aehnlichkeit entwirft. 3) Denn, was hier berichtet wird, setzt nicht nur eine grosse Leichtigkeit, sondern auch Schärfe der Beobachtung voraus, 1) 35, 88. 2) aut futurae mortis annos aut praeteritae giebt offenbar keinen Sinn; vitae aber kann wegen der gleichen Endung von praeteritae leicht ausgefallen sein. 3) Plin. l. l.

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/232>, abgerufen am 24.11.2024.