Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

piodoro de mensuris, hoc est quanto quid a quoque distare
deberet, sagt Plinius, 1) womit zu verbinden ist, was er an
einer andern Stelle 2) bemerkt, dass Apelles den Asklepiodor
in der "Symmetrie" bewunderte. Den letzteren Ausdruck
haben wir gewöhnlich auf die Proportionen bezogen, inso-
fern diese das gewissen Gesetzen entsprechende Grössenver-
hältniss der Theile zum Ganzen, zunächst in einer und der-
selben Figur bestimmen. Wo es sich aber, wie in der
Malerei, um die Zusammenordnung mehrerer Figuren handelt,
da wird die Symmetrie auch von dem Grössenverhältniss
der verschiedenen Figuren unter einander verstanden werden
dürfen; und so scheint es wenigstens in Bezug auf Askle-
piodor Plinius zu thun, wenn er die lateinische Uebersetzung
mensura näher erklärt als das Verhältniss der Abstände ver-
schiedener Dinge von einander. Nach unserer heutigen
Kunstsprache würde also hier Symmetrie eine Art von per-
spektivischer Behandlung bezeichnen, auf welcher in grös-
seren Compositionen das Vor- oder Zurücktreten der ein-
zelnen Figuren und Dinge beruht. Die Disposition dagegen,
welche wir gewöhnlich Composition nennen, hat es mit der
Anordnung der verschiedenen Theile, ihrer Gliederung und
Verbindung zu einem künstlerischen Ganzen zu thun. Dass
nun in diesen beiden Beziehungen Apelles dem Asklepiodor
und Melanthios willig den Vorrang zuerkannte, erklärt sich
zum Theil durch einen Blick auf seine eigenen Werke. Denn
offenbar vermied er im Bewusstsein seiner Schwäche die
Wahl von Gegenständen, bei deren Durchführung auf jenen
Eigenschaften eine Hauptbedingung des Erfolgs beruht hätte.
In der einzigen figurenreichen Composition aber, welche uns
bekannt ist, dem Bilde der Verleumdung, erscheint in der
That wenigstens nach der Beschreibung des Lucian das Ver-
dienst der Anordnung gering und erinnert uns mehr an die
Compositionsweise eines Reliefs, als an die eines nach male-
rischen Principien gruppirten Gemäldes.

Trotz aller dieser Beschränkungen überragt den-
noch der Ruhm des Apelles den jedes andern Malers im
Alterthum; und um so mehr müssen wir daher veranlasst
werden zu untersuchen, durch welche Verdienste dieser Ruf

1) 35, 80.
2) 35, 107.

piodoro de mensuris, hoc est quanto quid a quoque distare
deberet, sagt Plinius, 1) womit zu verbinden ist, was er an
einer andern Stelle 2) bemerkt, dass Apelles den Asklepiodor
in der „Symmetrie“ bewunderte. Den letzteren Ausdruck
haben wir gewöhnlich auf die Proportionen bezogen, inso-
fern diese das gewissen Gesetzen entsprechende Grössenver-
hältniss der Theile zum Ganzen, zunächst in einer und der-
selben Figur bestimmen. Wo es sich aber, wie in der
Malerei, um die Zusammenordnung mehrerer Figuren handelt,
da wird die Symmetrie auch von dem Grössenverhältniss
der verschiedenen Figuren unter einander verstanden werden
dürfen; und so scheint es wenigstens in Bezug auf Askle-
piodor Plinius zu thun, wenn er die lateinische Uebersetzung
mensura näher erklärt als das Verhältniss der Abstände ver-
schiedener Dinge von einander. Nach unserer heutigen
Kunstsprache würde also hier Symmetrie eine Art von per-
spektivischer Behandlung bezeichnen, auf welcher in grös-
seren Compositionen das Vor- oder Zurücktreten der ein-
zelnen Figuren und Dinge beruht. Die Disposition dagegen,
welche wir gewöhnlich Composition nennen, hat es mit der
Anordnung der verschiedenen Theile, ihrer Gliederung und
Verbindung zu einem künstlerischen Ganzen zu thun. Dass
nun in diesen beiden Beziehungen Apelles dem Asklepiodor
und Melanthios willig den Vorrang zuerkannte, erklärt sich
zum Theil durch einen Blick auf seine eigenen Werke. Denn
offenbar vermied er im Bewusstsein seiner Schwäche die
Wahl von Gegenständen, bei deren Durchführung auf jenen
Eigenschaften eine Hauptbedingung des Erfolgs beruht hätte.
In der einzigen figurenreichen Composition aber, welche uns
bekannt ist, dem Bilde der Verleumdung, erscheint in der
That wenigstens nach der Beschreibung des Lucian das Ver-
dienst der Anordnung gering und erinnert uns mehr an die
Compositionsweise eines Reliefs, als an die eines nach male-
rischen Principien gruppirten Gemäldes.

Trotz aller dieser Beschränkungen überragt den-
noch der Ruhm des Apelles den jedes andern Malers im
Alterthum; und um so mehr müssen wir daher veranlasst
werden zu untersuchen, durch welche Verdienste dieser Ruf

1) 35, 80.
2) 35, 107.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0229" n="221"/>
piodoro de mensuris, hoc est quanto quid a quoque distare<lb/>
deberet, sagt Plinius, <note place="foot" n="1)">35, 80.</note> womit zu verbinden ist, was er an<lb/>
einer andern Stelle <note place="foot" n="2)">35, 107.</note> bemerkt, dass Apelles den Asklepiodor<lb/>
in der &#x201E;Symmetrie&#x201C; bewunderte. Den letzteren Ausdruck<lb/>
haben wir gewöhnlich auf die Proportionen bezogen, inso-<lb/>
fern diese das gewissen Gesetzen entsprechende Grössenver-<lb/>
hältniss der Theile zum Ganzen, zunächst in einer und der-<lb/>
selben Figur bestimmen. Wo es sich aber, wie in der<lb/>
Malerei, um die Zusammenordnung mehrerer Figuren handelt,<lb/>
da wird die Symmetrie auch von dem Grössenverhältniss<lb/>
der verschiedenen Figuren unter einander verstanden werden<lb/>
dürfen; und so scheint es wenigstens in Bezug auf Askle-<lb/>
piodor Plinius zu thun, wenn er die lateinische Uebersetzung<lb/>
mensura näher erklärt als das Verhältniss der Abstände ver-<lb/>
schiedener Dinge von einander. Nach unserer heutigen<lb/>
Kunstsprache würde also hier Symmetrie eine Art von per-<lb/>
spektivischer Behandlung bezeichnen, auf welcher in grös-<lb/>
seren Compositionen das Vor- oder Zurücktreten der ein-<lb/>
zelnen Figuren und Dinge beruht. Die Disposition dagegen,<lb/>
welche wir gewöhnlich Composition nennen, hat es mit der<lb/>
Anordnung der verschiedenen Theile, ihrer Gliederung und<lb/>
Verbindung zu einem künstlerischen Ganzen zu thun. Dass<lb/>
nun in diesen beiden Beziehungen Apelles dem Asklepiodor<lb/>
und Melanthios willig den Vorrang zuerkannte, erklärt sich<lb/>
zum Theil durch einen Blick auf seine eigenen Werke. Denn<lb/>
offenbar vermied er im Bewusstsein seiner Schwäche die<lb/>
Wahl von Gegenständen, bei deren Durchführung auf jenen<lb/>
Eigenschaften eine Hauptbedingung des Erfolgs beruht hätte.<lb/>
In der einzigen figurenreichen Composition aber, welche uns<lb/>
bekannt ist, dem Bilde der Verleumdung, erscheint in der<lb/>
That wenigstens nach der Beschreibung des Lucian das Ver-<lb/>
dienst der Anordnung gering und erinnert uns mehr an die<lb/>
Compositionsweise eines Reliefs, als an die eines nach male-<lb/>
rischen Principien gruppirten Gemäldes.</p><lb/>
              <p>Trotz aller dieser Beschränkungen überragt den-<lb/>
noch der Ruhm des Apelles den jedes andern Malers im<lb/>
Alterthum; und um so mehr müssen wir daher veranlasst<lb/>
werden zu untersuchen, durch welche Verdienste dieser Ruf<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[221/0229] piodoro de mensuris, hoc est quanto quid a quoque distare deberet, sagt Plinius, 1) womit zu verbinden ist, was er an einer andern Stelle 2) bemerkt, dass Apelles den Asklepiodor in der „Symmetrie“ bewunderte. Den letzteren Ausdruck haben wir gewöhnlich auf die Proportionen bezogen, inso- fern diese das gewissen Gesetzen entsprechende Grössenver- hältniss der Theile zum Ganzen, zunächst in einer und der- selben Figur bestimmen. Wo es sich aber, wie in der Malerei, um die Zusammenordnung mehrerer Figuren handelt, da wird die Symmetrie auch von dem Grössenverhältniss der verschiedenen Figuren unter einander verstanden werden dürfen; und so scheint es wenigstens in Bezug auf Askle- piodor Plinius zu thun, wenn er die lateinische Uebersetzung mensura näher erklärt als das Verhältniss der Abstände ver- schiedener Dinge von einander. Nach unserer heutigen Kunstsprache würde also hier Symmetrie eine Art von per- spektivischer Behandlung bezeichnen, auf welcher in grös- seren Compositionen das Vor- oder Zurücktreten der ein- zelnen Figuren und Dinge beruht. Die Disposition dagegen, welche wir gewöhnlich Composition nennen, hat es mit der Anordnung der verschiedenen Theile, ihrer Gliederung und Verbindung zu einem künstlerischen Ganzen zu thun. Dass nun in diesen beiden Beziehungen Apelles dem Asklepiodor und Melanthios willig den Vorrang zuerkannte, erklärt sich zum Theil durch einen Blick auf seine eigenen Werke. Denn offenbar vermied er im Bewusstsein seiner Schwäche die Wahl von Gegenständen, bei deren Durchführung auf jenen Eigenschaften eine Hauptbedingung des Erfolgs beruht hätte. In der einzigen figurenreichen Composition aber, welche uns bekannt ist, dem Bilde der Verleumdung, erscheint in der That wenigstens nach der Beschreibung des Lucian das Ver- dienst der Anordnung gering und erinnert uns mehr an die Compositionsweise eines Reliefs, als an die eines nach male- rischen Principien gruppirten Gemäldes. Trotz aller dieser Beschränkungen überragt den- noch der Ruhm des Apelles den jedes andern Malers im Alterthum; und um so mehr müssen wir daher veranlasst werden zu untersuchen, durch welche Verdienste dieser Ruf 1) 35, 80. 2) 35, 107.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/229
Zitationshilfe: Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/229>, abgerufen am 02.05.2024.