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Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856.

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bei Tritaea in Achaia: "ein elfenbeinerner Thron und auf dem-
selben eine junge Frau von schönem Ansehen; neben ihr steht
eine Dienerin mit dem Sonnenschirme; ferner ein stehender,
noch unbärtiger Jüngling, angethan mit Chiton und einer purpur-
nen Chlamys darüber; neben ihm führt ein Diener mit Speeren
die zum Jagen tüchtigen Hunde. Ihre Namen waren nicht
zu erfahren; aber jeder konnte leicht schliessen, dass dort
ein Mann und eine Frau gemeinschaftlich begraben waren."

Dass Nikias in der Färbung (circumlitio) der Statuen
besonders tüchtig war, und deshalb namentlich von Praxi-
teles geschätzt ward (Plin. 35, 133), ist schon früher er-
wähnt worden.

Was wir ausserdem über Nikias wissen, wollen wir hier
zunächst ohne Rücksicht auf den Zusammenhang der Schule
im Einzelnen betrachten. -- Zuerst mag der grosse Eifer
hervorgehoben werden, mit welchem sich Nikias seiner
Kunst hingab, so dass er darüber öfters Bad und Frühstück
vergessen haben soll und seine Diener fragen musste, ob er
diesen Bedürfnissen schon genügt habe. 1)

Weit wichtiger für die Erkenntniss seiner Kunstrichtung
ist aber die folgende Nachricht bei Plinius: 2) "Grosse Auf-
merksamkeit wendete er auf Licht und Schatten, und achtete
mit besonderer Sorgfalt darauf, dass seine Malereien aus
den Tafeln hervorträten." Diese beiden Angaben ergänzen
sich gegenseitig, so dass sie eigentlich nur ein einziges Ur-
theil bilden. Denn der erste Satz wird durch den zweiten
näher dahin bestimmt, dass die auf Licht und Schatten ver-
wendete Sorgfalt nicht sowohl den Reiz des Farbenspieles
im Auge hatte, als eben auf jene plastische Gestaltung der
einzelnen Formen, wie der ganzen Figuren berechnet war;
und eben so lehrt wieder der erste Satz, dass jenes Hervor-
treten, wenn es auch durch die Mittel der Zeichnung, durch
Verkürzungen u. a., unterstützt werden mochte, bei Nikias
doch noch mehr auf einer richtigen Behandlung der Lichter
und Schatten beruhte. Es mag vielleicht gewagt erscheinen,
wenn wir als ein Mittel zur Erreichung dieser Zwecke hier

1) Aelian v. h. III, 31; Plutarch au seni s. resp. ger. 786 B; non posse
suav. vivi sec. Epic. 1093 C, wo dieser Eifer nur auf das Malen an der Ne-
kyia bezogen wird.
2) 35, 131.

bei Tritaea in Achaia: „ein elfenbeinerner Thron und auf dem-
selben eine junge Frau von schönem Ansehen; neben ihr steht
eine Dienerin mit dem Sonnenschirme; ferner ein stehender,
noch unbärtiger Jüngling, angethan mit Chiton und einer purpur-
nen Chlamys darüber; neben ihm führt ein Diener mit Speeren
die zum Jagen tüchtigen Hunde. Ihre Namen waren nicht
zu erfahren; aber jeder konnte leicht schliessen, dass dort
ein Mann und eine Frau gemeinschaftlich begraben waren.“

Dass Nikias in der Färbung (circumlitio) der Statuen
besonders tüchtig war, und deshalb namentlich von Praxi-
teles geschätzt ward (Plin. 35, 133), ist schon früher er-
wähnt worden.

Was wir ausserdem über Nikias wissen, wollen wir hier
zunächst ohne Rücksicht auf den Zusammenhang der Schule
im Einzelnen betrachten. — Zuerst mag der grosse Eifer
hervorgehoben werden, mit welchem sich Nikias seiner
Kunst hingab, so dass er darüber öfters Bad und Frühstück
vergessen haben soll und seine Diener fragen musste, ob er
diesen Bedürfnissen schon genügt habe. 1)

Weit wichtiger für die Erkenntniss seiner Kunstrichtung
ist aber die folgende Nachricht bei Plinius: 2) „Grosse Auf-
merksamkeit wendete er auf Licht und Schatten, und achtete
mit besonderer Sorgfalt darauf, dass seine Malereien aus
den Tafeln hervorträten.“ Diese beiden Angaben ergänzen
sich gegenseitig, so dass sie eigentlich nur ein einziges Ur-
theil bilden. Denn der erste Satz wird durch den zweiten
näher dahin bestimmt, dass die auf Licht und Schatten ver-
wendete Sorgfalt nicht sowohl den Reiz des Farbenspieles
im Auge hatte, als eben auf jene plastische Gestaltung der
einzelnen Formen, wie der ganzen Figuren berechnet war;
und eben so lehrt wieder der erste Satz, dass jenes Hervor-
treten, wenn es auch durch die Mittel der Zeichnung, durch
Verkürzungen u. a., unterstützt werden mochte, bei Nikias
doch noch mehr auf einer richtigen Behandlung der Lichter
und Schatten beruhte. Es mag vielleicht gewagt erscheinen,
wenn wir als ein Mittel zur Erreichung dieser Zwecke hier

1) Aelian v. h. III, 31; Plutarch au seni s. resp. ger. 786 B; non posse
suav. vivi sec. Epic. 1093 C, wo dieser Eifer nur auf das Malen an der Ne-
kyia bezogen wird.
2) 35, 131.
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[196/0204] bei Tritaea in Achaia: „ein elfenbeinerner Thron und auf dem- selben eine junge Frau von schönem Ansehen; neben ihr steht eine Dienerin mit dem Sonnenschirme; ferner ein stehender, noch unbärtiger Jüngling, angethan mit Chiton und einer purpur- nen Chlamys darüber; neben ihm führt ein Diener mit Speeren die zum Jagen tüchtigen Hunde. Ihre Namen waren nicht zu erfahren; aber jeder konnte leicht schliessen, dass dort ein Mann und eine Frau gemeinschaftlich begraben waren.“ Dass Nikias in der Färbung (circumlitio) der Statuen besonders tüchtig war, und deshalb namentlich von Praxi- teles geschätzt ward (Plin. 35, 133), ist schon früher er- wähnt worden. Was wir ausserdem über Nikias wissen, wollen wir hier zunächst ohne Rücksicht auf den Zusammenhang der Schule im Einzelnen betrachten. — Zuerst mag der grosse Eifer hervorgehoben werden, mit welchem sich Nikias seiner Kunst hingab, so dass er darüber öfters Bad und Frühstück vergessen haben soll und seine Diener fragen musste, ob er diesen Bedürfnissen schon genügt habe. 1) Weit wichtiger für die Erkenntniss seiner Kunstrichtung ist aber die folgende Nachricht bei Plinius: 2) „Grosse Auf- merksamkeit wendete er auf Licht und Schatten, und achtete mit besonderer Sorgfalt darauf, dass seine Malereien aus den Tafeln hervorträten.“ Diese beiden Angaben ergänzen sich gegenseitig, so dass sie eigentlich nur ein einziges Ur- theil bilden. Denn der erste Satz wird durch den zweiten näher dahin bestimmt, dass die auf Licht und Schatten ver- wendete Sorgfalt nicht sowohl den Reiz des Farbenspieles im Auge hatte, als eben auf jene plastische Gestaltung der einzelnen Formen, wie der ganzen Figuren berechnet war; und eben so lehrt wieder der erste Satz, dass jenes Hervor- treten, wenn es auch durch die Mittel der Zeichnung, durch Verkürzungen u. a., unterstützt werden mochte, bei Nikias doch noch mehr auf einer richtigen Behandlung der Lichter und Schatten beruhte. Es mag vielleicht gewagt erscheinen, wenn wir als ein Mittel zur Erreichung dieser Zwecke hier 1) Aelian v. h. III, 31; Plutarch au seni s. resp. ger. 786 B; non posse suav. vivi sec. Epic. 1093 C, wo dieser Eifer nur auf das Malen an der Ne- kyia bezogen wird. 2) 35, 131.

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/204>, abgerufen am 02.05.2024.