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Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856.

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"Nahe bei dem Tempel des Asklepios zu Epidauros ist
ein sehenswerthes rundes Gebäude, Tholos, die Kuppel ge-
nannt; darin von Pausias Hand gemalt Eros, wie er Pfeile
und Bogen weggeworfen und statt ihrer die Leier ergriffen
hat. Daselbst befindet sich auch ein Bild der Methe, eben-
falls ein Werk des Pausias, wie sie aus einer gläsernen
Schale trinkt. Man kann aber auch in dem Bilde erkennen,
dass die Schale von Glas ist, und durch sie hindurch das
Gesicht des Weibes."

Aus diesen verschiedenartigen Nachrichten wähle ich
zunächst eine Notiz aus: dass Pausias zuerst Decken gemalt
habe, und zwar gewölbte Decken. Denn auf diesen Zusatz
müssen wir den Nachdruck legen, da ein gewöhnliches Ge-
mälde auf eine flache Decke anstatt auf eine Wand gemalt
keine besondere Erwähnung verdienen würde. Dagegen
bietet die Zeichnung auf der gebogenen oder gewölbten
Fläche eine Menge von Schwierigkeiten besonderer Art dar.
Die Richtigkeit der Zeichnung überhaupt beruht darauf, dass
jeder Punkt in einem Bilde für den Beschauer in dasselbe
Verhältniss zur Horizontlinie und der den Augenpunkt schnei-
denden Verticale gesetzt werde, in welchem er dem Auge
in der Natur erscheint. Dieses zu erreichen ist nun auf der
ebenen Fläche der Wand oder Tafel deshalb leichter, weil
die beiden Grundlinien, Horizont und Verticale, in die Ebene
des Bildes fallen und daher das Verhältniss jedes Punktes
zu diesen dasselbe bleibt, wie es in der Natur auf unser
Auge wirkt. Ganz anders verhält sich dies bei der Fläche
eines Gewölbes. Hier liegen diese Grundlinien zum Theil
ausserhalb der Fläche; und in Folge dessen müssen alle in
derselben darzustellenden Punkte aus ihrem natürlichen Ver-
hältnisse zu jenen Linien in ein rein constructives übergehen.
Hier tritt also der Künstler auf ein Gebiet, auf welchem die
blosse Beobachtung der Natur und ihrer Formen nicht mehr
ausreicht, sondern eine bestimmte Kenntniss optischer Ge-
setze erheischt wird. Eine Analogie können uns schon die
Bilder mancher Vasen gewähren, bei welchen die auf einer
starken Biegung ihres Körpers aufgetragenen Figuren in ge-
nauer Durchzeichnung ausser aller Proportion zu erscheinen
pflegen, während sie auf der Vase selbst einen durchaus
correcten Eindruck machen. Hier genügt übrigens, um das

„Nahe bei dem Tempel des Asklepios zu Epidauros ist
ein sehenswerthes rundes Gebäude, Tholos, die Kuppel ge-
nannt; darin von Pausias Hand gemalt Eros, wie er Pfeile
und Bogen weggeworfen und statt ihrer die Leier ergriffen
hat. Daselbst befindet sich auch ein Bild der Methe, eben-
falls ein Werk des Pausias, wie sie aus einer gläsernen
Schale trinkt. Man kann aber auch in dem Bilde erkennen,
dass die Schale von Glas ist, und durch sie hindurch das
Gesicht des Weibes.“

Aus diesen verschiedenartigen Nachrichten wähle ich
zunächst eine Notiz aus: dass Pausias zuerst Decken gemalt
habe, und zwar gewölbte Decken. Denn auf diesen Zusatz
müssen wir den Nachdruck legen, da ein gewöhnliches Ge-
mälde auf eine flache Decke anstatt auf eine Wand gemalt
keine besondere Erwähnung verdienen würde. Dagegen
bietet die Zeichnung auf der gebogenen oder gewölbten
Fläche eine Menge von Schwierigkeiten besonderer Art dar.
Die Richtigkeit der Zeichnung überhaupt beruht darauf, dass
jeder Punkt in einem Bilde für den Beschauer in dasselbe
Verhältniss zur Horizontlinie und der den Augenpunkt schnei-
denden Verticale gesetzt werde, in welchem er dem Auge
in der Natur erscheint. Dieses zu erreichen ist nun auf der
ebenen Fläche der Wand oder Tafel deshalb leichter, weil
die beiden Grundlinien, Horizont und Verticale, in die Ebene
des Bildes fallen und daher das Verhältniss jedes Punktes
zu diesen dasselbe bleibt, wie es in der Natur auf unser
Auge wirkt. Ganz anders verhält sich dies bei der Fläche
eines Gewölbes. Hier liegen diese Grundlinien zum Theil
ausserhalb der Fläche; und in Folge dessen müssen alle in
derselben darzustellenden Punkte aus ihrem natürlichen Ver-
hältnisse zu jenen Linien in ein rein constructives übergehen.
Hier tritt also der Künstler auf ein Gebiet, auf welchem die
blosse Beobachtung der Natur und ihrer Formen nicht mehr
ausreicht, sondern eine bestimmte Kenntniss optischer Ge-
setze erheischt wird. Eine Analogie können uns schon die
Bilder mancher Vasen gewähren, bei welchen die auf einer
starken Biegung ihres Körpers aufgetragenen Figuren in ge-
nauer Durchzeichnung ausser aller Proportion zu erscheinen
pflegen, während sie auf der Vase selbst einen durchaus
correcten Eindruck machen. Hier genügt übrigens, um das

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[146/0154] „Nahe bei dem Tempel des Asklepios zu Epidauros ist ein sehenswerthes rundes Gebäude, Tholos, die Kuppel ge- nannt; darin von Pausias Hand gemalt Eros, wie er Pfeile und Bogen weggeworfen und statt ihrer die Leier ergriffen hat. Daselbst befindet sich auch ein Bild der Methe, eben- falls ein Werk des Pausias, wie sie aus einer gläsernen Schale trinkt. Man kann aber auch in dem Bilde erkennen, dass die Schale von Glas ist, und durch sie hindurch das Gesicht des Weibes.“ Aus diesen verschiedenartigen Nachrichten wähle ich zunächst eine Notiz aus: dass Pausias zuerst Decken gemalt habe, und zwar gewölbte Decken. Denn auf diesen Zusatz müssen wir den Nachdruck legen, da ein gewöhnliches Ge- mälde auf eine flache Decke anstatt auf eine Wand gemalt keine besondere Erwähnung verdienen würde. Dagegen bietet die Zeichnung auf der gebogenen oder gewölbten Fläche eine Menge von Schwierigkeiten besonderer Art dar. Die Richtigkeit der Zeichnung überhaupt beruht darauf, dass jeder Punkt in einem Bilde für den Beschauer in dasselbe Verhältniss zur Horizontlinie und der den Augenpunkt schnei- denden Verticale gesetzt werde, in welchem er dem Auge in der Natur erscheint. Dieses zu erreichen ist nun auf der ebenen Fläche der Wand oder Tafel deshalb leichter, weil die beiden Grundlinien, Horizont und Verticale, in die Ebene des Bildes fallen und daher das Verhältniss jedes Punktes zu diesen dasselbe bleibt, wie es in der Natur auf unser Auge wirkt. Ganz anders verhält sich dies bei der Fläche eines Gewölbes. Hier liegen diese Grundlinien zum Theil ausserhalb der Fläche; und in Folge dessen müssen alle in derselben darzustellenden Punkte aus ihrem natürlichen Ver- hältnisse zu jenen Linien in ein rein constructives übergehen. Hier tritt also der Künstler auf ein Gebiet, auf welchem die blosse Beobachtung der Natur und ihrer Formen nicht mehr ausreicht, sondern eine bestimmte Kenntniss optischer Ge- setze erheischt wird. Eine Analogie können uns schon die Bilder mancher Vasen gewähren, bei welchen die auf einer starken Biegung ihres Körpers aufgetragenen Figuren in ge- nauer Durchzeichnung ausser aller Proportion zu erscheinen pflegen, während sie auf der Vase selbst einen durchaus correcten Eindruck machen. Hier genügt übrigens, um das

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/154>, abgerufen am 27.04.2024.