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Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856.

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dass diese Wirkung nur durch jene feine Beobachtung der
Lichter, Schatten und Reflexe erreicht wurde, welche den
Falten erst Körper und Rundung zu verleihen vermochte.

Also auch hier begegnen wir wieder der Durchbildung
der Form. Aber wenn wir ihr auch in diesem letzten Bei-
spiele eine ausschliessliche Bedeutung zugestehen mögen, so
ändert sich dieses Verhältniss vielfach gerade in Beziehung auf
diejenigen Punkte, auf welche Plinius einen besondern Nach-
druck legt. Bei den einzelnen feinen Zügen des Antlitzes,
selbst bei den Extremitäten, wie den Fingern in ihrer mannigfal-
tigen Bewegung, nimmt nicht sowohl die Form an sich un-
sere Aufmerksamkeit in Anspruch, als der Ausdruck, welcher
sich in diesen Formen ausspricht. Wir haben deshalb unsere
Untersuchung auf die Frage hinzulenken, ob die ganze
bisher erörterte Richtung des Parrhasios, weit entfernt, an
sich Zweck zu sein, nicht blos die Grundlage abgegeben
habe, um zu einer wesentlich verfeinerten Darstellung gei-
stigen Ausdrucks zu gelangen.

Zur Beantwortung dieser Frage wollen wir uns den
Weg bahnen durch einen Blick auf das Gespräch des Künst-
lers mit Sokrates, welches uns Xenophon 1) aufbewahrt hat.
Hier definirt Sokrates die Malerei zunächst als die Nachbil-
dung der sichtbaren Eigenschaften der Dinge (e eikasia ton
oromenon), indem man ja Hohles, Hohes, Dunkles, Helles,
Hartes, Weiches, Rauhes, Glattes, Junges und Altes an den
Körpern durch Farben darstelle. Dieses könne der Maler
mehr portraitmässig wiedergeben; aber da selten in einem
Menschen Alles untadelhaft gefunden werde, so dürfe er
auch aus einzelnen Körpern einzelne Schönheiten auswählen
und aus ihnen ein einziges schöne Ganze, ein Ideal zusam-
menstellen. Wie aber nun, fragt er weiter, verhält es sich
mit dem Nachbilden des Ethos der Seele, des Einnehmenden,
Freundlichen, Liebenswürdigen, Sehnsüchtigen, Reizenden?
oder lässt sich das nicht nachbilden? Parrhasios antwortet
zuerst ausweichend: dies habe ja keine von jenen körper-
lichen Eigenschaften, keine Symmetrie, keine Farbe, und sei
überhaupt nichts Sichtbares. Da wendet Sokrates sehr schön
das Gespräch auf die Bildung der Augen, -- denn darauf

1) Mem. III, 10.

dass diese Wirkung nur durch jene feine Beobachtung der
Lichter, Schatten und Reflexe erreicht wurde, welche den
Falten erst Körper und Rundung zu verleihen vermochte.

Also auch hier begegnen wir wieder der Durchbildung
der Form. Aber wenn wir ihr auch in diesem letzten Bei-
spiele eine ausschliessliche Bedeutung zugestehen mögen, so
ändert sich dieses Verhältniss vielfach gerade in Beziehung auf
diejenigen Punkte, auf welche Plinius einen besondern Nach-
druck legt. Bei den einzelnen feinen Zügen des Antlitzes,
selbst bei den Extremitäten, wie den Fingern in ihrer mannigfal-
tigen Bewegung, nimmt nicht sowohl die Form an sich un-
sere Aufmerksamkeit in Anspruch, als der Ausdruck, welcher
sich in diesen Formen ausspricht. Wir haben deshalb unsere
Untersuchung auf die Frage hinzulenken, ob die ganze
bisher erörterte Richtung des Parrhasios, weit entfernt, an
sich Zweck zu sein, nicht blos die Grundlage abgegeben
habe, um zu einer wesentlich verfeinerten Darstellung gei-
stigen Ausdrucks zu gelangen.

Zur Beantwortung dieser Frage wollen wir uns den
Weg bahnen durch einen Blick auf das Gespräch des Künst-
lers mit Sokrates, welches uns Xenophon 1) aufbewahrt hat.
Hier definirt Sokrates die Malerei zunächst als die Nachbil-
dung der sichtbaren Eigenschaften der Dinge (ἡ εἰκασία τῶν
ὁϱωμένων), indem man ja Hohles, Hohes, Dunkles, Helles,
Hartes, Weiches, Rauhes, Glattes, Junges und Altes an den
Körpern durch Farben darstelle. Dieses könne der Maler
mehr portraitmässig wiedergeben; aber da selten in einem
Menschen Alles untadelhaft gefunden werde, so dürfe er
auch aus einzelnen Körpern einzelne Schönheiten auswählen
und aus ihnen ein einziges schöne Ganze, ein Ideal zusam-
menstellen. Wie aber nun, fragt er weiter, verhält es sich
mit dem Nachbilden des Ethos der Seele, des Einnehmenden,
Freundlichen, Liebenswürdigen, Sehnsüchtigen, Reizenden?
oder lässt sich das nicht nachbilden? Parrhasios antwortet
zuerst ausweichend: dies habe ja keine von jenen körper-
lichen Eigenschaften, keine Symmetrie, keine Farbe, und sei
überhaupt nichts Sichtbares. Da wendet Sokrates sehr schön
das Gespräch auf die Bildung der Augen, — denn darauf

1) Mem. III, 10.
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[108/0116] dass diese Wirkung nur durch jene feine Beobachtung der Lichter, Schatten und Reflexe erreicht wurde, welche den Falten erst Körper und Rundung zu verleihen vermochte. Also auch hier begegnen wir wieder der Durchbildung der Form. Aber wenn wir ihr auch in diesem letzten Bei- spiele eine ausschliessliche Bedeutung zugestehen mögen, so ändert sich dieses Verhältniss vielfach gerade in Beziehung auf diejenigen Punkte, auf welche Plinius einen besondern Nach- druck legt. Bei den einzelnen feinen Zügen des Antlitzes, selbst bei den Extremitäten, wie den Fingern in ihrer mannigfal- tigen Bewegung, nimmt nicht sowohl die Form an sich un- sere Aufmerksamkeit in Anspruch, als der Ausdruck, welcher sich in diesen Formen ausspricht. Wir haben deshalb unsere Untersuchung auf die Frage hinzulenken, ob die ganze bisher erörterte Richtung des Parrhasios, weit entfernt, an sich Zweck zu sein, nicht blos die Grundlage abgegeben habe, um zu einer wesentlich verfeinerten Darstellung gei- stigen Ausdrucks zu gelangen. Zur Beantwortung dieser Frage wollen wir uns den Weg bahnen durch einen Blick auf das Gespräch des Künst- lers mit Sokrates, welches uns Xenophon 1) aufbewahrt hat. Hier definirt Sokrates die Malerei zunächst als die Nachbil- dung der sichtbaren Eigenschaften der Dinge (ἡ εἰκασία τῶν ὁϱωμένων), indem man ja Hohles, Hohes, Dunkles, Helles, Hartes, Weiches, Rauhes, Glattes, Junges und Altes an den Körpern durch Farben darstelle. Dieses könne der Maler mehr portraitmässig wiedergeben; aber da selten in einem Menschen Alles untadelhaft gefunden werde, so dürfe er auch aus einzelnen Körpern einzelne Schönheiten auswählen und aus ihnen ein einziges schöne Ganze, ein Ideal zusam- menstellen. Wie aber nun, fragt er weiter, verhält es sich mit dem Nachbilden des Ethos der Seele, des Einnehmenden, Freundlichen, Liebenswürdigen, Sehnsüchtigen, Reizenden? oder lässt sich das nicht nachbilden? Parrhasios antwortet zuerst ausweichend: dies habe ja keine von jenen körper- lichen Eigenschaften, keine Symmetrie, keine Farbe, und sei überhaupt nichts Sichtbares. Da wendet Sokrates sehr schön das Gespräch auf die Bildung der Augen, — denn darauf 1) Mem. III, 10.

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/116>, abgerufen am 28.04.2024.