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Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856.

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verursacht hat. Dort heisst es: die Cisellirungen an dem
Schilde der kolossalen ehernen Pallas des Phidias habe Mys
nach den Zeichnungen des Parrhasios ausgeführt. Ich selbst
glaubte früher 1) daraus schliessen zu müssen, dass diese Ar-
beiten erst ein Menschenalter nach Phidias der Statue ange-
fügt seien. Im Hinblick auf die obige Bestimmung ist jedoch
vielleicht die Annahme erlaubt, dass der grosse Bildhauer
selbst, durch seine vielseitige Thätigkeit für die perikleischen
Bauten zu sehr in Anspruch genommen, die Zeichnung für
jenes Beiwerk dem Parrhasios, sei es auch noch in ganz
jugendlichem Alter, aufgetragen habe, indem sich das hervor-
ragende Talent dieses Künstlers für Zeichnung schon früh
namentlich dem Blicke eines Phidias verrathen haben konnte.
-- Mit den bisherigen Erörterungen durchaus unvereinbar
ist die Erzählung des Seneca: 2) Parrhasios habe nach der
Eroberung Olynth's durch Philipp einen der gefangenen Greise
gekauft, nach Athen geführt, gemartert und nach diesem Mo-
delle den Prometheus gemalt; der Olynthier sei auf der
Marter gestorben; das Bild vom Künstler im Tempel der Mi-
nerva aufgestellt, er selbst aber wegen Verletzung der Reli-
gion angeklagt worden. Danach müsste Parrhasios Ol. 108, 2,
also 52 Jahre nach Sokrates Tode, noch gelebt haben. Die
Unwahrscheinlichkeit der ganzen Sache hat schon Lange 3)
aus dem Schweigen der alten Schriftsteller, sowie aus den
attischen Rechten nachgewiesen und damit die Sage ver-
glichen, dass dem Michel Angelo für die Ausführung des
Christus in der Carthause zu Neapel ein Mensch gekreuzigt
worden sei. Allein dieses Nachweises bedurfte es kaum:
denn die ganze Erzählung ist ein zum Behuf von Redeübungen
erdichtetes Thema, ähnlich dem über Phidias: 4) wobei auf
chronologische Richtigkeit der Nebenumstände gewiss durch-
aus kein Gewicht gelegt wurde.

Von den Werken des Parrhasios kennen wir folgende:

Hermes: Themist. XIV. Dieses Gemälde soll nicht ei-
gentlich den Gott, sondern des Künstlers eigenes Bild darge-
stellt haben, dem er nur den Namen des Gottes beigeschrie-
ben, um den Vorwurf der Unanständigkeit und Eigenliebe
von sich abzuwenden.

1) I, S. 182.
2) Controv. V, 10.
3) im Kunstblatt 1818, N. 14.
4) VIII, 2.

verursacht hat. Dort heisst es: die Cisellirungen an dem
Schilde der kolossalen ehernen Pallas des Phidias habe Mys
nach den Zeichnungen des Parrhasios ausgeführt. Ich selbst
glaubte früher 1) daraus schliessen zu müssen, dass diese Ar-
beiten erst ein Menschenalter nach Phidias der Statue ange-
fügt seien. Im Hinblick auf die obige Bestimmung ist jedoch
vielleicht die Annahme erlaubt, dass der grosse Bildhauer
selbst, durch seine vielseitige Thätigkeit für die perikleischen
Bauten zu sehr in Anspruch genommen, die Zeichnung für
jenes Beiwerk dem Parrhasios, sei es auch noch in ganz
jugendlichem Alter, aufgetragen habe, indem sich das hervor-
ragende Talent dieses Künstlers für Zeichnung schon früh
namentlich dem Blicke eines Phidias verrathen haben konnte.
— Mit den bisherigen Erörterungen durchaus unvereinbar
ist die Erzählung des Seneca: 2) Parrhasios habe nach der
Eroberung Olynth’s durch Philipp einen der gefangenen Greise
gekauft, nach Athen geführt, gemartert und nach diesem Mo-
delle den Prometheus gemalt; der Olynthier sei auf der
Marter gestorben; das Bild vom Künstler im Tempel der Mi-
nerva aufgestellt, er selbst aber wegen Verletzung der Reli-
gion angeklagt worden. Danach müsste Parrhasios Ol. 108, 2,
also 52 Jahre nach Sokrates Tode, noch gelebt haben. Die
Unwahrscheinlichkeit der ganzen Sache hat schon Lange 3)
aus dem Schweigen der alten Schriftsteller, sowie aus den
attischen Rechten nachgewiesen und damit die Sage ver-
glichen, dass dem Michel Angelo für die Ausführung des
Christus in der Carthause zu Neapel ein Mensch gekreuzigt
worden sei. Allein dieses Nachweises bedurfte es kaum:
denn die ganze Erzählung ist ein zum Behuf von Redeübungen
erdichtetes Thema, ähnlich dem über Phidias: 4) wobei auf
chronologische Richtigkeit der Nebenumstände gewiss durch-
aus kein Gewicht gelegt wurde.

Von den Werken des Parrhasios kennen wir folgende:

Hermes: Themist. XIV. Dieses Gemälde soll nicht ei-
gentlich den Gott, sondern des Künstlers eigenes Bild darge-
stellt haben, dem er nur den Namen des Gottes beigeschrie-
ben, um den Vorwurf der Unanständigkeit und Eigenliebe
von sich abzuwenden.

1) I, S. 182.
2) Controv. V, 10.
3) im Kunstblatt 1818, N. 14.
4) VIII, 2.
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[98/0106] verursacht hat. Dort heisst es: die Cisellirungen an dem Schilde der kolossalen ehernen Pallas des Phidias habe Mys nach den Zeichnungen des Parrhasios ausgeführt. Ich selbst glaubte früher 1) daraus schliessen zu müssen, dass diese Ar- beiten erst ein Menschenalter nach Phidias der Statue ange- fügt seien. Im Hinblick auf die obige Bestimmung ist jedoch vielleicht die Annahme erlaubt, dass der grosse Bildhauer selbst, durch seine vielseitige Thätigkeit für die perikleischen Bauten zu sehr in Anspruch genommen, die Zeichnung für jenes Beiwerk dem Parrhasios, sei es auch noch in ganz jugendlichem Alter, aufgetragen habe, indem sich das hervor- ragende Talent dieses Künstlers für Zeichnung schon früh namentlich dem Blicke eines Phidias verrathen haben konnte. — Mit den bisherigen Erörterungen durchaus unvereinbar ist die Erzählung des Seneca: 2) Parrhasios habe nach der Eroberung Olynth’s durch Philipp einen der gefangenen Greise gekauft, nach Athen geführt, gemartert und nach diesem Mo- delle den Prometheus gemalt; der Olynthier sei auf der Marter gestorben; das Bild vom Künstler im Tempel der Mi- nerva aufgestellt, er selbst aber wegen Verletzung der Reli- gion angeklagt worden. Danach müsste Parrhasios Ol. 108, 2, also 52 Jahre nach Sokrates Tode, noch gelebt haben. Die Unwahrscheinlichkeit der ganzen Sache hat schon Lange 3) aus dem Schweigen der alten Schriftsteller, sowie aus den attischen Rechten nachgewiesen und damit die Sage ver- glichen, dass dem Michel Angelo für die Ausführung des Christus in der Carthause zu Neapel ein Mensch gekreuzigt worden sei. Allein dieses Nachweises bedurfte es kaum: denn die ganze Erzählung ist ein zum Behuf von Redeübungen erdichtetes Thema, ähnlich dem über Phidias: 4) wobei auf chronologische Richtigkeit der Nebenumstände gewiss durch- aus kein Gewicht gelegt wurde. Von den Werken des Parrhasios kennen wir folgende: Hermes: Themist. XIV. Dieses Gemälde soll nicht ei- gentlich den Gott, sondern des Künstlers eigenes Bild darge- stellt haben, dem er nur den Namen des Gottes beigeschrie- ben, um den Vorwurf der Unanständigkeit und Eigenliebe von sich abzuwenden. 1) I, S. 182. 2) Controv. V, 10. 3) im Kunstblatt 1818, N. 14. 4) VIII, 2.

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/106>, abgerufen am 28.04.2024.