Werke Raphaels aus der Zeit seiner vollsten und freiesten Entwicklung betrachtet hat, wird den kräftigen Bau, nament- lich die kräftigen Arme seiner Frauengestalten aus dem Ge- dächtnisse verloren haben, für welche man gewöhnlich das mannhafte Geschlecht der Trasteverinerinnen als Vorbild an- zuführen pflegt. Je nach dem verschiedenen Standpunkte der Beschauer nun kann man über diese Eigenthümlichkeit ent- weder das Urtheil des Plinius oder das des Quintilian sich wiederholen hören: das tadelnde aus dem Munde derer, welche in einer gewissen knappen und exacten Zeichnung das höchste Verdienst erkennen, das lobende von denen, welche jene breite Manier der malerischen Behandlung als den grössten Vorzug preisen. Ganz auf dieselbe Weise er- klärt sich denn auch der Widerspruch in der Beurtheilung des Zeuxis.
So dürfen wir es nun zuversichtlicher aussprechen, dass Zeuxis in seiner ganzen Thätigkeit von einer überwiegenden Berücksichtigung des Malerischen ausging, wodurch er mit Nothwendigkeit darauf hingeführt wurde, vor allem die äussere Erscheinung der Dinge zu beachten und auf Illu- sion hinzuarbeiten. Es erscheint dabei als durchaus natur- gemäss, wenn diese Richtung des Zeuxis nicht einzig auf die technische Seite seiner Kunst, auf die Ausführung beschränkt blieb, sondern ihren Einfluss überhaupt in seiner ganzen Auffassung zeigte. Sie lenkte die Aufmerksamkeit des Künst- lers von der höheren ethischen Bedeutung des Kunstwerks ab und veranlasste ihn, dafür in Darstellungen Ersatz zu su- chen, welche durch eine gefällige äussere Anordnung, sowie durch eine geschickte Wahl des Moments und der Situationen anzogen und überraschten. Allein so gewandt sich auch Zeuxis hierin erwies, so konnte er doch damit für den Man- gel an tieferem geistigen Gehalte nicht entschädigen, sondern den Beschauer höchstens darüber täuschen.
Nachdem wir die künstlerische Wirksamkeit des Zeuxis nach ihren einzelnen Richtungen betrachtet haben, bleibt uns noch übrig, über seine Stellung in der Entwickelungsge- schichte der Malerei im Allgemeinen uns bestimmter auszu- sprechen. Schon im Alterthume scheinen sich in dieser Be- ziehung zwei Meinungen gegenübergestanden zu haben, als deren hauptsächlichste Vertreter wir Aristoteles und Plinius
Werke Raphaels aus der Zeit seiner vollsten und freiesten Entwicklung betrachtet hat, wird den kräftigen Bau, nament- lich die kräftigen Arme seiner Frauengestalten aus dem Ge- dächtnisse verloren haben, für welche man gewöhnlich das mannhafte Geschlecht der Trasteverinerinnen als Vorbild an- zuführen pflegt. Je nach dem verschiedenen Standpunkte der Beschauer nun kann man über diese Eigenthümlichkeit ent- weder das Urtheil des Plinius oder das des Quintilian sich wiederholen hören: das tadelnde aus dem Munde derer, welche in einer gewissen knappen und exacten Zeichnung das höchste Verdienst erkennen, das lobende von denen, welche jene breite Manier der malerischen Behandlung als den grössten Vorzug preisen. Ganz auf dieselbe Weise er- klärt sich denn auch der Widerspruch in der Beurtheilung des Zeuxis.
So dürfen wir es nun zuversichtlicher aussprechen, dass Zeuxis in seiner ganzen Thätigkeit von einer überwiegenden Berücksichtigung des Malerischen ausging, wodurch er mit Nothwendigkeit darauf hingeführt wurde, vor allem die äussere Erscheinung der Dinge zu beachten und auf Illu- sion hinzuarbeiten. Es erscheint dabei als durchaus natur- gemäss, wenn diese Richtung des Zeuxis nicht einzig auf die technische Seite seiner Kunst, auf die Ausführung beschränkt blieb, sondern ihren Einfluss überhaupt in seiner ganzen Auffassung zeigte. Sie lenkte die Aufmerksamkeit des Künst- lers von der höheren ethischen Bedeutung des Kunstwerks ab und veranlasste ihn, dafür in Darstellungen Ersatz zu su- chen, welche durch eine gefällige äussere Anordnung, sowie durch eine geschickte Wahl des Moments und der Situationen anzogen und überraschten. Allein so gewandt sich auch Zeuxis hierin erwies, so konnte er doch damit für den Man- gel an tieferem geistigen Gehalte nicht entschädigen, sondern den Beschauer höchstens darüber täuschen.
Nachdem wir die künstlerische Wirksamkeit des Zeuxis nach ihren einzelnen Richtungen betrachtet haben, bleibt uns noch übrig, über seine Stellung in der Entwickelungsge- schichte der Malerei im Allgemeinen uns bestimmter auszu- sprechen. Schon im Alterthume scheinen sich in dieser Be- ziehung zwei Meinungen gegenübergestanden zu haben, als deren hauptsächlichste Vertreter wir Aristoteles und Plinius
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0101"n="93"/>
Werke Raphaels aus der Zeit seiner vollsten und freiesten<lb/>
Entwicklung betrachtet hat, wird den kräftigen Bau, nament-<lb/>
lich die kräftigen Arme seiner Frauengestalten aus dem Ge-<lb/>
dächtnisse verloren haben, für welche man gewöhnlich das<lb/>
mannhafte Geschlecht der Trasteverinerinnen als Vorbild an-<lb/>
zuführen pflegt. Je nach dem verschiedenen Standpunkte der<lb/>
Beschauer nun kann man über diese Eigenthümlichkeit ent-<lb/>
weder das Urtheil des Plinius oder das des Quintilian sich<lb/>
wiederholen hören: das tadelnde aus dem Munde derer,<lb/>
welche in einer gewissen knappen und exacten Zeichnung<lb/>
das höchste Verdienst erkennen, das lobende von denen,<lb/>
welche jene breite Manier der malerischen Behandlung als<lb/>
den grössten Vorzug preisen. Ganz auf dieselbe Weise er-<lb/>
klärt sich denn auch der Widerspruch in der Beurtheilung<lb/>
des Zeuxis.</p><lb/><p>So dürfen wir es nun zuversichtlicher aussprechen, dass<lb/>
Zeuxis in seiner ganzen Thätigkeit von einer überwiegenden<lb/>
Berücksichtigung des <hirendition="#g">Malerischen</hi> ausging, wodurch er<lb/>
mit Nothwendigkeit darauf hingeführt wurde, vor allem die<lb/><hirendition="#g">äussere</hi> Erscheinung der Dinge zu beachten und auf Illu-<lb/>
sion hinzuarbeiten. Es erscheint dabei als durchaus natur-<lb/>
gemäss, wenn diese Richtung des Zeuxis nicht einzig auf die<lb/>
technische Seite seiner Kunst, auf die Ausführung beschränkt<lb/>
blieb, sondern ihren Einfluss überhaupt in seiner ganzen<lb/>
Auffassung zeigte. Sie lenkte die Aufmerksamkeit des Künst-<lb/>
lers von der höheren ethischen Bedeutung des Kunstwerks<lb/>
ab und veranlasste ihn, dafür in Darstellungen Ersatz zu su-<lb/>
chen, welche durch eine gefällige äussere Anordnung, sowie<lb/>
durch eine geschickte Wahl des Moments und der Situationen<lb/>
anzogen und überraschten. Allein so gewandt sich auch<lb/>
Zeuxis hierin erwies, so konnte er doch damit für den Man-<lb/>
gel an tieferem geistigen Gehalte nicht entschädigen, sondern<lb/>
den Beschauer höchstens darüber täuschen.</p><lb/><p>Nachdem wir die künstlerische Wirksamkeit des Zeuxis<lb/>
nach ihren einzelnen Richtungen betrachtet haben, bleibt uns<lb/>
noch übrig, über seine Stellung in der Entwickelungsge-<lb/>
schichte der Malerei im Allgemeinen uns bestimmter auszu-<lb/>
sprechen. Schon im Alterthume scheinen sich in dieser Be-<lb/>
ziehung zwei Meinungen gegenübergestanden zu haben, als<lb/>
deren hauptsächlichste Vertreter wir Aristoteles und Plinius<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[93/0101]
Werke Raphaels aus der Zeit seiner vollsten und freiesten
Entwicklung betrachtet hat, wird den kräftigen Bau, nament-
lich die kräftigen Arme seiner Frauengestalten aus dem Ge-
dächtnisse verloren haben, für welche man gewöhnlich das
mannhafte Geschlecht der Trasteverinerinnen als Vorbild an-
zuführen pflegt. Je nach dem verschiedenen Standpunkte der
Beschauer nun kann man über diese Eigenthümlichkeit ent-
weder das Urtheil des Plinius oder das des Quintilian sich
wiederholen hören: das tadelnde aus dem Munde derer,
welche in einer gewissen knappen und exacten Zeichnung
das höchste Verdienst erkennen, das lobende von denen,
welche jene breite Manier der malerischen Behandlung als
den grössten Vorzug preisen. Ganz auf dieselbe Weise er-
klärt sich denn auch der Widerspruch in der Beurtheilung
des Zeuxis.
So dürfen wir es nun zuversichtlicher aussprechen, dass
Zeuxis in seiner ganzen Thätigkeit von einer überwiegenden
Berücksichtigung des Malerischen ausging, wodurch er
mit Nothwendigkeit darauf hingeführt wurde, vor allem die
äussere Erscheinung der Dinge zu beachten und auf Illu-
sion hinzuarbeiten. Es erscheint dabei als durchaus natur-
gemäss, wenn diese Richtung des Zeuxis nicht einzig auf die
technische Seite seiner Kunst, auf die Ausführung beschränkt
blieb, sondern ihren Einfluss überhaupt in seiner ganzen
Auffassung zeigte. Sie lenkte die Aufmerksamkeit des Künst-
lers von der höheren ethischen Bedeutung des Kunstwerks
ab und veranlasste ihn, dafür in Darstellungen Ersatz zu su-
chen, welche durch eine gefällige äussere Anordnung, sowie
durch eine geschickte Wahl des Moments und der Situationen
anzogen und überraschten. Allein so gewandt sich auch
Zeuxis hierin erwies, so konnte er doch damit für den Man-
gel an tieferem geistigen Gehalte nicht entschädigen, sondern
den Beschauer höchstens darüber täuschen.
Nachdem wir die künstlerische Wirksamkeit des Zeuxis
nach ihren einzelnen Richtungen betrachtet haben, bleibt uns
noch übrig, über seine Stellung in der Entwickelungsge-
schichte der Malerei im Allgemeinen uns bestimmter auszu-
sprechen. Schon im Alterthume scheinen sich in dieser Be-
ziehung zwei Meinungen gegenübergestanden zu haben, als
deren hauptsächlichste Vertreter wir Aristoteles und Plinius
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brunn, Heinrich: Geschichte der griechischen Künstler. T. 2, Abt. 1. Braunschweig, 1856, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen0201_1856/101>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.