Ich habe die Erörterungen über diese erste historische Periode mit der Behauptung begonnen, dass die eigentliche Geschichte der Künstler erst um das Jahr 600 v. Chr. zwischen Ol. 40--50 beginne. Den Beweis mussten die einzelnen Un- tersuchungen liefern. Es war aber dabei nöthig, einen Weg einzuschlagen, der von dem meiner Vorgänger namentlich in einer Richtung abweicht. Viele der eben besprochenen Künst- ler erscheinen nach unseren Quellen noch als halb der Sage angehörig. Anstatt nun von dieser auszugehen, fragte ich zu- erst, ob neben ihr nicht eine geschichtliche Thatsache einen festeren Haltpunkt für die Untersuchung darbiete. Es war überall der Fall: ich stellte also diese Thatsache fest und wen- dete mich nun erst zur Betrachtung der Sage, nicht um sie schlechtweg zu verwerfen, sondern um sie zu erklären. Es gelang dies überall in so fern, als sich theils die Ver- anlassung der Entstehung, theils der Grund des Irrthums in der Ueberlieferung nachweisen liess, ohne dass dadurch unseren Gewährsmännern Gewalt angethan wurde. Wem etwa über Einzelnes noch Zweifel geblieben sind, der über- blicke die ganzen Untersuchungen in ihrem Zusammenhange: er versuche es, die Sage, wie sie ist, zu vertheidigen, aber er versuche es mit Consequenz, und es wird kein anderer Ausweg bleiben, als alle die Künstler, welche noch mit der Sage verknüpft sind, Smilis, Theodoros und Rhoekos, Dipoenos und Skyllis, Klearch, und selbst noch einige andere in der nächsten Epoche ohne Ausnahme zu verdoppeln: gewiss ein verzweifeltes Auskunftsmittel, welches allein schon den Beweis liefern kann, dass bei allen Verwirrungen der Chronologie dieselbe Ursache gleichmässig gewirkt hat, nemlich der Man- gel an richtigem Verständniss halb sagenhafter Angaben. Ist es mir nun gelungen, diese Verwirrung überall von ein und demselben Standpunkte aus zu lösen, so ist dieses Gelingen selbst eine Gewähr mehr für die Richtigkeit des angewendeten Heilmittels.
Betrachten wir aber unbefangen den ganzen Zustand Griechenlands um das Jahr 600, so werden wir dadurch gleich- falls vielmehr einen Grund für, als gegen die Richtigkeit der bisherigen Ergebnisse finden. Nicht äussere politische Ereig- nisse von grosser Bedeutung sind es, welche um diese Zeit
Rückblick.
Ich habe die Erörterungen über diese erste historische Periode mit der Behauptung begonnen, dass die eigentliche Geschichte der Künstler erst um das Jahr 600 v. Chr. zwischen Ol. 40—50 beginne. Den Beweis mussten die einzelnen Un- tersuchungen liefern. Es war aber dabei nöthig, einen Weg einzuschlagen, der von dem meiner Vorgänger namentlich in einer Richtung abweicht. Viele der eben besprochenen Künst- ler erscheinen nach unseren Quellen noch als halb der Sage angehörig. Anstatt nun von dieser auszugehen, fragte ich zu- erst, ob neben ihr nicht eine geschichtliche Thatsache einen festeren Haltpunkt für die Untersuchung darbiete. Es war überall der Fall: ich stellte also diese Thatsache fest und wen- dete mich nun erst zur Betrachtung der Sage, nicht um sie schlechtweg zu verwerfen, sondern um sie zu erklären. Es gelang dies überall in so fern, als sich theils die Ver- anlassung der Entstehung, theils der Grund des Irrthums in der Ueberlieferung nachweisen liess, ohne dass dadurch unseren Gewährsmännern Gewalt angethan wurde. Wem etwa über Einzelnes noch Zweifel geblieben sind, der über- blicke die ganzen Untersuchungen in ihrem Zusammenhange: er versuche es, die Sage, wie sie ist, zu vertheidigen, aber er versuche es mit Consequenz, und es wird kein anderer Ausweg bleiben, als alle die Künstler, welche noch mit der Sage verknüpft sind, Smilis, Theodoros und Rhoekos, Dipoenos und Skyllis, Klearch, und selbst noch einige andere in der nächsten Epoche ohne Ausnahme zu verdoppeln: gewiss ein verzweifeltes Auskunftsmittel, welches allein schon den Beweis liefern kann, dass bei allen Verwirrungen der Chronologie dieselbe Ursache gleichmässig gewirkt hat, nemlich der Man- gel an richtigem Verständniss halb sagenhafter Angaben. Ist es mir nun gelungen, diese Verwirrung überall von ein und demselben Standpunkte aus zu lösen, so ist dieses Gelingen selbst eine Gewähr mehr für die Richtigkeit des angewendeten Heilmittels.
Betrachten wir aber unbefangen den ganzen Zustand Griechenlands um das Jahr 600, so werden wir dadurch gleich- falls vielmehr einen Grund für, als gegen die Richtigkeit der bisherigen Ergebnisse finden. Nicht äussere politische Ereig- nisse von grosser Bedeutung sind es, welche um diese Zeit
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[55/0068]
Rückblick.
Ich habe die Erörterungen über diese erste historische
Periode mit der Behauptung begonnen, dass die eigentliche
Geschichte der Künstler erst um das Jahr 600 v. Chr. zwischen
Ol. 40—50 beginne. Den Beweis mussten die einzelnen Un-
tersuchungen liefern. Es war aber dabei nöthig, einen Weg
einzuschlagen, der von dem meiner Vorgänger namentlich in
einer Richtung abweicht. Viele der eben besprochenen Künst-
ler erscheinen nach unseren Quellen noch als halb der Sage
angehörig. Anstatt nun von dieser auszugehen, fragte ich zu-
erst, ob neben ihr nicht eine geschichtliche Thatsache einen
festeren Haltpunkt für die Untersuchung darbiete. Es war
überall der Fall: ich stellte also diese Thatsache fest und wen-
dete mich nun erst zur Betrachtung der Sage, nicht um sie
schlechtweg zu verwerfen, sondern um sie zu erklären.
Es gelang dies überall in so fern, als sich theils die Ver-
anlassung der Entstehung, theils der Grund des Irrthums
in der Ueberlieferung nachweisen liess, ohne dass dadurch
unseren Gewährsmännern Gewalt angethan wurde. Wem
etwa über Einzelnes noch Zweifel geblieben sind, der über-
blicke die ganzen Untersuchungen in ihrem Zusammenhange:
er versuche es, die Sage, wie sie ist, zu vertheidigen, aber
er versuche es mit Consequenz, und es wird kein anderer
Ausweg bleiben, als alle die Künstler, welche noch mit der
Sage verknüpft sind, Smilis, Theodoros und Rhoekos, Dipoenos
und Skyllis, Klearch, und selbst noch einige andere in der
nächsten Epoche ohne Ausnahme zu verdoppeln: gewiss ein
verzweifeltes Auskunftsmittel, welches allein schon den Beweis
liefern kann, dass bei allen Verwirrungen der Chronologie
dieselbe Ursache gleichmässig gewirkt hat, nemlich der Man-
gel an richtigem Verständniss halb sagenhafter Angaben. Ist
es mir nun gelungen, diese Verwirrung überall von ein und
demselben Standpunkte aus zu lösen, so ist dieses Gelingen
selbst eine Gewähr mehr für die Richtigkeit des angewendeten
Heilmittels.
Betrachten wir aber unbefangen den ganzen Zustand
Griechenlands um das Jahr 600, so werden wir dadurch gleich-
falls vielmehr einen Grund für, als gegen die Richtigkeit der
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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/68>, abgerufen am 09.11.2024.
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