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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853.

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einem Genrebilde, nicht zu einer historischen Darstellung aus-
reicht. Nichts desto weniger nimmt diese Gruppe unter den
in Rom befindlichen Kunstwerken eine bedeutende Stelle ein,
da sie sich den vielen, wenn auch noch so vorzüglichen römi-
schen Copien griechischer Vorbilder gegenüber selbst dem un-
geübteren Blicke leicht als eine Originalschöpfung offenbart.
Freilich fehlt die Frische, Lebendigkeit und Weichheit der
Modellirung, welche in den Werken der besten Zeit uns das
vorhergegangene Studium gänzlich vergessen und das Kunst-
werk wie unmittelbar aus der Natur in Stein verkörpert er-
scheinen lässt. Eben so wenig finden wir ein Prunken mit
technischer Meisterschaft und gelehrtem Wissen, wie wir es
in den Werken der kleinasiatischen Kunst bemerkt haben.
Wir erkennen vielmehr, wie der Künstler namentlich in den
Gewändern jede einzelne Partie sich für seine besonderen
Zwecke zurechtgelegt hat; ja an einigen Stellen glaubt man
noch Spuren einer Zubereitung des Modelles wahrzunehmen,
welches der Künstler zuerst sorgfältig in Thon nachgeahmt
haben muss, um es erst dann in den Marmor zu übertragen.
Die Ausführung selber ist frei von jeder Nachlässigkeit, ent-
behrt aber freilich auch der Leichtigkeit, welche sich da zeigt,
wo der Künstler seines Stoffes gänzlich Herr ist und vielleicht
absichtlich manches Nebenwerk der Hauptsache, dem Ein-
drucke des Ganzen, opfert. Hier ist vielmehr der Grad der
Vollendung überall ein gleichmässiger, und zwar von der Art,
wie ihn der Künstler bei einem gewissenhaften Studium und
bei einer verständigen Benutzung des Modells auch ohne eine
besondere Bravour zu erreichen vermag.

So können uns die beiden Werke des Stephanos und Me-
nelaos wenigstens annäherungsweise einen Begriff von dem
geben, was Pasiteles, der Meister dieser Schule, überhaupt
erstrebte. Während die gleichzeitigen Attiker immer mehr das
Heil der Kunst nur noch in einem möglichst engen Anschlies-
sen an die älteren Muster oder geradezu in deren Nachahmung
sahen, die Kleinasiaten dagegen ihr künstlerisches Wissen
und ihre Meisterschaft in der Lösung schwieriger Probleme zu
zeigen zwar auch jetzt noch, aber doch schon mit bei weitem
geringerem Erfolge, als in der früheren Periode, versuchten;
scheint Pasiteles auf nichts Geringeres ausgegangen zu sein,
als auf eine selbstständige Regeneration der Kunst auf der

einem Genrebilde, nicht zu einer historischen Darstellung aus-
reicht. Nichts desto weniger nimmt diese Gruppe unter den
in Rom befindlichen Kunstwerken eine bedeutende Stelle ein,
da sie sich den vielen, wenn auch noch so vorzüglichen römi-
schen Copien griechischer Vorbilder gegenüber selbst dem un-
geübteren Blicke leicht als eine Originalschöpfung offenbart.
Freilich fehlt die Frische, Lebendigkeit und Weichheit der
Modellirung, welche in den Werken der besten Zeit uns das
vorhergegangene Studium gänzlich vergessen und das Kunst-
werk wie unmittelbar aus der Natur in Stein verkörpert er-
scheinen lässt. Eben so wenig finden wir ein Prunken mit
technischer Meisterschaft und gelehrtem Wissen, wie wir es
in den Werken der kleinasiatischen Kunst bemerkt haben.
Wir erkennen vielmehr, wie der Künstler namentlich in den
Gewändern jede einzelne Partie sich für seine besonderen
Zwecke zurechtgelegt hat; ja an einigen Stellen glaubt man
noch Spuren einer Zubereitung des Modelles wahrzunehmen,
welches der Künstler zuerst sorgfältig in Thon nachgeahmt
haben muss, um es erst dann in den Marmor zu übertragen.
Die Ausführung selber ist frei von jeder Nachlässigkeit, ent-
behrt aber freilich auch der Leichtigkeit, welche sich da zeigt,
wo der Künstler seines Stoffes gänzlich Herr ist und vielleicht
absichtlich manches Nebenwerk der Hauptsache, dem Ein-
drucke des Ganzen, opfert. Hier ist vielmehr der Grad der
Vollendung überall ein gleichmässiger, und zwar von der Art,
wie ihn der Künstler bei einem gewissenhaften Studium und
bei einer verständigen Benutzung des Modells auch ohne eine
besondere Bravour zu erreichen vermag.

So können uns die beiden Werke des Stephanos und Me-
nelaos wenigstens annäherungsweise einen Begriff von dem
geben, was Pasiteles, der Meister dieser Schule, überhaupt
erstrebte. Während die gleichzeitigen Attiker immer mehr das
Heil der Kunst nur noch in einem möglichst engen Anschlies-
sen an die älteren Muster oder geradezu in deren Nachahmung
sahen, die Kleinasiaten dagegen ihr künstlerisches Wissen
und ihre Meisterschaft in der Lösung schwieriger Probleme zu
zeigen zwar auch jetzt noch, aber doch schon mit bei weitem
geringerem Erfolge, als in der früheren Periode, versuchten;
scheint Pasiteles auf nichts Geringeres ausgegangen zu sein,
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[599/0612] einem Genrebilde, nicht zu einer historischen Darstellung aus- reicht. Nichts desto weniger nimmt diese Gruppe unter den in Rom befindlichen Kunstwerken eine bedeutende Stelle ein, da sie sich den vielen, wenn auch noch so vorzüglichen römi- schen Copien griechischer Vorbilder gegenüber selbst dem un- geübteren Blicke leicht als eine Originalschöpfung offenbart. Freilich fehlt die Frische, Lebendigkeit und Weichheit der Modellirung, welche in den Werken der besten Zeit uns das vorhergegangene Studium gänzlich vergessen und das Kunst- werk wie unmittelbar aus der Natur in Stein verkörpert er- scheinen lässt. Eben so wenig finden wir ein Prunken mit technischer Meisterschaft und gelehrtem Wissen, wie wir es in den Werken der kleinasiatischen Kunst bemerkt haben. Wir erkennen vielmehr, wie der Künstler namentlich in den Gewändern jede einzelne Partie sich für seine besonderen Zwecke zurechtgelegt hat; ja an einigen Stellen glaubt man noch Spuren einer Zubereitung des Modelles wahrzunehmen, welches der Künstler zuerst sorgfältig in Thon nachgeahmt haben muss, um es erst dann in den Marmor zu übertragen. Die Ausführung selber ist frei von jeder Nachlässigkeit, ent- behrt aber freilich auch der Leichtigkeit, welche sich da zeigt, wo der Künstler seines Stoffes gänzlich Herr ist und vielleicht absichtlich manches Nebenwerk der Hauptsache, dem Ein- drucke des Ganzen, opfert. Hier ist vielmehr der Grad der Vollendung überall ein gleichmässiger, und zwar von der Art, wie ihn der Künstler bei einem gewissenhaften Studium und bei einer verständigen Benutzung des Modells auch ohne eine besondere Bravour zu erreichen vermag. So können uns die beiden Werke des Stephanos und Me- nelaos wenigstens annäherungsweise einen Begriff von dem geben, was Pasiteles, der Meister dieser Schule, überhaupt erstrebte. Während die gleichzeitigen Attiker immer mehr das Heil der Kunst nur noch in einem möglichst engen Anschlies- sen an die älteren Muster oder geradezu in deren Nachahmung sahen, die Kleinasiaten dagegen ihr künstlerisches Wissen und ihre Meisterschaft in der Lösung schwieriger Probleme zu zeigen zwar auch jetzt noch, aber doch schon mit bei weitem geringerem Erfolge, als in der früheren Periode, versuchten; scheint Pasiteles auf nichts Geringeres ausgegangen zu sein, als auf eine selbstständige Regeneration der Kunst auf der

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 599. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/612>, abgerufen am 22.11.2024.