werden, vielmehr kommt es zunächst nur darauf an, zu erfor- schen, in welchem Geiste der Künstler seine Aufgabe über- haupt aufgefasst und behandelt hat. Unsere Aufmerksamkeit wird sich dabei vornehmlich auf die untere Abtheilung der Composition richten müssen: denn in der oberen, der Zusam- menstellung der Musen unter dem Schutze ihres Erzeugers Zeus und der Führung ihres Gebieters Apollo, behandelte er ein Thema, bei welchem wenigstens möglicher Weise ältere Vorbilder ihren Einfluss ausgeübt haben könnten. Die Scene der Apotheose erinnert zwar ebenfalls lebhaft an die Weise griechischer Votivreliefs; aber schon bei einer ganz äusserlichen Betrachtung muss es uns eine sehr auffallende Erscheinung sein, dass es der Künstler für nöthig erachtet hat, den ein- zelnen Figuren ihre Namen beizuschreiben. In der Kindheit der Kunst erklärt sich ein solcher Gebrauch leicht aus einem naiven Streben nach Verdeutlichung. Je fester aber die Kunst ihre eigne Sprache ausbildet, um so überflüssiger werden ähn- liche Auskunftsmittel; und in der guten Zeit der griechischen Kunst werden sich in der Sculptur wenigstens nur selten Bei- spiele derselben nachweisen lassen. Ihr Wiederauftreten in einer Epoche der schon schwindenden Blüthe hat daher sicher- lich seinen bestimmten Grund; und in unserem Falle ist der- selbe kein anderer, als dass die Composition der Apotheose ohne die beigeschriebenen Namen selbst von einem Griechen nicht würde verstanden worden sein. Denn unter den Figuren ist kaum eine, welche in früherer Zeit durch die Kunst eine typische Ausbildung erhalten hätte; ja von den meisten kön- nen wir sagen, dass sie einer solchen überhaupt nicht fähig sind; es sei denn, dass man dafür eine rein allegorische Darstellungsweise gelten lassen wollte, welche sich mit gewis- sen conventionellen Zeichen begnügt. Wir haben es hier nicht mit wirklichen Personen oder mit göttlichen Wesen zu thun, denen eine bestimmte Persönlichkeit beigelegt wird, sondern mit Begriffen mehr oder weniger abstracter Art, die als solche verkörpert erscheinen sollen. Wenn nun der Künstler diese Auffassung einer rein mythologischen Behandlung seiner Auf- gabe vorzog, so konnte dies seinen Grund entweder darin haben, dass er absichtlich von der bisher den Griechen eigen- thümlichen Weise abweichen wollte, oder es fehlte ihm die freie poetische Schöpfergabe, und er suchte dieselbe durch
werden, vielmehr kommt es zunächst nur darauf an, zu erfor- schen, in welchem Geiste der Künstler seine Aufgabe über- haupt aufgefasst und behandelt hat. Unsere Aufmerksamkeit wird sich dabei vornehmlich auf die untere Abtheilung der Composition richten müssen: denn in der oberen, der Zusam- menstellung der Musen unter dem Schutze ihres Erzeugers Zeus und der Führung ihres Gebieters Apollo, behandelte er ein Thema, bei welchem wenigstens möglicher Weise ältere Vorbilder ihren Einfluss ausgeübt haben könnten. Die Scene der Apotheose erinnert zwar ebenfalls lebhaft an die Weise griechischer Votivreliefs; aber schon bei einer ganz äusserlichen Betrachtung muss es uns eine sehr auffallende Erscheinung sein, dass es der Künstler für nöthig erachtet hat, den ein- zelnen Figuren ihre Namen beizuschreiben. In der Kindheit der Kunst erklärt sich ein solcher Gebrauch leicht aus einem naiven Streben nach Verdeutlichung. Je fester aber die Kunst ihre eigne Sprache ausbildet, um so überflüssiger werden ähn- liche Auskunftsmittel; und in der guten Zeit der griechischen Kunst werden sich in der Sculptur wenigstens nur selten Bei- spiele derselben nachweisen lassen. Ihr Wiederauftreten in einer Epoche der schon schwindenden Blüthe hat daher sicher- lich seinen bestimmten Grund; und in unserem Falle ist der- selbe kein anderer, als dass die Composition der Apotheose ohne die beigeschriebenen Namen selbst von einem Griechen nicht würde verstanden worden sein. Denn unter den Figuren ist kaum eine, welche in früherer Zeit durch die Kunst eine typische Ausbildung erhalten hätte; ja von den meisten kön- nen wir sagen, dass sie einer solchen überhaupt nicht fähig sind; es sei denn, dass man dafür eine rein allegorische Darstellungsweise gelten lassen wollte, welche sich mit gewis- sen conventionellen Zeichen begnügt. Wir haben es hier nicht mit wirklichen Personen oder mit göttlichen Wesen zu thun, denen eine bestimmte Persönlichkeit beigelegt wird, sondern mit Begriffen mehr oder weniger abstracter Art, die als solche verkörpert erscheinen sollen. Wenn nun der Künstler diese Auffassung einer rein mythologischen Behandlung seiner Auf- gabe vorzog, so konnte dies seinen Grund entweder darin haben, dass er absichtlich von der bisher den Griechen eigen- thümlichen Weise abweichen wollte, oder es fehlte ihm die freie poetische Schöpfergabe, und er suchte dieselbe durch
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0598"n="585"/>
werden, vielmehr kommt es zunächst nur darauf an, zu erfor-<lb/>
schen, in welchem Geiste der Künstler seine Aufgabe über-<lb/>
haupt aufgefasst und behandelt hat. Unsere Aufmerksamkeit<lb/>
wird sich dabei vornehmlich auf die untere Abtheilung der<lb/>
Composition richten müssen: denn in der oberen, der Zusam-<lb/>
menstellung der Musen unter dem Schutze ihres Erzeugers<lb/>
Zeus und der Führung ihres Gebieters Apollo, behandelte er<lb/>
ein Thema, bei welchem wenigstens möglicher Weise ältere<lb/>
Vorbilder ihren Einfluss ausgeübt haben könnten. Die Scene<lb/>
der Apotheose erinnert zwar ebenfalls lebhaft an die Weise<lb/>
griechischer Votivreliefs; aber schon bei einer ganz äusserlichen<lb/>
Betrachtung muss es uns eine sehr auffallende Erscheinung<lb/>
sein, dass es der Künstler für nöthig erachtet hat, den ein-<lb/>
zelnen Figuren ihre Namen beizuschreiben. In der Kindheit<lb/>
der Kunst erklärt sich ein solcher Gebrauch leicht aus einem<lb/>
naiven Streben nach Verdeutlichung. Je fester aber die Kunst<lb/>
ihre eigne Sprache ausbildet, um so überflüssiger werden ähn-<lb/>
liche Auskunftsmittel; und in der guten Zeit der griechischen<lb/>
Kunst werden sich in der Sculptur wenigstens nur selten Bei-<lb/>
spiele derselben nachweisen lassen. Ihr Wiederauftreten in<lb/>
einer Epoche der schon schwindenden Blüthe hat daher sicher-<lb/>
lich seinen bestimmten Grund; und in unserem Falle ist der-<lb/>
selbe kein anderer, als dass die Composition der Apotheose<lb/>
ohne die beigeschriebenen Namen selbst von einem Griechen<lb/>
nicht würde verstanden worden sein. Denn unter den Figuren<lb/>
ist kaum <hirendition="#g">eine,</hi> welche in früherer Zeit durch die Kunst eine<lb/>
typische Ausbildung erhalten hätte; ja von den meisten kön-<lb/>
nen wir sagen, dass sie einer solchen überhaupt nicht fähig<lb/>
sind; es sei denn, dass man dafür eine rein allegorische<lb/>
Darstellungsweise gelten lassen wollte, welche sich mit gewis-<lb/>
sen conventionellen Zeichen begnügt. Wir haben es hier nicht<lb/>
mit wirklichen Personen oder mit göttlichen Wesen zu thun,<lb/>
denen eine bestimmte Persönlichkeit beigelegt wird, sondern<lb/>
mit Begriffen mehr oder weniger abstracter Art, die als solche<lb/>
verkörpert erscheinen sollen. Wenn nun der Künstler diese<lb/>
Auffassung einer rein mythologischen Behandlung seiner Auf-<lb/>
gabe vorzog, so konnte dies seinen Grund entweder darin<lb/>
haben, dass er absichtlich von der bisher den Griechen eigen-<lb/>
thümlichen Weise abweichen wollte, oder es fehlte ihm die<lb/>
freie poetische Schöpfergabe, und er suchte dieselbe durch<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[585/0598]
werden, vielmehr kommt es zunächst nur darauf an, zu erfor-
schen, in welchem Geiste der Künstler seine Aufgabe über-
haupt aufgefasst und behandelt hat. Unsere Aufmerksamkeit
wird sich dabei vornehmlich auf die untere Abtheilung der
Composition richten müssen: denn in der oberen, der Zusam-
menstellung der Musen unter dem Schutze ihres Erzeugers
Zeus und der Führung ihres Gebieters Apollo, behandelte er
ein Thema, bei welchem wenigstens möglicher Weise ältere
Vorbilder ihren Einfluss ausgeübt haben könnten. Die Scene
der Apotheose erinnert zwar ebenfalls lebhaft an die Weise
griechischer Votivreliefs; aber schon bei einer ganz äusserlichen
Betrachtung muss es uns eine sehr auffallende Erscheinung
sein, dass es der Künstler für nöthig erachtet hat, den ein-
zelnen Figuren ihre Namen beizuschreiben. In der Kindheit
der Kunst erklärt sich ein solcher Gebrauch leicht aus einem
naiven Streben nach Verdeutlichung. Je fester aber die Kunst
ihre eigne Sprache ausbildet, um so überflüssiger werden ähn-
liche Auskunftsmittel; und in der guten Zeit der griechischen
Kunst werden sich in der Sculptur wenigstens nur selten Bei-
spiele derselben nachweisen lassen. Ihr Wiederauftreten in
einer Epoche der schon schwindenden Blüthe hat daher sicher-
lich seinen bestimmten Grund; und in unserem Falle ist der-
selbe kein anderer, als dass die Composition der Apotheose
ohne die beigeschriebenen Namen selbst von einem Griechen
nicht würde verstanden worden sein. Denn unter den Figuren
ist kaum eine, welche in früherer Zeit durch die Kunst eine
typische Ausbildung erhalten hätte; ja von den meisten kön-
nen wir sagen, dass sie einer solchen überhaupt nicht fähig
sind; es sei denn, dass man dafür eine rein allegorische
Darstellungsweise gelten lassen wollte, welche sich mit gewis-
sen conventionellen Zeichen begnügt. Wir haben es hier nicht
mit wirklichen Personen oder mit göttlichen Wesen zu thun,
denen eine bestimmte Persönlichkeit beigelegt wird, sondern
mit Begriffen mehr oder weniger abstracter Art, die als solche
verkörpert erscheinen sollen. Wenn nun der Künstler diese
Auffassung einer rein mythologischen Behandlung seiner Auf-
gabe vorzog, so konnte dies seinen Grund entweder darin
haben, dass er absichtlich von der bisher den Griechen eigen-
thümlichen Weise abweichen wollte, oder es fehlte ihm die
freie poetische Schöpfergabe, und er suchte dieselbe durch
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 585. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/598>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.