kommensten Bildungen für möglich hält, darf wohl jetzt als beseitigt betrachtet werden, nachdem wir gerade in den vol- lendetsten Schöpfungen der griechischen Kunst die reinste und höchste Natur wiedergefunden haben. Wohl mag dem Künstler selbst jener unrichtige Idealbegriff, den Winckel- mann ihm beilegt, wirklich vorgeschwebt haben; aber eine Rechtfertigung oder ein Lob dürfen wir darin für ihn jetzt nicht mehr finden, sondern vielmehr daraus schliessen, dass zu einer selbstständigen Weiterbildung der Kunst das tiefere Verständniss ihres Wesens und ihrer Gesetze bei dem Künst- ler des Herakles nicht mehr vorhanden war.
Die noch übrigen Werke stehen selbst den bisher betrach- teten im Werthe der Ausführung nach; und es werden daher über sie wenige Bemerkungen genügen. -- Dem Satyr des Apollonios giebt Müller das Prädicat vorzüglicher Schönheit: "Die Umrisse des Körpers haben etwas ungemein Leichtes, Fliessendes und Edles; und den Satyr erkennt man fast nur an dem thierischen Schweife. Die schönen Beine sind glück- licherweise fast ganz erhalten." Leider fehlt uns zur Würdi- gung dieses Urtheils ein bestimmter Maassstab. Eine über das Verdienst guter Arbeiten der Kaiserzeit hinausgehende Vortrefflichkeit würde indessen wahrscheinlich in anderen Wor- ten ihren Ausdruck gefunden haben. -- Von dem in der Villa Hadrians gefundenen Apollo eines Apollonios sagt Visconti geradezu: er scheine nach dem Werke eines andern gleichna- migen Künstlers copirt zu sein, da der Styl des Bildes eben kein bedeutendes Talent bekunde. -- Der sogenannte Germa- nicus verdient gewiss das Lob einer guten Arbeit römischer Zeit. Aber der mit ihm übereinstimmende ludovisische Hermes z. B. steht ihm kaum in irgend einer Beziehung nach; und beide Statuen sind doch nur gewissenhafte und nicht ohne fei- nen künstlerischen Sinn durchgeführte Wiederholungen eines Vorbildes aus der besseren Zeit. Eben so tritt die Bronze- büste von Apollonios unter anderen in Herculanum gefundenen Werken keineswegs durch Vorzüge besonderer Art hervor.
Mehr Eigenthümlichkeit verräth in der ganzen Behandlung die Pallas des Antiochos in der Villa Ludovisi, und wenn Winckelmann sie schlecht und plump nennt, so ist er zu diesem verdammenden Urtheile wohl nur durch den heutigen Zustand der Statue verleitet worden. Die angesetzte Nase entstellt
kommensten Bildungen für möglich hält, darf wohl jetzt als beseitigt betrachtet werden, nachdem wir gerade in den vol- lendetsten Schöpfungen der griechischen Kunst die reinste und höchste Natur wiedergefunden haben. Wohl mag dem Künstler selbst jener unrichtige Idealbegriff, den Winckel- mann ihm beilegt, wirklich vorgeschwebt haben; aber eine Rechtfertigung oder ein Lob dürfen wir darin für ihn jetzt nicht mehr finden, sondern vielmehr daraus schliessen, dass zu einer selbstständigen Weiterbildung der Kunst das tiefere Verständniss ihres Wesens und ihrer Gesetze bei dem Künst- ler des Herakles nicht mehr vorhanden war.
Die noch übrigen Werke stehen selbst den bisher betrach- teten im Werthe der Ausführung nach; und es werden daher über sie wenige Bemerkungen genügen. — Dem Satyr des Apollonios giebt Müller das Prädicat vorzüglicher Schönheit: „Die Umrisse des Körpers haben etwas ungemein Leichtes, Fliessendes und Edles; und den Satyr erkennt man fast nur an dem thierischen Schweife. Die schönen Beine sind glück- licherweise fast ganz erhalten.” Leider fehlt uns zur Würdi- gung dieses Urtheils ein bestimmter Maassstab. Eine über das Verdienst guter Arbeiten der Kaiserzeit hinausgehende Vortrefflichkeit würde indessen wahrscheinlich in anderen Wor- ten ihren Ausdruck gefunden haben. — Von dem in der Villa Hadrians gefundenen Apollo eines Apollonios sagt Visconti geradezu: er scheine nach dem Werke eines andern gleichna- migen Künstlers copirt zu sein, da der Styl des Bildes eben kein bedeutendes Talent bekunde. — Der sogenannte Germa- nicus verdient gewiss das Lob einer guten Arbeit römischer Zeit. Aber der mit ihm übereinstimmende ludovisische Hermes z. B. steht ihm kaum in irgend einer Beziehung nach; und beide Statuen sind doch nur gewissenhafte und nicht ohne fei- nen künstlerischen Sinn durchgeführte Wiederholungen eines Vorbildes aus der besseren Zeit. Eben so tritt die Bronze- büste von Apollonios unter anderen in Herculanum gefundenen Werken keineswegs durch Vorzüge besonderer Art hervor.
Mehr Eigenthümlichkeit verräth in der ganzen Behandlung die Pallas des Antiochos in der Villa Ludovisi, und wenn Winckelmann sie schlecht und plump nennt, so ist er zu diesem verdammenden Urtheile wohl nur durch den heutigen Zustand der Statue verleitet worden. Die angesetzte Nase entstellt
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kommensten Bildungen für möglich hält, darf wohl jetzt als
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und höchste Natur wiedergefunden haben. Wohl mag dem
Künstler selbst jener unrichtige Idealbegriff, den Winckel-
mann ihm beilegt, wirklich vorgeschwebt haben; aber eine
Rechtfertigung oder ein Lob dürfen wir darin für ihn jetzt
nicht mehr finden, sondern vielmehr daraus schliessen, dass
zu einer selbstständigen Weiterbildung der Kunst das tiefere
Verständniss ihres Wesens und ihrer Gesetze bei dem Künst-
ler des Herakles nicht mehr vorhanden war.
Die noch übrigen Werke stehen selbst den bisher betrach-
teten im Werthe der Ausführung nach; und es werden daher
über sie wenige Bemerkungen genügen. — Dem Satyr des
Apollonios giebt Müller das Prädicat vorzüglicher Schönheit:
„Die Umrisse des Körpers haben etwas ungemein Leichtes,
Fliessendes und Edles; und den Satyr erkennt man fast nur
an dem thierischen Schweife. Die schönen Beine sind glück-
licherweise fast ganz erhalten.” Leider fehlt uns zur Würdi-
gung dieses Urtheils ein bestimmter Maassstab. Eine über
das Verdienst guter Arbeiten der Kaiserzeit hinausgehende
Vortrefflichkeit würde indessen wahrscheinlich in anderen Wor-
ten ihren Ausdruck gefunden haben. — Von dem in der Villa
Hadrians gefundenen Apollo eines Apollonios sagt Visconti
geradezu: er scheine nach dem Werke eines andern gleichna-
migen Künstlers copirt zu sein, da der Styl des Bildes eben
kein bedeutendes Talent bekunde. — Der sogenannte Germa-
nicus verdient gewiss das Lob einer guten Arbeit römischer
Zeit. Aber der mit ihm übereinstimmende ludovisische Hermes
z. B. steht ihm kaum in irgend einer Beziehung nach; und
beide Statuen sind doch nur gewissenhafte und nicht ohne fei-
nen künstlerischen Sinn durchgeführte Wiederholungen eines
Vorbildes aus der besseren Zeit. Eben so tritt die Bronze-
büste von Apollonios unter anderen in Herculanum gefundenen
Werken keineswegs durch Vorzüge besonderer Art hervor.
Mehr Eigenthümlichkeit verräth in der ganzen Behandlung
die Pallas des Antiochos in der Villa Ludovisi, und wenn
Winckelmann sie schlecht und plump nennt, so ist er zu diesem
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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 567. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/580>, abgerufen am 22.11.2024.
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