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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853.

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einige Beruhigung eintritt, findet allerdings auch die Kunst
wieder Schutz und Aufmunterung. Aber wie unterdessen Lit-
teratur und Poesie von dem ursprünglichen Zusammenhange
mit dem gesammten Leben des Volkes losgerissen und Sache
der Gelehrten und der Gebildeten geworden war, so hat jetzt
auch die Kunst ihre frühere Stellung als integrirender Theil in
dem vollendeten Organismus einer politischen oder religiösen
Gemeinschaft eingebüsst. Hier galt es also, die Unmittelbar-
keit der Auffassung, welche nur bei einer vollständigen ge-
genseitigen Durchdringung des Lebens und der Kunst sich zu
erhalten vermocht hatte, das angeborene feine Gefühl, welches
der Natur, wo sie es nicht freiwillig verleiht, nicht abgetrotzt
werden kann, durch gründliche Erforschung der Mittel künst-
lerischer Darstellung zu ersetzen und den Rest der noch vor-
handenen Erfahrungen durch eigenes Studium der Dinge selbst
und durch das Studium dessen, was Andere früher geleistet,
zu ergänzen.

Hinsichtlich der Technik mochte die materielle Kenntniss
aller der verschiedenen Arten des Verfahrens noch von früher
her in hinlänglichem Maasse vorhanden sein. Man verstand
es noch unter Antiochos IV, den olympischen Zeus des Phi-
dias in Stoff und Form getreu nachzubilden. Im Marmor führte
man die complicirtesten Gruppen aus. Dass der Erzguss nicht,
wie man aus Plinius schliessen könnte, mit der 121sten Olym-
piade aufhörte, haben wir an vielen einzelnen Werken gesehen,
deren eines, der reuige Athamas des Aristonidas, sogar eine
besondere Kenntniss der Mischungsverhältnisse verschiedener
Metalle verräth. Dagegen zeigt sich in der besonderen An-
wendung technischer Mittel eine viel gesuchtere Absichtlich-
keit, als früher. Wir haben gewiss nicht mit Unrecht die
Ausführung des sterbenden Galliers als meisterhaft anerkannt;
und allerdings strebt in dieser Statue die Technik überall, sich
den besonderen Forderungen des Gegenstandes anzuschmiegen.
Die Unbefangenheit jedoch, welche sich bei früheren Meistern
wohl zuweilen in einer kleinen Vernachlässigung von Neben-
dingen verräth, dafür aber durch die hohe Vollendung alles
Wesentlichen reiche Entschädigung gewährt, finden wir an
dieser Statue nicht. Wir können sagen, dass der Künstler
sich nirgends vergessen, sondern bei jeder Einzelnheit mit fei-
ner Ueberlegung berechnet hat, durch welche Mittel er seine

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einige Beruhigung eintritt, findet allerdings auch die Kunst
wieder Schutz und Aufmunterung. Aber wie unterdessen Lit-
teratur und Poesie von dem ursprünglichen Zusammenhange
mit dem gesammten Leben des Volkes losgerissen und Sache
der Gelehrten und der Gebildeten geworden war, so hat jetzt
auch die Kunst ihre frühere Stellung als integrirender Theil in
dem vollendeten Organismus einer politischen oder religiösen
Gemeinschaft eingebüsst. Hier galt es also, die Unmittelbar-
keit der Auffassung, welche nur bei einer vollständigen ge-
genseitigen Durchdringung des Lebens und der Kunst sich zu
erhalten vermocht hatte, das angeborene feine Gefühl, welches
der Natur, wo sie es nicht freiwillig verleiht, nicht abgetrotzt
werden kann, durch gründliche Erforschung der Mittel künst-
lerischer Darstellung zu ersetzen und den Rest der noch vor-
handenen Erfahrungen durch eigenes Studium der Dinge selbst
und durch das Studium dessen, was Andere früher geleistet,
zu ergänzen.

Hinsichtlich der Technik mochte die materielle Kenntniss
aller der verschiedenen Arten des Verfahrens noch von früher
her in hinlänglichem Maasse vorhanden sein. Man verstand
es noch unter Antiochos IV, den olympischen Zeus des Phi-
dias in Stoff und Form getreu nachzubilden. Im Marmor führte
man die complicirtesten Gruppen aus. Dass der Erzguss nicht,
wie man aus Plinius schliessen könnte, mit der 121sten Olym-
piade aufhörte, haben wir an vielen einzelnen Werken gesehen,
deren eines, der reuige Athamas des Aristonidas, sogar eine
besondere Kenntniss der Mischungsverhältnisse verschiedener
Metalle verräth. Dagegen zeigt sich in der besonderen An-
wendung technischer Mittel eine viel gesuchtere Absichtlich-
keit, als früher. Wir haben gewiss nicht mit Unrecht die
Ausführung des sterbenden Galliers als meisterhaft anerkannt;
und allerdings strebt in dieser Statue die Technik überall, sich
den besonderen Forderungen des Gegenstandes anzuschmiegen.
Die Unbefangenheit jedoch, welche sich bei früheren Meistern
wohl zuweilen in einer kleinen Vernachlässigung von Neben-
dingen verräth, dafür aber durch die hohe Vollendung alles
Wesentlichen reiche Entschädigung gewährt, finden wir an
dieser Statue nicht. Wir können sagen, dass der Künstler
sich nirgends vergessen, sondern bei jeder Einzelnheit mit fei-
ner Ueberlegung berechnet hat, durch welche Mittel er seine

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[515/0528] einige Beruhigung eintritt, findet allerdings auch die Kunst wieder Schutz und Aufmunterung. Aber wie unterdessen Lit- teratur und Poesie von dem ursprünglichen Zusammenhange mit dem gesammten Leben des Volkes losgerissen und Sache der Gelehrten und der Gebildeten geworden war, so hat jetzt auch die Kunst ihre frühere Stellung als integrirender Theil in dem vollendeten Organismus einer politischen oder religiösen Gemeinschaft eingebüsst. Hier galt es also, die Unmittelbar- keit der Auffassung, welche nur bei einer vollständigen ge- genseitigen Durchdringung des Lebens und der Kunst sich zu erhalten vermocht hatte, das angeborene feine Gefühl, welches der Natur, wo sie es nicht freiwillig verleiht, nicht abgetrotzt werden kann, durch gründliche Erforschung der Mittel künst- lerischer Darstellung zu ersetzen und den Rest der noch vor- handenen Erfahrungen durch eigenes Studium der Dinge selbst und durch das Studium dessen, was Andere früher geleistet, zu ergänzen. Hinsichtlich der Technik mochte die materielle Kenntniss aller der verschiedenen Arten des Verfahrens noch von früher her in hinlänglichem Maasse vorhanden sein. Man verstand es noch unter Antiochos IV, den olympischen Zeus des Phi- dias in Stoff und Form getreu nachzubilden. Im Marmor führte man die complicirtesten Gruppen aus. Dass der Erzguss nicht, wie man aus Plinius schliessen könnte, mit der 121sten Olym- piade aufhörte, haben wir an vielen einzelnen Werken gesehen, deren eines, der reuige Athamas des Aristonidas, sogar eine besondere Kenntniss der Mischungsverhältnisse verschiedener Metalle verräth. Dagegen zeigt sich in der besonderen An- wendung technischer Mittel eine viel gesuchtere Absichtlich- keit, als früher. Wir haben gewiss nicht mit Unrecht die Ausführung des sterbenden Galliers als meisterhaft anerkannt; und allerdings strebt in dieser Statue die Technik überall, sich den besonderen Forderungen des Gegenstandes anzuschmiegen. Die Unbefangenheit jedoch, welche sich bei früheren Meistern wohl zuweilen in einer kleinen Vernachlässigung von Neben- dingen verräth, dafür aber durch die hohe Vollendung alles Wesentlichen reiche Entschädigung gewährt, finden wir an dieser Statue nicht. Wir können sagen, dass der Künstler sich nirgends vergessen, sondern bei jeder Einzelnheit mit fei- ner Ueberlegung berechnet hat, durch welche Mittel er seine 33 *

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 515. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/528>, abgerufen am 24.11.2024.