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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853.

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eine auf künstlerischem Wege gewonnene elementare Theorie,
welche dem noch lernenden Künstler den Weg des Studiums
abkürzen sollte. Dagegen beginnt um die Zeit Alexanders,
gerade auf der Scheide der vorletzten uud der letzten Periode
das historische Studium der früheren Kunst. Man schreibt
periegetische Werke über einzelne an Kunstwerken reiche
Städte und Länder, man macht Zusammenstellungen der be-
rühmtesten Werke (mirabilia opera), stellt vergleichende Ur-
theile über das besondere Verdienst der einzelnen hervorra-
genden Künstler auf, schreibt systematisch und historisch über
einzelne Kunstgattungen. Wollte man nun behaupten, die
praktische Ausübung der Kunst sei von diesen Studien, von
dieser ganzen Litteratur nicht berührt worden, so spricht
dagegen ein gewichtiger Umstand: viele dieser Schriften haben
gerade Künstler und darunter einzelne von nicht unbedeuten-
dem Rufe zum Verfasser; von denen wir doch gewiss voraus-
setzen dürfen, dass sie namentlich auf die Bedürfnisse ihrer
Kunstgenossen Rücksicht genommen haben und besonders un-
ter diesen das Studium der älteren Werke der Kunst anzure-
gen bestrebt gewesen sein werden. Denn sie selbst hatten
schwerlich dasselbe aus einer blossen Liebhaberei ergriffen,
sondern gewiss in dem Gefühle, dass darin eine nothwendige
Ergänzung für ihre eigenen, zur Ausübung der Kunst erforder-
lichen Studien liege.

In der Art dieser Studien finden wir aber deutlich die
ganze Geistesrichtung dieser Zeit, das ganze Wesen des Hel-
lenismus ausgeprägt. Wir haben schon früher bemerkt, dass
sich gegen die Zeit Alexanders die alten Bande in allen Ver-
hältnissen des Lebens, in Staat, Religion, Familie, immer mehr
lösten. Ein gänzlicher Verfall des griechischen Lebens schien
als unausbleibliche Folge bevorzustehen. Da vereinigt Alexan-
der noch einmal das ganze Griechenland zum Kampfe gegen
das Barbarenthum. Er gewinnt den Sieg; aber wie er selbst
erkannt hatte, dass, wenn seine Eroberung fest begründet
werden sollte, die erobernde Gewalt sich mit dem Wesen und
der Weise des eroberten Asiens vereinbaren, und der Gegen-
satz zwischen den beiden bisher kämpfenden Parteien zu einer
wirklichen, inneren Einheit verschmelzen müsse, so vermag
unter den wirren Kämpfen seiner Nachfolger das Griechenthum
in seiner ursprünglichen Reinheit sich keineswegs zu bewah-

Brunn, Geschichte der griech. Künstler. 33

eine auf künstlerischem Wege gewonnene elementare Theorie,
welche dem noch lernenden Künstler den Weg des Studiums
abkürzen sollte. Dagegen beginnt um die Zeit Alexanders,
gerade auf der Scheide der vorletzten uud der letzten Periode
das historische Studium der früheren Kunst. Man schreibt
periegetische Werke über einzelne an Kunstwerken reiche
Städte und Länder, man macht Zusammenstellungen der be-
rühmtesten Werke (mirabilia opera), stellt vergleichende Ur-
theile über das besondere Verdienst der einzelnen hervorra-
genden Künstler auf, schreibt systematisch und historisch über
einzelne Kunstgattungen. Wollte man nun behaupten, die
praktische Ausübung der Kunst sei von diesen Studien, von
dieser ganzen Litteratur nicht berührt worden, so spricht
dagegen ein gewichtiger Umstand: viele dieser Schriften haben
gerade Künstler und darunter einzelne von nicht unbedeuten-
dem Rufe zum Verfasser; von denen wir doch gewiss voraus-
setzen dürfen, dass sie namentlich auf die Bedürfnisse ihrer
Kunstgenossen Rücksicht genommen haben und besonders un-
ter diesen das Studium der älteren Werke der Kunst anzure-
gen bestrebt gewesen sein werden. Denn sie selbst hatten
schwerlich dasselbe aus einer blossen Liebhaberei ergriffen,
sondern gewiss in dem Gefühle, dass darin eine nothwendige
Ergänzung für ihre eigenen, zur Ausübung der Kunst erforder-
lichen Studien liege.

In der Art dieser Studien finden wir aber deutlich die
ganze Geistesrichtung dieser Zeit, das ganze Wesen des Hel-
lenismus ausgeprägt. Wir haben schon früher bemerkt, dass
sich gegen die Zeit Alexanders die alten Bande in allen Ver-
hältnissen des Lebens, in Staat, Religion, Familie, immer mehr
lösten. Ein gänzlicher Verfall des griechischen Lebens schien
als unausbleibliche Folge bevorzustehen. Da vereinigt Alexan-
der noch einmal das ganze Griechenland zum Kampfe gegen
das Barbarenthum. Er gewinnt den Sieg; aber wie er selbst
erkannt hatte, dass, wenn seine Eroberung fest begründet
werden sollte, die erobernde Gewalt sich mit dem Wesen und
der Weise des eroberten Asiens vereinbaren, und der Gegen-
satz zwischen den beiden bisher kämpfenden Parteien zu einer
wirklichen, inneren Einheit verschmelzen müsse, so vermag
unter den wirren Kämpfen seiner Nachfolger das Griechenthum
in seiner ursprünglichen Reinheit sich keineswegs zu bewah-

Brunn, Geschichte der griech. Künstler. 33
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[513/0526] eine auf künstlerischem Wege gewonnene elementare Theorie, welche dem noch lernenden Künstler den Weg des Studiums abkürzen sollte. Dagegen beginnt um die Zeit Alexanders, gerade auf der Scheide der vorletzten uud der letzten Periode das historische Studium der früheren Kunst. Man schreibt periegetische Werke über einzelne an Kunstwerken reiche Städte und Länder, man macht Zusammenstellungen der be- rühmtesten Werke (mirabilia opera), stellt vergleichende Ur- theile über das besondere Verdienst der einzelnen hervorra- genden Künstler auf, schreibt systematisch und historisch über einzelne Kunstgattungen. Wollte man nun behaupten, die praktische Ausübung der Kunst sei von diesen Studien, von dieser ganzen Litteratur nicht berührt worden, so spricht dagegen ein gewichtiger Umstand: viele dieser Schriften haben gerade Künstler und darunter einzelne von nicht unbedeuten- dem Rufe zum Verfasser; von denen wir doch gewiss voraus- setzen dürfen, dass sie namentlich auf die Bedürfnisse ihrer Kunstgenossen Rücksicht genommen haben und besonders un- ter diesen das Studium der älteren Werke der Kunst anzure- gen bestrebt gewesen sein werden. Denn sie selbst hatten schwerlich dasselbe aus einer blossen Liebhaberei ergriffen, sondern gewiss in dem Gefühle, dass darin eine nothwendige Ergänzung für ihre eigenen, zur Ausübung der Kunst erforder- lichen Studien liege. In der Art dieser Studien finden wir aber deutlich die ganze Geistesrichtung dieser Zeit, das ganze Wesen des Hel- lenismus ausgeprägt. Wir haben schon früher bemerkt, dass sich gegen die Zeit Alexanders die alten Bande in allen Ver- hältnissen des Lebens, in Staat, Religion, Familie, immer mehr lösten. Ein gänzlicher Verfall des griechischen Lebens schien als unausbleibliche Folge bevorzustehen. Da vereinigt Alexan- der noch einmal das ganze Griechenland zum Kampfe gegen das Barbarenthum. Er gewinnt den Sieg; aber wie er selbst erkannt hatte, dass, wenn seine Eroberung fest begründet werden sollte, die erobernde Gewalt sich mit dem Wesen und der Weise des eroberten Asiens vereinbaren, und der Gegen- satz zwischen den beiden bisher kämpfenden Parteien zu einer wirklichen, inneren Einheit verschmelzen müsse, so vermag unter den wirren Kämpfen seiner Nachfolger das Griechenthum in seiner ursprünglichen Reinheit sich keineswegs zu bewah- Brunn, Geschichte der griech. Künstler. 33

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 513. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/526>, abgerufen am 24.11.2024.